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Re: [FYI] Jugendschutz: Filterprogramme bringen es nicht



Hallo Ihr!

Martin, grossenteils stimme ich Dir zu, gehe aber noch einen Schritt
weiter. Anbei ein paar Ergaenzungen.

Martin Rost schrieb:

> Diese Inkonsistenz von Politik und Technik ist ja gerade der Gag an
> der gesamten Konstellation des Content-Filtering: Den Politikern muss
> aus technischer Sicht gesagt werden: Die verwendeten Filtertechniken
> sind grundsaetzlich unzulaenglich. Ihr duerfte davon nicht wirklich
> moralisch und juristisch "sichere" Verhaeltnisse im Internet
> erwarten. Den Technikern muss aus politischer Sicht dagegen gesagt
> werden: Dass die Filtertechniken unzulaenglich sind, macht nichts,
> sie werden a) faktisch in allen Variationen eingesetzt und erfuellen
> b) tatsaechlich sogar ihre Funktion, naemlich den ebenso geheimen wie
> offensichtlichen gesellschaftlichen Moral-/Wertekanon, der den Druck
> auf Eltern und Lehrer als Funktionstraeger ausuebt, zu bestaetigen.
> Genau das besagt die Studie im Kern.
 
Bei dieser Argumentation geht aber ein Argument etwas unter, das auch in
der Studie steht:

Es ist nicht nur so, dass Filtertechniken nicht richtig funktionieren
(koennen!), d.h. dass sich dadurch kein perfekter Jugendschutz
realisieren laesst (noch nicht einmal in totalitaeren Systemen!). Die
"technische Unzulaenglichkeit" der Filtertechniken bedeutet aber:

1. Bewusst eingesetzte oder zumindest vermutete Filtertechniken lassen
sich gezielt technisch umgehen, und dies nicht nur von Freaks, sondern
prinzipiell von allen. Die zuerst kalkulierte niedrige Prozentzahl, bei
der Filtertechniken nicht funktionieren, kann damit leicht nach oben
schnellen.

2. Insbesondere unbewusst vorhandene oder nicht abstellbare
Filtertechniken koennen einen grossen Schaden anrichten, da eine freie
Information auch fuer die Nicht-Jugend behindert wird und auch
beispielsweise Konkurrenzfirmen gegenueber filternden Nutzern gezielt
ausgeblendet oder in Misskredit gebracht werden koennen. (Dies waere nur
durch den verpflichtenden Einsatz von digitalen Signaturen mit
entsprechender Infrastruktur einzudaemmen, was wiederum andere Probleme
mit sich bringt, siehe Studie.)


Damit ist diese Diskussion recht aehnlich der Kryptodebatte, denn
Kryptoregulierung haette ebenfalls "funktioniert": Viele Buerger wuerden
niemals illegal stark verschluesseln, wenn dies verboten waere. Jedoch
waeren diese braven Buerger in dem Schutz ihrer Daten - auch gegenueber
Kriminellen - erheblich eingeschraenkt. Wer allerdings doch vertraulich
kommunizieren wollte, koennte dies tun (Ueberschluesselung,
Steganographie). Auch die Verbrecher, auf die eine Regulierung zielen
wuerde, koennten sich so ihre Nische suchen.


In jedem Fall geht es um eine Gueterabwaegung, die bitteschoen zumindest
transparent sein muss und gerne auch einigermassen demokratisch erfolgen
werden sollte.

> Und den Juristen muss gesagt werden: Findet nun langsam mal eine
> ueberzeugende Form, die diese Konfliktsituation und "logische"
> Inkonsistenz handlebar macht, weil es nicht darum gehen kann, den
> naheliegenden Anspruch zu verfolgen, diese Inkonsistenz letztlich
> (sprich: fundamentalistisch, sprich: logisch (wenn auch nicht
> unbedingt axiomatisch) befriedigend) doch irgendwie (sei es
> technisch, politisch, juristisch) aufzuloesen. Genau das geht ja eben
> nicht. Technische Konsistenz (etwa reines Subnetting) oder rechtliche
> Konsistenz (etwa gesetzlicher Zwang zum Content-Scaning durch
> Provider) wuerden um den Preis des Funktionsverlustes des Netzes,
> womoeglich unter Abbau von Buergerrechten, erkauft werden.

Der Abbau von Buergerrechten beginnt schon viel frueher (s.o.). Schon
De-facto-Zwaenge und vorauseilender Gehorsam halte ich fuer aeusserst
problematisch.

Aber wir haben jetzt ja den Feldversuch laufen in Australien. Bestimmt
laesst sich nicht alles uebertragen, was dort alles laeuft
(Stichwoerter: Pflicht der Provider und Nutzer zum Einsatz von
Filterprogrammen (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5616/1.html),
aber auch moegliche Datenveraenderung auf Privatcomputern durch den
eigenen Geheimdienst ASIO
(http://wired.lycos.com/news/politics/0,1283,32853,00.html)) und wie es
sich auswirkt. Ich plaediere fuer Schauen und Nachdenken.

Schoene Gruesse

        Marit

-- 
marit@koehntopp.de  -  Marit Koehntopp, Kiel, Germany
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Fingerprint: 94DE CAB9 50EF 03C4  7458 D526 2B24 2991