[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] Zunehmende Internet-Regulierungsphantasien im BMJ



On Wed, May 03, 2000 at 08:07:23AM +0200,
	Heiko Recktenwald wrote:
> > >> Dietz hat recht. Beim Auto nennt sich das Halterhaftung. Im Internet straeubt
> > >> man sich interessanterweise gegen sowas, und schiebt Anonymitaet als
> > >> Menschenrecht vor. Das entspricht durchaus dem Gedankengut, dass Verkehrs-
> 
> Auto und Internet lassen sich ja wohl nicht vergleichen. Ein Computer ist
> auch kein Atomkraftwerk. Bei der Einfuehrung dieser Dinge gabs die
> Ueberlegung, dass bestimmte sozial erwueschte Sachen ueberhaupt nicht ohne
> Personenschaden abgehen koennen (beim Atomkraftwerk mehr rechnerisch als
> praktisch). Autos sind Mordmaschinen. Computer nicht. Halterhaftung fuer
> Computer ist so gesehen ganz abwegig.

Es ist problemlos moeglich, diverse Straftaten mit dem Computer zu begehen,
selbst wenn man den allenthalben zitierten 184 StGB weglaesst. Die Liste
der Taetigkeiten mit Computer-* (-sabotage, datendiebstahl, -betrug, etc.) 
findet sich ja auch schon in 303a und b (?, jedenfalls 30* StGB).
Wie waere es z.B. mit Beleidigung/Rufmord/Verleumdung durch Veroeffentlichen 
flascher Dinge ueber Personen im Internet, bis hin zur Volksverhetzung, Aufruf
zu anderen Straftaten (wer Salman Rushdie umbringt, darf seinen Kopf 
behalten...), Verrat von Staatsgeheimnissen, und ein paar andere Dinge, die
mir als Nichtjuristen nach einer halben Minute nicht einfallen.

Das Argument der Einfuehrung der Halterhaftung fuer Autos, weil sie 
"Mordmaschinen" seien, ist hinlaenglich als faslch bekannt (und ich werte
es als billige Polemik von gruenen Autohassern) - diese wurde nicht 
eingefuehrt, weil soviele Unfallflucht begangen haben, sondern schlicht 
weil der behoerdliche Aufwand bei *Bagatelldelikten* wie Geschwindigkeits-
uebertretungen und Ueberfahren roter Ampeln mit anschliessendem Pauschal-
protest, man sei ja gar nicht gefahren, zu hoch wurde. Insofern passt eine
Halterhaftung fuer Computer wie die Faust aufs Auge, solange es nicht, wie
bei Radarfallen, Kameras oder andere Mechanismen gibt, welche zweifelsfrei
einen Benutzer identifizieren (und die wird es kaum geben, solange wir nicht
alle eine Datenbuchse im Schaedel tragen, welche beim Login faelschungssicher
einen DNS-Fingerabdruck uebertraegt).

> > >> opfer ruhig auf ihrem Schaden sitzenbleiben sollen, weil der Taeter
> > >> einen weitergehenden Anspruch aus Anonymitaet habe als das Opfer auf
> > >> geistige oder koerperliche Unversehrtheit oder anderweitigen
> > >> Schaden.
> > >Da beginnt die Analogie langsam zu bröckeln. So könnte man ja auch im
> > >Straßenverkehr dafür plädieren, flächendeckend Videoüberwachung
> > >einzusetzen um fahrerflüchtige Täter zu fangen.

