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Re: [FYI] The Mouse blasting privacy



Kristian Köhntopp <kris@koehntopp.de> writes:

> Gesucht ist ein Text, der zeigt, wie sich Kultur im allgemeinen
> durch Kopieren und auf kopiertem Aufsetzen definiert und dies
> speziell an unserer Kultur zeigt, ähnlich wie ich das für meine
> eigene Ausbildung am Beispiel Greyday gezeigt habe.

"Nicht mache dir Schnitzgebild" -- "Gußgötter mache dir nicht!"

Das Bildnisverbot ist auch ein Kopieverbot, und mir scheint, die
These, das Bildnisverbot wirke kulturerzeugend, läßt sich schlüssig
begründen (bei Adorno findet sich einiges dazu, glaube ich).

Selbst die lange Schrifttradition, bei der es tatsächlich um die
exakte Vervielfältigung ließ genügend Raum für die mündliche
Überlieferung, nicht zuletzt wegen der immensen Kosten der
Kopieerstellung. (Ob die schriftliche Überlieferung das wesentliche
ist? -- "Nicht weiche dieses Buch der Weisung aus deinem Mund, /
murmle darin tages und nachts, damit dus wahrest, / zu tun nach allem,
was darin geschrieben ist") Technisch betrachtet ist die mündliche
Überlieferung natürlich auch nur ein Kopievorgang, aber kein besonders
originalgetreuer, selbst wenn der Überlieferer sich bemüht, beim
Erzählen möglichst nicht als Erzähler in Erscheinung zu treten. Wenn
etwas in diesem Zusammenhang kulturstiftend wirkt, dann doch das
gegenseitige Erzählen, die interpretierende Mitteilung, die letztlich
in einen Schatz gemeinsamer Erfahrungen mündet.

Für mich stellt sich daher die umgekehrte Frage: Ist nicht die
perfekte Reproduktion der Tod der oralen Tradition? Warum soll ich
jemanden von den Ereignissen meiner Zeit berichten, wenn es doch,
selbst von Ereignissen privater Natur, vermeintlich authentische
Dokumentation in Bild und Ton gibt? Wird man das, wovon es keine
Aufzeichnungen gibt, in Zukunft überhaupt als geschehen akzeptieren?

Das interpretierende Kopieren ist mit Sicherheit eine wichtige
Kulturtechnik, aber daraus die Notwendigkeit der freien, exakten
Reproduktion beliebiger Inhalte zu folgern, ist doch ein wenig gewagt.