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SMUDO schweigt (was: [pieper@gruenekraft.com: Re: WG: [kris@koehntopp.de: [FYI] Coke.CH - Koks oder Cola?]])



----- Forwarded message from Werner Pieper <pieper@gruenekraft.com> -----
...gekuerzt...

Smudo Brief ist Teil des Lieber Richard Briefes, ist dieser Tage in
Versand gegangen, aber ahrscheinlich nicht an dich, da wir letztes Jahr
eine AboRundfrage gemacht haben: Wer will LiRi-Brief. Und nur die, die
sich meldeten bekommen ihn ... Ich werde jetzt mal den Brief raussuchen
& hier anschließen.

Beste Grüße, auch von den Mädels

*Pi*
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Das Ende vom Lied - so der Titel einer Pressekonferenz, die ich mir
nicht entgehen lasse. Der Hammer. Auf dem Podium sechs Männer der
Industrie, dazu Sabrina Settlur, der Stiftekopp von den Prinzen und
Smudo von den Fanta 4, der gerade ein schönes Vorwort für das Buch von
Arvid geschrieben hat. Und alle hacken auf private CD-Brenner ein. Der
Typ der Werbeagentur gibt der Presse Schlüsselsätze vor, die in den
kommenden Monaten in Artikeln und vor allem in der Werbung auftauchen
werden:
Wer kopiert hat nix kapiert  -  Copy kills Music  -  10.000 privat
gebrannte CD zerstören eine Band
Hier wird eine neue Kampagne vorgestellt:  für TV, Radio, Zeitungen:
ìOhne erhobenem Zeigefinger, wir sagen nur, was die Konsequenz istî.
Ich errege mich. Drehe mich (in der 1. Reihe sitzend) mehrfach um, sehe
in den 250 Pressegesichtern aber nur Konsens.
Der Feind sind die Schulhofpiraten!
Weiße T-Shirts mit der Botschaft. Überall. Feels like a Scientology
meeting. Kein Einspruch erlaubt. Keine Möglichkeit zu fragen: ìHat denn
von euch früher keiner Cassetten kopiert?î  Verdrängt wie unsere Väter
ihre Parteimitgliedschaft?

Das Problem: Die Inudstrie hat 700. Tsd CD-Brenner verkauft, bis
Weihnachten 2001 sollen es 3,4 Millionen sein. Anwesend sind nur
Vertreter jener Firmen, die keine CD-Brener im Angbot haben.
Nur zwei Jungs mucken auf und gehen raus, von drei anderen höre ich
später.
Gehe anschließend zu Smudo, stelle mich vor und richte Arvids Grüße aus.
Gebe ihm ein Musik & Zensur und spreche ihn auf diese
GruselVeranstaltung an. Nach drei Sätzen wird es schnell lautstark. Ich
mache einen Rückzieher, denn um uns rum steht die Pressemeute und ich
wollte ja nur nett sein und verweise ihn auf die kleine Schlange, die um
Autogramme ansteht. Und ziehe mich zuürck. Später schreibe ich ihm einen
Brief:

LIEBER SMUDO -
Erstmal möchte ich mich bei dir entschuldigen.
Es war wirklich nicht meine Absícht, dich nach dieser PresseKonferenz
bei der PopKomm wg. Copy kills Music anzugehen, so gestreßt wie du den
Eindruck machtest. Ich wollte dir nur Arvids Grüße ausrichten, dir unser
Musik & Zensur Buch geben und eigentlich was ganz anderes sagen. Hatte
ich doch in den Tagen vor der PopKomm euer Fanta 4 Buch gelesen (doofes
CoverFoto, genialer Titel!) und das hat euch mir noch sympathischer
gemacht.

Aber dann saß ich in dieser PresseKonferenz, staunte über das Gesagte,
schaute mich öfters um (mache ich auch im Kino gerne) und war verblüfft,
ob der Einstimmigkeit zum Thema. Das darf doch nicht wahr sein, war
meine erste Reaktion. Die du dann stellvertretend für die ganze
Industrie abbekommen hast.

Worum geht es mir?
Als ich 1965/7 meine Kochlehre in der Provinz machte, rettete mich auf
einer ganz wichtigen Ebene ein Typ, der einem gegen 1,50 DM die neuesten
LPs aus den USA und England auf SchnürsenkelTonbänder überspielt und
sogar noch ein SongListing dazu tippte. Damals dauerte es mit einem LP
Release over here oft Monate, selbst die ersten Beatles LPs erschienen
hier viele Monate nachdem sie in England Furore machten. Durch diese
Schulhofpiraten bekam ich die 1. Hendrix, die ersten drei Zappas etc.
Saved my life. Als ich die Pressekonferenz verfolgte war meine
vordringlichste Frage:
Hat denn keiner von denen dort oben in seiner Jugend Cassetten kopiert?
Vor 15 Jahren schrie die Industrie hysterisch: Home taping is killing
music. Did it ever?

