FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

Gericht: BGH 6. Zivilsenat
Datum: 1976-04-06
Az: VI ZR 246/74
NK: GG Art 5 Abs 1 Fassung: 1949-05-23, BGB * 249 Fassung: 1896-08-18, BGB * 812 Fassung: 1896-08-18, BGB * 823 Abs 1 Fassung: 1896-08-18, BGB * 1004 Fassung: 1896-08-18, GVG * 13

Leitsatz
(Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch unrichtige Darstellung in einer Fernsehsendung)

1. Für Ansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine die Ehre

beeinträchtigende Rundfunk- oder Fernsehsendung ist der Zivilrechtsweg, nicht der Weg zu den VG eröffnet.

2. Das Fernsehen muss sich nicht immer schon dann eine von ihm ausgestrahlte ehrverletzende Kritik eines Dritten als eigene zurechnen lassen, wenn es sie in seiner Sendung aufgreift, um sich mit dem Gegenstand jener Kritik selbst kritisch zu beschäftigen.

2.1 Zu den Voraussetzungen, unter denen das Fernsehen wegen solcher äusserungen eines Dritten selbst als "Störer" bzw Schädiger auf Unterlassung, Widerruf oder Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann.

3. Nur unter besonderen Umständen kann der durch eine unrichtige Darstellung im Fernsehen in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte, dem das Recht die Möglichkeit zur Gegendarstellung gibt, von der Fernsehanstalt oder ihren Mitarbeitern seine Aufwendungen für eine Anzeigenaktion erstattet verlangen, mit der er in der Presse eine berichtigende Darstellung anstelle oder neben der Gegendarstellung hat veröffentlichen lassen. Orientierungssatz

1. Das Fernsehen kommt als Störer bzw Schädiger in Betracht, wenn kritische persönlichkeitsverletzende Äusserungen Dritter derart in die eigene kritische Stellungnahme der Autoren der Sendung eingebettet werden dass die Sendung insgesamt als eine sozusagen lediglich mit verteilten Rollen gesprochene eigene Kritik des Fernsehens erscheint.

Fundstelle

BGHZ 66, 182-198 (LT1-3)
NJW 1976, 1198-1202 (LT1-3)
MDR 1976, 749-751 (ST1-3)
DOEV 1977, 70-70 (ST1-3)
LM Nr 155a zu * 13 GVG (S1-3)
LM Nr 15 zu * 249 BGB (S1-3)
LM Nr 117 zu * 812 BGB (S1-3)
LM Nr 38 zu Art 5 GrundG (S1-3)
LM Nr 55 zu * 823 BGB (ST1-3)
LM Nr 140 zu * 1004 BGB (S1-3)

Diese Entscheidung wird zitiert von:
BGH 1977-11-15 VI ZR 101/76 Ergänzung
OLG Stuttgart 1981-12-16 4 U 88/81 Anschluss
BGH 1982-06-22 VI ZR 251/80 So auch
BGH 1982-06-22 VI ZR 255/80 Vergleiche
BGH 1985-12-03 VI ZR 160/84 Fortführung
OLG München 1985-04-18 6 U 2385/84 Vergleiche
OLG Frankfurt 1990-02-02 2 U 172/89 Vergleiche
BVerwG 1994-06-07 7 B 48/94 Anschluss
NJW 1976, 1202, Eschenlohr, Harald (Anmerkung)
AfP 1976, 85-88, Mathy, Klaus (Anmerkung)
Film und Recht 1976, Nr 9, 581-588, Grossmann, Karl-Heinz
(Entscheidungsbesprechung)
GRUR 1976, 656-658, Katzenberger (Anmerkung)
JA 1976, 507-510, XX (Entscheidungsbesprechung)

Tatbestand
I. Der Kläger wurde im Jahre 1947 aufgrund des Länderratsgesetzes Nr 48 zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform (GSB) vom 18. September 1946 (BayBS IV 336) zur Landabgabe herangezogen. Durch Landabgabebescheid wurde sein <schnipp> öffentlich-rechtlich ausgestaltet sein sollte. Zumindest jene der Sache nach ausgrenzbaren Beziehungen, bei denen es um die Abwägung der Interessen der Sendeanstalten an freier Programmgestaltung gegenüber dem Schutz der Individualsphäre geht, sind auf der Ebene privatrechtlichen Miteinanders geordnet. Auf solche Fallgestaltung trifft der Grundsatz nicht zu, dass die <schnipp>

