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Re: [FYI] Privatisierung ARD und ZDF



On Thu, May 11, 2000 at 09:45:21AM +0200,
	Ralf Stephan wrote:
> > Der Vergleich mit Aussaat draengt sich mir auf: die
> > meisten Samen fallen auf hartes Gestein, und ab und zu mal
> > landet auch ein Koernchen auf fruchtbarem Boden, wo es sich
> > entwickeln kann. Unser Problem ist der weitverbreitete
> > Steinboden; dem kommen wir nicht durch mehr Samen und mehr
> > duenger bei. Andererseits stellen wir fest, dass sich da
> > doch unangenehmerweise *nach unserer Auffassung* eklige
> > Unkraeuter doch recht gut festsetzen koennen (z.B. Dagmars T.).
> 
> Meme-Sozialdarwinismus?  Ich schliesse mich der Pauschaleklisierung
> *nicht* an, insbes. da Pornos und Medienpioniere schon immer
> kompatibel und gegenseitig verstärkend waren.  Gibts AFAIK
> auch ein paar debate-Beiträge ca. 1998 von Holger Veit drüber <g>

;-) Ja, ich schreibe viel zu wenig Emoticons, das da vorne ist
eines der seltenen Exemplare...gut aufheben. Die Pauschalekligkeit
der Unkraeuter ist freilich die Ueberspitzung des Gutmenschentums,
der Bildung noch im klassisch-humanistischen Sinne sieht und fuer 
den ein Shakespeareloser Zlatko ebenso ein Graus ist wie ein
entbloesster Juliabusen in der Nachtigal&Lerche-Szene einer modernen
Inszenierung (muss ein halbes Jahr oder laenger her sein, dass ich
dies angesehen habe - der Tenor in der Schampuspause war einhellig,
dass solche moderne Trivialisierung und Verweltlichung des ehrwuerdigen
Stoffes generell abzulehnen sei - die Inszenierung war allerdings
durchaus schwach, aber nicht deswegen, dass sie in modernem Gewande
daherkam).

> > Konkret: einen Loesungsvorschlag sehe ich da auch nicht.
> 
> Die Fähigkeit, solche zu erkennen, ist cynischerweise gerade
> bei Werbefuzzis am ausgeprägtesten, da Psychoschule.  Warum
> nur fällt mir dann aber der Suchbegriff Müller-Hill dazu ein?

Wobei Werbefuzzi zweifellos bereits eine Negativwertung ist,
resultierend natuerlich aus einem Weltbild des hier in der Liste
vorherrschenden Bildungsbuergertums. Darin besteht doch der hier
herrschende Dissens ueber Gebuehren oder nicht fuer die OeRs:
es existiert eine intellektuelle Vorstellung ueber den Begriff
Kultur (hier sogar nur westliche Kultur), welche kollidiert mit
der gesellschaftlichen Realitaet einer "McDonaldisierten",
"verfeldbuschten" (und aehnlich attributierten/attributierbaren)
Mehrheit von Anhaengern der "Trivialitaet". Solange ein Wertemasstab
oder Bildungskanon sich apodiktisch darauf beruft, dass bestimmte
historische Gueter und Kunstwerke zum Pflichtkonsum gehoeren - warum 
eigentlich (oder umgekehrt, warum bestimmte andere nicht?) - wird
auch das Problem der Medienkompetenz (oder Mangel dessen in breiten
Schichten) nicht aufloesbar sein.

> > Okay. Wie bewirkt man Veraenderungen in einem System, welches
> > von Umweltparametern abhaengig ist und sich bereits auf diese
> > hin optimiert hat? Das System ist hinreichend adaptiv bei
> > allmaehlichen Aenderungen. Es veraendert sich doch nur dann 
> > etwas, wenn sich die Umweltbedingungen abrupt aendern. Sagt mir
> > jedenfalls die Theorie dynamischer Systeme.
> 
> Korruption als inhärente Eigenschaft dynamisch stabiler Organisationen?
> Wenn das wahr wäre (URL?), wäre Woolsey's Echelon-Entschuldigung
> widerlegt.

Korruption im Sinne von "etwas korrumpieren" d.h. das System zerstoeren oder
"sich selbst korrumpieren lassen", d.h. im System auf eigenen Vorteil
hin arbeiten?

Beide Interpretationen sind interessant, dahingehend, dass reale Systeme
(stabil?) dazu tendieren zu degenerieren, wenn keine aeusseren Einfluesse
eine weitere Entwicklung bewirken. Man kann Degeneration durchaus auch
als eine Optimierung auf ein immer enger werdendes Biotop hin ansehen;
das System wird anfaelliger. Auch wieder interessant ist dabei allerdings,
dass wir hier in der gesellschaftlichen Realitaet jetzt gerade das umgekehrte
Phaenomen feststellen: die Bandbreite wird hoeher, wenn man die durch
Tittitainment befriedigten Grundbeduerfnisse herausrechnet. Die alten
Stereotype wie den Mittelstand, den Besserverdienenden (weil besser 
Ausgebildeten - hat den Staat was gekostet, was das veraltete Modell einer
deswegen erhoehten Steuerlast rechtfertigt), den Intellektuellen, etc.
gibt es so nicht mehr; jeder gehoert zu einer Vielzahl von Gruppierungen.
Damit ist aber auch das alte Kultur-Paradigma nicht mehr ohne weiteres
anwendbar - die Konsumenten konsumieren schon, aber nicht mehr 
notwendigerweise das Konsumprodukt Bildung - und das Schlimme aus der
Sicht der Haendler dieser Ware ist, es klappt auch ohne diesen Besitz.
Dies relativiert den Wert der Ware natuerlich.
Beobachtbar ist indes auch ein Trend zu Extrempositionen - keine Frage,
wo die Bandbreite hoeher ist, differenzieren sich auch die Pole weiter
heraus.

Wenn ich also, Fazit der Beobachtung, in dieser Diskussion eher dazu
tendiere, ARD und ZDF den Zwangsgeldhahn zuzudrehen, dann ist dies nicht
billiger Populismus oder Denken an den eigenen Geldbeutel, sondern eher
ein Aufgeben der Frage, ob die Gesellschaft westlicher Praegung ueberhaupt
noch des Konzepts der (Allgemein-)Bildung bedarf. Die Frage, ob jemand
sich diese Ware kaufen sollte oder nicht, kann, selbst wenn ich selbst
Haendler und Konsument dessen bin, IMHO nicht mehr allein durch eine
kleine Intelligenz-Nomenklatura entschieden werden. 

Die Umbrueche, die wir jetzt beim Uebergang zur Internet-Weltgesellschaft
erfahren, von einer Neudefinition der Begriffe des Besitzes (Copyright,
Patente) bis zur Frage der Freiheit des Wissenserwerbs und der Information
(Nazi- und Porno-Seiten) und letztlich der individuellen Autonomie des
Menschen haengen unmittelbar mit der Frage zusammen, wie wir das
Menschsein selbst verstehen. Ich stelle mehr und mehr fest, dass
die westliche Definition nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Holger

-- 
"Well, from what I've read, scientific studies show men tend to be better at
dealing with visual concepts, while women are better at complex linguistic
communication." - "You mean..." - "Men are from MACs, women are from VMS"
	Erwin the AI, www.userfriendly.org