Ich muß etwas ausholen.
Was ist Musik? Eigentlich eine Kommunikationsform.
Warum bilden sich Bands? Um zu musizieren, denke ich mal, wg. den
Mädels, wg. den Kumpels. Nur wenigen wird von Anfang an ein langer oder
kurzer Marsch durch die Industrie-Institiutionen vorschweben. Wenn man
den Weg allerdings so konsequent geht wie ihr, kann es vorkommen, daß
man irgendwann irrtümlich Musik und Musikkonserve (=Produkt)
gleichsetzt.

Und dann kommen solch schlimmen Sprüche der Werbeagenturen wie ëBrenner
verursachen Krebsí, ëDas Ende vom Liedí, und ëSchulhofpiraterieí dabei
raus.
Immer druff auf die Kleinen!

Klar ist: der Industrie gehts nicht mehr so gut wie noch letzthin. Aber
das darf doch nicht überraschen: Nach der Umstellung von LP auf CD haben
sich viele Leute ihre alten Musiksamm-lungen auf dem neuen Format
nochmal angeschafft. Diese BackKatalog Order sind nun ausge-schöpft, da
bewegt sich nicht mehr viel. Aber das war abseh- und einplanbar. Auch
Internet & HeimBrenner sind ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen.
Der Konsument darf sich freuen.

Die Industrie tut so, als sei sie von einer kriminellen Machenschaft
überrumpelt worden, dabei verkaufen sie selber die Brenner. Und nur die
Firmen, die keine eigenen Brenner verkaufen, klagen jetzt. Was mich
fuchst ist, daß man so Geräte verkauft, und dann die Leute
diskriminiert, die die Brenner nutzen. Viele davon sind wirkliche Fans.
Auch von euch. Und die meisten Käufer von ëClonesí hätten sich das
Original kaum leisten können.

Natürlich sind einige Fragen offen, ohne deren Beantwortung man schlecht
argumentieren kann: Um was für (verlorene) Umsätze geht es bei 10.000
privat gebrannten CDs? Gibt es irgendeinen Beweis für die Aussage, jede
dritte DM einer CD ginge in die Nachwuchsarbeit? Welche 3. Mark wovon?
Es wurde geschickt der Eindruck vermittelt, als ob jede 3. DM vom
gesamten CD-Umsatz dem Nachwuchs zufließen. What a fucking lie!

Anderseits: Wenn man während der PopKomm den Ring ablief und all die
neuen Hops-Acts sah, fragt man sich: um die zu unterstützen darf man
keine eigenen CDs mehr brennen? Der Industrie gehts doch nicht um
Förderung junger Musiker, sondern um das heranzüchten potentieller
Umsatzförderer. Das mag bei Four Music anders sein, aber bei ëIndustrieí
denkt man als erstes an jene Multis, die bei den meisten Kids weniger
Credibility hat als die SPD. Das nun eben selbige Kids für
Fehlplanungen der Industrie verantwortlich gemacht werden sollen, das
stinkt mir. Immer auf die Kleinen. Und das du dich (ihr euch?) vor
diesen Karren spannen laßt, schmerzt.

Copy macht eine kränkelnde Industrie noch kränker.
Die Industrie leidet. Einige Klangkonservenhersteller auch. Und einige
Musiker, keine Zweifel. All jenen kann ich nur sagen, daß die
Selbstheilungskräfte solcher Industrien meist erstaunlich stark sind.
Aber wer tötet hier Musik?
Hey, wir leben im Kapitalismus, da ist dem Kapital immer wieder
gelungen, temporäre Niederlagen in Siege umzuwandeln. Wait & See. Aber
den Schwarzen Peter auf die Kids abzu schieben? Schulhofpiraterie? Nee!
Gibt es Untersuchungen über das Verhältnis zwischen Musikliebhabern und
reinen Geldgeiern unter den D-Kopierern? Why not?

Wenn Geld für die Nachwuchsförderung fehlt kann es ja auch sein, daß es
für idiotische Videos, überteuerte Hotels oder unsinnige PrivatJetFlüge
von Managern, Funktionären oder auch Musikern verplempert wurde.
Wie hoch sind die entsprechenden Werbeetats, um Nr 1 zu werden?
Die verschwendete Kohle killt keine Bands?
Who are you trying to kid, kid?

Zu deinem Argument des geistigen Eigentums lege ich dir mein Buch
îCopyright oder Copy-wrongî bei. Es gibt viele Musiker, die erkennen,
daß ihre Schöpfungen ohne ihre Vorgänger nicht möglich wären. Gerade auf
eurer SampleEbene geht es ja nicht ohne Einflüsse. Und wenn ihr eure
Einflüsse zusammentaped beansprucht ihr den Schutz Geistigen Eigentums.
Hat je ein Afrikaner Entschädigung für die ihnen abgeluchsten Rhythmen
kassieren dürfen? Oder, um Wolfgang Neuss bzw. Tucholsky zum Thema
UrheberRecht zu zitieren: Mich kann man nicht beklauen, sondern nur
benutzen.