2. Die Passivlegitimation der Beklagten wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass Vorwürfe, deren Unterlassung und Widerruf der Kläger verlangt, in jenem Film von interviewten (Drittpersonen) Personen - dem Landtagsabgeordneten K. und dem Siedler B. - im Gespräch mit dem Drittbeklagten bzw Viertbeklagten erhoben worden sind.
Freilich sind die Fernsehanstalt und ihre für die Sendung verantwortlichen Mitarbeiter nicht schon hinsichtlich jeder ehrverletzenden oder rufgefährdenden äusserung, die vom Fernsehen aufgezeichnet und ausgestrahlt wird, als "Störer" oder "Schädiger" für Ansprüche des Betroffenen passivlegitimiert. Wo das Fernsehen als Veranlasser oder Verbreiter einer Äusserung zurücktritt und - etwa im Rahmen einer gar "live" ausgestrahlten Fernsehdiskussion - gewissermassen nur als "Markt" der verschiedenen Ansichten und Richtungen in Erscheinung tritt, widerspräche es dem Wesen des Mediums und seiner Funktion, es neben oder gar anstelle des eigentlichen Urhebers der Äusserung in Anspruch nehmen zu können. Eine der wichtigsten Aufgaben von Rundfunk und Fernsehen ist, der Meinungsvielfalt die Möglichkeit zur Darstellung zu geben und gerade auch Minderheiten zum Wort zu verhelfen; vornehmlich zur Gewährleistung dieser Möglichkeit ist durch Art 5 Abs 1 GG die Rundfunkfreiheit (die auch das Fernsehen schützt) verfassungsrechtlich garantiert. Das verpflichtet dazu, schon bei Beantwortung der Frage, ob das Fernsehen allein wegen des Ausstrahlens einer ehrverletzenden Äusserung belangt werden kann, den Besonderheiten Rechnung zu tragen, die sich aus seiner Rolle ebenso wie aus den Möglichkeiten und Zwängen fernsehgerechter Darstellung ergeben, damit nicht durch vorschnelle Bejahung solcher "Teilnehmerschaft an der Störung" der verfassungsrechtlich gewährleistete Zugang zu diesem Meinungsmarkt "Markt" unzulässig verengt wird.
Diese Gesichtspunkte sind ebenso bei der davon zu unterscheidenden Frage zu beachten, ob von der Fernsehanstalt selbst die Beseitigung solcher "Störung" etwa durch Widerruf der ehrverletzenden Äusserung verlangt werden kann, oder nur die Mitwirkung hieran durch die Erklärung, dass sie von jener Äusserung abrücke, oder gar nur die Bereitschaft, dem Beleidiger Möglichkeiten zum Widerruf mit den Mitteln des Fernsehens einzuräumen. Auch sonst kann von jemandem, der die beanstandete Äusserung nicht selbst getan, sondern nur verbreitet oder zugelassen hat, ohne sich zu eigen zu machen, in der Regel nur das Abrücken von der von einem anderen gemachten Äusserung, nicht aber ein Widerruf verlangt werden, da er selbst nicht zu widerrufen hat, der Widerruf zudem als letzter Rechtsbehelf nur dort eingesetzt werden darf, wo dem Interesse des Betroffenen auf anderen Wegen nicht hinreichend entsprochen werden kann (vgl BGHZ 14, 163, 176; Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 2. Aufl S 34ff; 185). Etwas anderes gilt dann, wenn sich der Verbreiter mit der Äusserung des Dritten identifiziert hat, so dass sie als seine eigene Äusserung erscheint. Doch ist auch in der Bejahung der Voraussetzungen für solche Identifikation des Fernsehens mit der von ihm ausgestrahlten Äusserung eines Dritten Zurückhaltung geboten; insbesondere darf dies nicht ohne Würdigung des Rahmens, in den die Äusserung gestellt war, der Art der Sendung und ihres Anliegens, der vom Medium und der Technik vorgegebenen Verhältnisse geschehen. Dadurch allein, dass das Fernsehen Äusserungen Dritter ausstrahlt, ohne sich zugleich ausdrücklich von ihnen zu distanzieren, identifiziert es sich regelmässig noch nicht mit ihnen - auch im Verständnis des Fernsehzuschaürs nicht. Ebensowenig wird eine solche Äusserung schon dadurch zu derjenigen des Fernsehens, weil sie innerhalb der Sendung besonderes Gewicht erhält, etwa weil die Kritik wegen ihres Gegenstandes oder Inhaltes besonderes Interesse weckt. Auch der Umstand, dass vorwiegend aus sendetechnischen Rücksichten die Äusserung nicht "live", sondern als Aufzeichnung ausgestrahlt wird, kann hierfür nicht immer ausschlaggebend sein. Heraushebungen, die die Äusserung eines Dritten etwa durch den Schnitt, die Musikuntermalung erfährt, sind vielfach durch das Medium, nicht durch die kritische Einstellung der Verantwortlichen bedingt. In aller Regel sieht das auch der Zuschauer so; indem sich ihm die Person, die zu Wort kommt, zugleich bildlich darstellt, ordnet er die kundgegebene Meinung zunächst dieser Person und im allgemeinen nicht der Fernsehredaktion zu.
Eine Identifikation des Fernsehens mit der kritischen Äusserung eines Dritten ist dem Grundsatz nach auch nicht schon deshalb zu bejahen, weil ein sich selbst als kritisch verstehendes Fernsehmagazin wie "PANORAMA" sie in seiner Sendung aufgreift, um sich mit dem Gegenstand jener Kritik selbst ebenfalls kritisch zu beschäftigen, mag die Tendenz jener Sendung auch in Ähnliche Richtung wie die äusserung des Dritten zielen. Im allgemeinen erscheint auch in diesem Rahmen, insbesondere im Licht der mit solchen Sendungen vom Fernsehen legitim beanspruchten Kontrollaufgaben und Informationsaufgaben die Erklärung etwa eines Diskussionsteilnehmers oder einer interviewten Person als "fremde" Kritik, der mit der Sendung lediglich als solcher zum Wort verholfen wird. Dass sie das Engagement des Fernsehmagazins zu dessen eigener Kritik auslöst, liegt in der dem Zuschauer bekannten Aufgabenstellung der Sendung begründet und Ändert hieran nichts.

