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Re: Urheberrecht usw.



On Wed, Apr 05, 2000 at 12:19:27PM +0200,
	Martin Uecker wrote:
> On Tue, Apr 04, 2000 at 06:04:26PM -0400, JOHANNESULBRICHT@cs.com wrote:
> 
> [...]
> 
> > Oberflaechlichkeiten, wo nichts dahinter ist - so gehts mir mit fast jeder 
> > CD, fast jedem Buch, fast jedem Film und Computerspiel inzwischen. Alles 
> > nicht zu Ende gedacht, weil das Geld keinen Spielraum dafuer laesst. Auch 
> > Ultima9 war voller Bugs und Britannia zu klein, das war die 
> > Marketingabteilung, garantiert.
> 
> Vielleicht liegt es aber auch daran, daß niemand auf solchen Leistungen
> aufbauend etwas besseres schaffen darf?

Ersetze 'darf' durch 'will' bzw. 'kann'. Du ueberschaetzt da die OpenSource-
Gemeinde. Die Tatsache, dass eine Monstersoftware als Open Source verfuegbar
wird, bewirkt noch lange nicht, dass auch das Produkt verbessert wird. Das
Ergebnis des Netscape-Mozilla-Projektes ist da mehr als deutlich - die
Szene hat sich kurz nach Erscheinen des Codes in Scharen auf den Code
gestuerzt; ein deutlich verbessertes Produkt ist jetzt nach zwei Jahren
nicht zu erkennen. Ultima9 waere fuer die Freaks als "mal sehen, wie das
da drinnen aussieht - welch ein Graus"-Gebilde begeisternd; die Erwartung,
dass dadurch ein fehlerfreies neues Release entstehen wuerde, ist weit
ueberzogen: 1. es gibt nur wenige Leute, die so einen Code managen koennen
- und wollen, zum 2. ist not-invented-here-Code unattraktiv, insbesondere
wenn die freiwilligen Verbesserungsaktivitaeten ohne Honorar dann in ein
Kommerzprodukt fliessen.

Auch wenn man nicht Software, sondern etwa Musik-Dateien betrachten wuerde:
Die breite Masse sind die Konsumenten, die eine MP3-Datei einfach nur fuer 
lau kopieren - es ist eine Illusion zu glauben, dass etwa, extrem angedacht,
die Verfuegbarkeit der Roh-Tracks eines Stueckes (nebst geeigneter Mixer-
Software oder -Hardware) damit ploetzlich zu Dutzenden neuartiger toller
Cover-Versionen oder Remixes fuehren wuerde - selbst wenn, waere das nur
eine "/me too"-Innovation.

Die anfaengliche Euphorie des Internets "jeder kann jetzt ein Verleger sein"
wird durch die Realitaet klar relativiert: Millionen Homepages mit einem
"Hier bin ich auch"-Image und dem gemeinsamen Urlaubsphoto am Strand und
der obligatorischen Aufnahme "Ich, mein Auto und der Wackeldackel an der
Heckscheibe".

Information wird auch jetzt nur konsumiert; kreative Nutzung ist die Ausnahme
(gilt und galt auch bereits frueher auch fuer die Scharen namenloser und
austauschbarer Me-Too-"Kuenstler", die fuer den musikalischen Einheitsbrei
der Charts verantwortlich zeichnen - es ist nur einfacher geworden, billigen
Ramsch auf den Markt zu werfen und zu obszoenen Hoechstpreisen an die
Dummkundschaft zu verscherbeln; die qualitativ wirklich kuenstlerischen
und innovativen Stuecke der letzten Jahre lassen sich an ein paar Haenden
abzaehlen).

> Vielleicht müßte man sich mal Gedanken mache, wie denn eine moderne
> Informationsökonomie funktionieren soll. Marktwirtschaft funktioniert
> perfekt, wenn es darum geht Produktionsabläufe zu optimieren. Aber
> immer wenn die Ware nicht mehr materiell ist, sondern durch rechtliche
> Einschränkungen künstlich verknappte Information, scheint mir das
> teilweise in die Hose zu gehen. Weil Informationen im Gegensatz zu rein
> materiellen Gütern eben nicht ohne weiteres durch Produkte anderer
> Hersteller ersetzt werden können, sondern jede Information ein
> Individuum ist, entstehen ja fast zwangsweise marktschädigende
> Monopole.