Die Tendenz dazu ist gegeben, mit Ueberwachungskameras in den Innenstaedten.
Auch beginnt langsam der Aufbau eines riesigen Telemetrienetzes, derzeit noch
mit Primitivtechnologie in Form von Sensoren an den Autobahnbruecken, welche
die Verkehrsdichte zaehlen. Eine Bekannte hat in ihrem Wagen ein Navigations-
system, bei welchem bereits ein Menupunkt vorgesehen ist, der solche Daten
nutzen koennte, um etwa Staus zu umfahren - derzeit geht das noch nicht, aber
es waere nicht eingebaut, wenn nicht mit einem Softwareupdate derartiges in
ein paar Jahren freigeschaltet werden koennte. Es gibt Diebstahlschutzsysteme
auf der Basis von GPS-Peilung und Abschaltung der Zuendung durch ein Satelliten-
signal. Das ist heute noch Hai-Tech, welches nur in teuere Autos eingebaut
wird, aber vergleichen wir die Entwicklung von Airbag, ABS, Klimaanlage, Kat und
anderem Kram - heute muss man sich anstrengen, einen Neuwagen zu bekommen,
ohne solche Ausstattung bereits als Standard zu haben. Es bedarf nur noch 
eines winzigen Anstosses durch ein geeignetes Gesetz, und wir koennen die
Position jedes einzelnen Fahrzeuges anpeilen (nebst den Dehnungsmessstreifen
im Beifahrersitz - Sie waren nicht alleine!) - Funkzellenprinzip wie bei einem
Handy, aber nicht abschaltbar; jede Manipulation fuehrt ohne Umschweife in
den Knast.

> Hier wirds spannend.
> 
> (uebrigens interessantes Delikt, die Fahrerflucht, man sollte sich
> davor hueten, das fuer selbstverstaendlich zu halten.)

Erlaeuterung?

> > Nö. Wieso? Wenn wir hier über die zivilrechtliche Seite der Sache reden
> > und den Fahrerflucht-Paragraphen außen vor lassen, genügt das Kenn-
> > zeichen, um auf den Halter zu kommen. Der Halter ist nach § 7 Straßen-
> > verkehrsgesetz grundsätzlich erst einmal zum Schadensersatz verpflichtet,
> > wenn durch sein Fahrzeug jemand geschädigt wird. (Und den Halter zu
> > ermitteln, dauert bei bekanntem Kennzeichen maximal ein paar Minuten,
> > bei nur teilbekanntem Kennzeichen wird es etwas schwieriger, aber es
> > dauert lange, bis es praktisch unmöglich wird.)
> > 
> > Ach, Du möchtest die amtlichen Kennzeichen an Kraftfahrzeugen
> > abschaffen, weil sie es ja ermöglichen, Fahrzeugbewegungen zu verfolgen?
> > 
> > >> Wenn [ISPs] einen Service anbieten, der ohne grosse Umschweife einen
> > >> Missbrauch erlaubt und in der Vergangenheit auch kraeftig missbraucht
> > >> wurde, dann sollen sie auch ruhig die Verantwortung uebernehmen.
> 
> Missbrauch, schoen und gut, Faelle sind aber nicht bekannt, oder ?

Wie definierst Du Missbrauch?

Ich betrachte es als Missbrauch, wenn mir jemand unerlaubt kommerziellen
Junk schickt, unabhaengig davon, ob ich gerade von einem Anschluss schreibe,
den ich nicht selbst bezahle. Die Unterscheidung, ob mir jemand einen
Glueckwunsch zum 1. Mai schickt oder Reklame fuer billige HP-Tonerkartuschen,
kann *ich* im Einzelfall sehr wohl treffen. Bevor wieder die gebetsmuehlenartige
Geblubber von "selber Schuld, weil Internetteilnehmer" kommt (gewissermassen
eine Art "Selbst-Gefaehrdungshaftung") - das ist kein Masstab hier. Bestimmungs-
gemaesser Gebrauch eines Messers ist es, einen anderen Gegenstand zu zerteilen;
Zerschneiden menschlichen Fleisches nicht - das ist als Missbrauch strafbar.
Ich erwarte als Teilnehmer am Internetverkehr das Einhalten gewisser 
allgemeiner Verkehrsregeln.

> > >Das entspräche eher der Variante daß die Bundespost für Briefbomben
> > >deren Absender sie nicht kennt haftet.
> > 
> > Es entspricht eher der Variante, daß die Deutsche Post AG einen
> > Verpackungs-Service für Pakete anbietet, bei dem aufgrund der
> > Beschaffenheit der Verpackung weder auf den Absender noch vor dem
> > Auspacken auf den Inhalt geschlossen werden kann. Dieser Service ist in
> > der Vergangenheit häufiger für den Versand von Paketbomben verwendet
> 
> Und worum gehts hier, anonyme Mailbomben ?