Es gibt Menschen, die wollen (zusammen) Musik machen, es gibt welche,
die wollen durch Musik Geld verdienen. Beides legitim, aber das geht
halt nicht immer so einfach zusammen. Der Konserve ist es egal, wer sie
kopiert. Musik wird dadurch nicht gekillt, sondern verbreitet. Als
Schreiber schreibe ich, um gelesen zu werden. Gelesen und verstanden.
Meine Texte sind weit-gehend copyrightfrei. Wer sie in Massen kopiert,
soll mir einen Teil seines Verdienstes abgeben, wer nix dran verdient:
OK. ëSchulhofpiratení sind willkommen!

Als Hätschelkind der Industrie hat man leicht lachen. Und als Hyatt Gast
hebt man leicht ab (ich war mal angehender Hotelkaufmann in Köln).
Überleg dir genau, wessen Interessen die Kampa-gne, die du hier
unterstützt, wirklich vertritt. Die der Industrie oder die der jungen
Musiker oder gar die der Konsumenten?

Mir leuchten die Argumente der Industrie nicht ein, die Anzeigen lassen
mir einen Gruselschauer den Rücken runter rinnen. Es ist nicht das Ende
vom Lied. Es ist die Zeit einer Umwandlung der Unterhaltunsgindustrie im
Kapitalismus. Denen sind die Musikkonsumenten als Käufer recht, als
Musikliebhaber lästig. Wahrscheinlich wird sie mit einer deftigen
Preiserhöhung reagieren, man wollte ja schon vor einigen Jahren einen CD
Preis von 50 DM anvisieren. In England ist man ja fast so weit, bzw so
tief gesunken.
We wont get fooled again.
Sangen die Who.
Will you?

Ein Thema, das mich seit geraumer Zeit beschäftigt und belastet ist die
rapide zunehmende Hörunfähigkeit Jugendlicher. Seien es die Konzerte,
die Walkman or whatever: das Hörvermö-gen eines jungen Menschen hat in
den vergangenen 20 Jahren extrem abgenommen. Man kann davon ausgehen,
daß die DJs der Love Parade (so sie keinen Hörschutz hatten) ihr ganzes
Leben lang an jene geile Zeit zurückdenken werden - mit einem ekelhaften
Klirren im Ohr. Tinitus als Generationserscheinung.

Nein, ich bin davon nicht selber betroffen, kenne aber einige Musiker,
die davon betroffen sind. Heute gibt es ja vermehrt Bands, die sich auf
der Bühne schützen - aber was ist mit dem Publi-kum, auch euren Fans
ëliveí. Wie kann man Kids beibringen, daß nicht nur laute Musik geil
ist, sonern auch ein Hörschutz. Ich liebe satte Sounds, mag wenn die
Bässe in meinen Knochen vibrieren - aber die Aufklärung über
Langzeitschäden ist noch mangelhafter als die Aufklärung über Drogen
....
Das wäre traumhaft gewesen: Die Industrie spricht auf der PopKomm den
großen Skandal an: das wachsende Hörunvermögen der Konsumenten. Und wenn
es dann heißen würde: für
eine Millionen Ohrstöpsel verzichten wir auf eine Nachwuchsband, dann
wäre das ein reeller Deal, auf den man sich einlassen könnte. Dann
bekäme die Industrie etwas Credibility zurück.

So aber, mit jenen Hetzsprüchen dieser Kampagne, setzt ihr eure
Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Copy doesnít kill music.
Musik ist.
Mit oder ohne Industrie.

Wenn dich solche Gedankengänge nicht ganz abturnen und du ein Interesse
an einem Dialog hast: Dazu bin ich jederzeit zu haben.

(Nein, es gab keine Antwort.)

---meine Anfrage---
> Von: Wau Holland
> An: versand@gruenekraft.com
> Betreff: [kris@koehntopp.de: [FYI] Coke.CH - Koks oder Cola?]
> Datum: Wed, 22 Mar 2000 19:23:38 +0100
>
> Lieber Werner,
>
> untigen Koks zur Information (FYI = for your information).
>
> Ich wuerde gern Deinen Brief an SMUDO wegen "Copy kills music"
> publizieren bei der Mailingliste debate@fitug.de, aus der auch
> das untige stammt. fitug bringt dieser Tage eine Presseerklaerung
> zum RPS, Right Protection System, der Phonoindustrie - weil das
> eine Vorstufe zur Internet-Zensur sein koennte und verhindert
> werden muss.
...