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Termin bei TCP/IP wegen Internet-Filterung



Liebe Zielgruppe,

heute um 10 Uhr morgens hatte ich über einen Bekannten einen Termin bei
der TCP/IP GmbH organisiert, die sich ja in letzter Zeit unrühmlich als
Pilot-Installateur der neuen mp3-Filter-Proxy-Technologie hervorgetan
hat.

TCP/IP hat für Liquid Audio den (Exklusiv?)-Vertrieb in Deutschland
übernommen, und das Projekt mov-a-bit (www.moveabit.de) wird auch von
ihnen betrieben.  Liquid Audio ist eine Art MP3 mit Kopierschutz.  Weil
man es nicht kopieren kann, will es natürlich auch niemand haben, und so
floppt bei TCP/IP das Liquid Audio Projekt genau wie überall sonst.  Uns
wurde mitgeteilt, daß man sich jetzt nach anderen Formaten umguckt, die
nicht server-abhängig sind und so, man wollte sich da alle Optionen
offenhalten.

Die Lage stellt sich jetzt so dar, daß TCP/IP sich gerne der
Musikindustrie gegenüber als #1-Ansprechpartner in der Internet-Branche
positionieren möchte.  Der Geschäftsführer hat uns mehrere Stunden lang
mit Details aus den organisitionellen Verknüpfungen der Musikindustrie
gelangweilt, d.h. der hat die letzten Jahre unter großen Schmerzen und
Entbehrungen das Gelaber der Musikindustrie erduldet und kennt dafür
aber viele in der Industrie und will das jetzt zu Geld machen.

Die Musikindustrie ist gerade am Herunterfahren, weil sich dahinter die
Vertriebsstrukturen der CD-Brennereien verbergen, das sind nicht die
Künstler, nicht die Studios und nicht die Interessenvertretungen der
Künstler!  Nun, die Musikindustrie ist zusehens obsolet geworden und
wirft jetzt ihre gesamte übrige Kohle auf monopolerhaltende Maßnahmen,
und die neueste Idee war eben, daß man doch im Internet Filter
installieren könnte.  Die Experten der Phonobranche haben also Altavista
nach Internet Filter gefragt und sind bei Novell gelandet, die eine
Filterfunktion in ihrem Web-Cache-Proxy haben.  Die Novell-Lösung
schlägt dafür dann auch mit der Kleinigkeit von rund DM 200.000 zu
Buche, die im Pilotprojekt im Moment wohl phononet trägt, das ist der
technische Arm der IFPI (die internationale Vereinigung des Phono-
Kartells).

Die Situation ist im Moment folgende:

  1. TCP/IP hat sich bereit erklärt, den phononet-Proxy zu installieren,
     wenn ihnen dadurch keine Kosten, keine Nachteile für die Kunden und
     keine Datenschutzprobleme wegen ihrer Kundendaten entstehen.
  2. Der Proxy ist kein Zwangsproxy, sondern wird nur von Phononet
     intern benutzt, die auf ihrem Webserver offenbar hinter
     irgendwelchen geheimen URLs MP3s installiert und in dem Proxy
     geblockt haben, um zu gucken, ob das überhaupt funktioniert.
     Dieser Pilotversuch ist jetzt gelaufen und phononet ist zufrieden.
  3. Es gibt keine Abmachungen zwischen phononet und TCP/IP bezüglich
     Phase 2, d.h. der Installation eines Zwangsproxies bei TCP/IP.
     Und wurde gesagt, daß Phononet sich offenbar denkt, daß die ISPs
     die Kosten für den Proxy zahlen sollen.  Und weil das natürlich
     kein ISP machen will, haben sie gerade die Lobbyarbeit
     hochgeschraubt, damit ein Gesetz erlassen wird, das den ISPs
     vorschreiben würde, so einen Proxy zu installieren.

Es ist an dieser Stelle wichtig zu sehen, daß phononet sich moralisch
voll im Recht wähnt.  Ich hatte nicht den Eindruck, daß phononet oder
TCP/IP an dieser Stelle sich über die Auswirkungen einer nationalen
Filter-Infrastruktur Gedanken gemacht hat oder sich überhaupt dafür
interessiert.  Das Gesetz ist aber noch nicht mal angedacht im Moment.

TCP/IP hat auch keine Lust, für einen Proxy zu zahlen.  Die haben sich
uns gegenüber eher als arme Opfer hingestellt, die das nur machen, damit
sich da eine selbstregulierte Lösung findet, bei der keine inkompetenten
Politiker irgendwelche schwachsinnigen Gesetze erlassen, aber das fällt
ja dann wohl aus, wenn die ISPs die Kosten tragen sollen.  Unser
Eindruck war aber, daß die Phonoindustrie durchaus willens und
verzweifeld genug wäre, die Kosten komplett selber zu tragen, wenn sie
denn müßten.

BGP-Spielereien habe ich durch die Blume anzusprechen versucht, da kam
keine Resonanz, also entweder war das eine Ente, oder sie wollen das
nicht publik machen.  Insgeheim bin ich ja eh der Meinung, daß
BGP-Spoofer sofort vom RIPE ihren IP-Bereich entzogen bekämen.

Die Zukunft zeichnet sich für mich so ab:

  1. phononet wird erklären, daß der Feldversuch ein voller Erfolg war,
     und daß Internet-Filterung nicht nur machbar sondern auch zumutbar
     ist.

  2. In der Politik wird diese Äußerung auf fruchtbaren Boden fallen,
     weil gewisse Leute genau auf diese Aussage seit einigen Jahren
     warten.

  3. Man wird versuchen, einen Business Case zu finden, bei dem es sich
     für ISPs lohnt, einen Filter zu installieren.  Die ISPs werden aber
     feststellen, daß die Bandbreite von Porno und MP3s bezahlt wird,
     und daher wird das erfolglos bleiben.

  4. Dann wird man es eben mit Gewalt versuchen und ein Zwangsproxy-
     Installationsgesetz erlassen.  Kombiniert mit dem Wartungszugang
     für Law Enforcement ist das eine explosive Mischung.

Wir haben TCP/IP zu vermitteln versucht, daß Sie sich als Anbieter von
gefiltertem Internet haftbar für versehentlich durchgelassenen illegalen
Content wären laut TKG, aber sie meinten, daß sie das nicht beträfe,
weil der Proxy ja phononet gehört.  IANAL, aber ich kann mir nicht
vorstellen, daß die Phonoindustrie, die die Hälfte ihrer Zeit auf Erden
in Gerichtssälen zubringt, sich so ein Ei legen würde.

Phase 2 der Aktion würde, wenn überhaupt, dann erst nach Verhandlungen
der Modalitäten zwischen phononet und TCP/IP anfangen, wobei TCP/IP wohl
kein Problem damit hätte, daß da überhaupt gefiltert wird, da müßte man
halt noch andere Gegenargumente finden.

TCP/IP legte Wert darauf, phononet gegenüber und im Internet öffentlich
"schon immer" gesagt zu haben, daß das mit der Filter-Sache nicht so
toll ist, aber sie haben sich noch nicht zu einer Presseerklärung
durchringen können, in der sie schreiben, daß die Filter nicht
funktionieren, weil sie z.B. Napster weiterhin durchlassen.

HTH, Fefe