Z.B. Computersabotage, DOS-Angriff auf meinen Mailserver? Es gibt keine
explizite Hierarchie im Strafrecht, wonach Straftaten gegen Sachen irrelevant
sind und statt dessen Personenschaeden erforderlich sind, damit ein
Verbrechen wirklich als solches anerkannt ist. Im Gegenteil, vielfach ist
das Strafmass bei Delikten gegen Sachen deutlich hoeher als gegen Personen.

> > worden, die Post weiß das auch, lehnt es aber ab, Inhalte vor dem
> > Verpacken zu prüfen oder eine Absenderkennung zu vergeben, die bis zu
> > einem gewissen Grad eine Rückverfolgung ermöglichen würde.
> > 
> > Nota bene: Ich sage _nicht_, daß die Post AG dies müßte, ich will nur
> > den meiner Meinung nach etwas schiefen Vergleich verbessern.

Wenn Briefbomben ueblich im Postwesen waeren, dann wuerde die Post in jeder
Filiale Durchleuchtungsgeraete wie auf einem Flughafen aufstellen (muessen).

Im Internet-Datenverkehr existieren, mediengemaess, genuegend immaterielle 
Bombenvarianten, welche den Ruf nach einer weitergehenden Kontrolle durchaus
berechtigt erscheinen liessen.

> > >> Zumindest wuerde es auf einen Schlag das AOL-CD- und Spamming-Unwesen
> > >> beseitigen.
> > >Du willst die anderen Nebenwirkungen nicht wirklich in Kauf nehmen.
> > 
> > Ganz ehrlich: Ich ertappe mich ab und an dabei, daß ich mich frage, ob
> > ich totale Anonymität wirklich will, oder ob nicht die Nebenwirkungen
> > dieser Anonymität das größere Übel sind. Bei einer Paketbombe hat man
> 
> Welche Nebenwirkungen gibt es denn ? Verlust von "Kontrolle". Aber ist das
> etwas wirklich ernstzunehmendes oder gehts nicht eher um "Machtphantasien"
> der Behoerden ?

Die wirkliche Frage ist doch, wie glaesern wir inzwischen bereits sind, ohne
es bewusst so wahrzunehmen. Auf wievielen Fotos/Videos, in wievielen Dateien 
sind wir jeden Tag, ohne es bewusst wahrzunehmen? Wenn ich im Supermarkt
(achimreichelartig) Steak, Bier und Zigaretten kaufe, dann repraesentiere
ich damit eine bestimmte identifizierbare Bevoelkerungsgruppe (maennlicher
Singles), selbst wenn ich dann nicht mit einer Paybackkarte zahle (und vermutlich
dann demnaechst Sonderangebote fuer Fleisch, Alkoholika und Glimmstengel
im Briefkasten finde). Clarkes Petabyte (die Speicherkapazitaet, um ein 
Menschenleben in MPG/MP3 von der Wiege bis zur Bahre kontinuierlich aufzuzeichnen)
werden wir in wenigen Jahren erreicht haben, und Moores Law sagt uns voraus, 
dass wir dann auch die Rechenkapazitaet haben werden, um aus der Datenflut eines
Steak, Bier und Zigaretten kaufenden Singles in Sankt Augustin (in Verbindung
mit den Bildaufzeichnungen auf dem Supermarkparkplatz und den Telemetriedaten
der Ampel auf der Europastrasse E605) einen Holger Veit identifizieren kann
(das Beispiel hinkt natuerlich wieder: ich bin Nichtraucher...).

> Und entsprechende Phantasien der Betreiber.......

1984 wird mit 30 Jahren Verzoegerung realisierbar sein.

Holger

-- 
"Well, from what I've read, scientific studies show men tend to be better at
dealing with visual concepts, while women are better at complex linguistic
communication." - "You mean..." - "Men are from MACs, women are from VMS"
	Erwin the AI, www.userfriendly.org