b) Indes bedarf es im Streitfall keiner abschliessenden Untersuchung, wo im einzelnen die Grenze zwischen der Verbreitung einer "fremden" und einer sich "zu eigen" gemachten Äusserung eines Dritten durch das Fernsehen verläuft, wann vom Fernsehen wegen Verbreitung einer "fremden" Äusserung von einem durch sie in seiner Ehre Betroffenen wenn schon nicht Widerruf, so doch ein "Abrücken" von ihr verlangt werden kann und unter welchen Umständen das Fernsehen trotz usstrahlung solcher "fremden" Äusserung nicht als "Störer" oder "Schädiger" in Betracht kommt. Jedenfalls wenn solche kritische Äusserungen derart in die eigene kritische Stellungnahme der Autoren der Sendung eingebettet werden, dass die Sendung insgesamt als eine sozusagen lediglich mit verteilten Rollen gesprochene eigene Kritik des Fernsehens erscheint, in dem Einsatz solcher Drittbeiträge geradezu eine Dramaturgie sichtbar wird, kann sich das Fernsehen nicht darauf berufen, dass die Äusserungen keine "eigenen" gewesen sind. So aber liegt es nach den Feststellungen, die das Berufungsgericht, das sich den Film hat vorführen lassen, aus eigener Anschauung getroffen hat, hier. Zu der Befürchtung, das Berufungsgericht habe jene medialen Möglichkeiten und Aufgaben des Fernsehens nur verkürzt gesehen, besteht kein Anlass. Sind danach die Äusserungen des Diskussionsteilnehmers K. und des interviewten B. zugleich solche der Beklagten, so ist auch unter diesem Gesichtspunkt ihre Passivlegitimation für die geltendgemachten Widerrufsansprüche und Unterlassungsansprüche weder beschränkt noch modifiziert.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft, Neko, 03.06.97
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