Information ist zu dem Zeitpunkt kein Individuum mehr, wo sie oeffentlich
und reproduzierbar wird. Das war aber auch schon vor den Wahnvorstellungen
einer Vermarktung von Information ueber ein Urheberrecht so - ein einmal
ausgesprochener Gedanke ist von da ab frei benennbar und modifizierbar.
Die Leistung des Urhebers besteht darin, eine Idee erst mal zu haben - 
wenn er sie dann publik macht, hat er sie verloren. 

> Auch ist das "Raub"kopieren ja faktisch nicht zu verhindern. Wahr-
> scheinlich *kann* man bald nicht mehr mit Informationen Geld verdienen.

Das Paradigma der Wissenschaften besteht etwa darin, Leute einmalig
dafuer zu bezahlen, dass sie ihren Kopf benutzen, um etwas Neues
herauszufinden. Das klappt hervorragend. Publiziert ist publiziert.
Die Gier der Kuenstlerschaft und ihrer Vermarktungsmafia besteht im 
Gegensatz dazu darin, sich fuer eine einzelne Idee (wenn ueberhaupt
eine Idee und nicht nur einfach ein Trittbrettfahren auf Existentem)
sich nach Moeglichkeit bis zum Sanktnimmerleinstag bezahlen zu lassen. 

Ein Maler malt ein Bild, ein Bildhauer erzeugt eine Skulptur, und das 
Ergebnis kann einmal verkauft werden an einen Maezen, und der Kuenstler
bekommt fuer sein Werkstueck einen entsprechenden Gegenwert. Ein
Handwerksmeister produziert einen Gegenstand und verkauft ihn dann
zu einem angemessenen Preis.

Und ein Musiker? Er produziert eine Tonfolge, oder kombiniert existierende
Tonfolgen neu um, und verlangt jetzt nicht nur einen Preis fuer sein
Werkstueck, sondern gleich von jedem, in dessen Ohr die Tonfolge landet,
einen Obulus, nach Moeglichkeit sogar bei jedem Hinhoeren. Das ist
dasselbe, als ob Gilette mir nicht einmalig eine Rasierklinge zur 
Bekaempfung meiner periodisch wiederauftauchenden Bartstoppeln verkaufen
wuerde, sondern jede morgendliche Nutzung einzeln bezahlt haben wollte
(und wenn ich meinen Rasierer verleihen wollte, waere das verboten, weil
der Nutzniesser ja keinen Vertrag mit Gilette haette. Man stelle sich
vor, dass ein Besteckhersteller Tantiemen fuer jedes Essen verlangen
wuerde. Bei der Musikmafia ist diese Praxis zur Reibachmaximierung
Gang und Gebe. Ich sage ja nichts dagegen, dass ein Musiker seine
Kunstwerke versilbern koennen sollte, aber dann auf der Basis eines
Werkvertrages - weil er ein Werk erstellt - nicht Abkassieren bis zum
Zusammenbruch der Kundschaft (Hinweis: wenn eine Musikgruppe ihr Werk
vor Publikum persoenlich auffuehrt, ist damit Arbeit verbunden - das
soll ruhig durch Eintrittsgelder honoriert werden - das Auflegen einer
millionsten Kopie einer CD im Radio besitzt dagegen keinerlei Wert
mehr.

Ist freilich ein beschissener Gedanke, sich vorzustellen, dass man
fuer seine kontinuierliche Arbeit bezahlt werden sollte, so wie alle
anderen Menschen auch, und nicht fuer einen einmaligen Geistesblitz
(if at all) bis 70 Jahre nach dem Tod des letzten Leichenrechtefledderers.

> Wie soll denn das funktionieren? Alle Benutzer zahlen freiwillig
> für die Information, weil ihnen ein entsprechendes Moralbewußtsein
> antrainiert wurde? Oder wir verbieten offene Computernetzwerke und
> verkaufen nur noch dumme Surfboxen, die für jeden Zugriff kassieren?

Nein. Information, wenn sie wertmaessig ueberhaupt quantifizierbar ist,
wird nach gewisser Zeit frei, wenn die Entwicklungskosten eingespielt
sind. Bei materiellen Objekten ist ein Preis durch den Mix aus 
Material- und Herstellungskosten begruendbar; Information entsteht
einfach und nur noch die Konservierung kostet; etwa das Kopieren eines
Musikstuecks auf eine CD oder ein Magnetband. Letztere Konservierungs-
operation ist aber vom Enduser bei eigenem Interesse zu bezahlen.

Holger

-- 
"Well, from what I've read, scientific studies show men tend to be better at
dealing with visual concepts, while women are better at complex linguistic
communication." - "You mean..." - "Men are from MACs, women are from VMS"
	Erwin the AI, www.userfriendly.org