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The Entscheidungsproplem...oder die Amis kommen.....



Folgendes nette Filechen zur neuesten Schirrmacher craze:



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   zuru:ck Topseite 
   Gastmahl apokalyptischer Wiederka:uer Wenn junge Amis schwadronieren:
   Statt der Bibel sollten sie mehr Alan Turing lesen 
   
   Von Peter Bexte 
   
   Als Nicholas Negroponte eines Abends im Media Lab des M.I.T. Daten
   einspeiste, befiel ihn Hunger. Seufzend wa:hlte er aus dem
   Computer-Menu sein E-mail-Programm und schickte folgenden Text ab:
   "Pizza please". Kurz darauf spuckte der Drucker ein Fax aus, u:ber
   welchem quer in riesigen Lettern das Wort "PIZZA" stand. Negroponte
   nahm das Blatt und ass es auf.
   
   Wir wissen nicht, ob unser Mann davon satt geworden ist. Aus seinem
   Buch being digital erfahren wir jedoch, dass wirkliche Pizzen ihm
   eigentlich lieber seien. Der Autor dru:ckt ein gewisses Bedauern aus,
   wie lange man noch warten mu:sse, bis Nahrungsatome endgu:ltig in Bits
   verwandelt seien ("It will take a long time till we can convert them
   into bits"). Diese etwas vage Zeitangabe la:sst sich allerdings
   pra:zisieren, ja sogar auf den Tag genau angeben: Die endgu:ltige
   Konvertierung von Atomen in Bits wird stattfinden am Tag des Ju:ngsten
   Gerichts. An diesem Tag wird man Bu:cher essen, wie es im 10. Buch der
   Apokalypse des Johannes geschrieben steht: "Und ich nahm das Bu:chlein
   von der Hand des Engels und verschlangs und es war su:ss in meinem
   Munde wie Honig. Und da ichs gegessen hatte, krimmets mich im Bauch."
   (Offenbarung 10,10)
   
   Albrecht Du:rer hat die Szene in Holz gestochen. Man sieht den Engel,
   dessen Fu:sse Feuerpfeiler sind, die Land und Meer beherrschen. Er
   ha:lt das Buch zur Speisung hin, und der kniende Johannes beisst so
   selbstversta:ndlich hinein, als ob er sich in einem Media Lab befinde.
   
   Wo Bu:cher gegessen werden, sind Leiber als Papiermaschinen definiert.
   Hier wird das Gastmahl vorbereitet, in dem das fleischgewordene Wort
   erneut zu Schriftlichkeit gerinnen soll. Wo der Geist nicht mehr u:ber
   dem Wasser schwebt, weil beide nur die Zeichen "Geist" und "Wasser"
   sind. Wo Bu:cher gegessen werden, sind geheime Offenbarungen nicht
   fern.
   
   Sie erreichen uns mit Vorliebe aus den USA, insbesondere aus dem
   M.I.T. oder dem Magazin Wired. Seit Norbert Wiener 1949 die
   Mo:glichkeit ero:rterte, materielle und also auch menschliche Ko:rper
   zu faxen, wird eben diese Vorstellung periodisch neu entdeckt. Nichts
   ist schlechter u:ber seine eigene Geschichte informiert als das
   Informationszeitalter. So tra:umen seine Propheten alle Jahre wieder
   denselben Traum: Ko:rper zu faxen und Schrift zu verspeisen. Sie
   begnu:gen sich fu:r letzteres nicht mit russischem Brot oder
   Buchstabennudeln, sondern sie tun dies in apokalyptischen Worten, von
   deren Herkunft sie nichts mehr zu wissen scheinen. Es braucht
   tatsa:chlich theologische Besinnung, um zu begreifen, woher die
   apokalyptischen To:ne in den Prophezeiungen fu:rs Computerzeitalter
   kommen.
   
   Mitteilungen von dieser Art erreichen die Menschheit in einer
   eigentu:mlich ambivalenten Mischung aus Jubel einerseits: "Nun wird
   die Welt in Daten aufgelo:st!" und aus Entsetzten andererseits: "Wird
   man Mensch und Maschine danach noch unterscheiden ko:nnen?" Letztere
   Frage ist leicht zu beantworten: Natu:rlich nicht! Sofern man beide,
   Mensch und Maschine, auf Datenverarbeitung reduziert, sind sie
   selbstredend nicht mehr auseinanderzuhalten. Die naive Verwunderung,
   dass Unterscheidungen, die man vorher abgeschafft hat, anschliessend
   nicht mehr greifen, mag nicht sonderlich philosophisch sein.
   
   Jedoch hat sie eben deshalb umso gro:sseren publizistischen Erfolg.
   Jahrelang wurden in dem Cyberspace-Magazin Wired folgende Sa:tze
   diskutiert: "The central event of the 20th century is the overthrow of
   matter. The powers of mind are every-where ascendant over the brute
   force of things." Um Missversta:ndnisse zu vermeiden: Diese Sa:tze von
   der U:berwindung der Materie und von dem Aufschwung in den reinen
   Geist entstammten weder einem adventistischen Grundsatzpapier noch
   einer gnostischen Sektenschulung. Sie fanden sich auch in keinem
   dadaistischen Manifest, sondern sie bildeten die Pra:ambel zur so
   genannten Magna Charta of the Knowledge Age von 1994. Woher aber kamen
   deren theologische Verfasser?
   
   Sie rekrutierten sich aus dem Umkreis der Progress and Freedom
   Foundation (PFF). Die PFF hatte sich nach eigenem Bekunden einer
   "positiven, in den historischen Prinzipien der Amerikanischen Idee
   gegru:ndeten Zukunftsvision" verschrieben. In diesem Vorhaben wurde
   sie von diversen Computerfirmen ebenso unterstu:tzt wie vom dem
   Cyberspace-Magazin Wired. Zugleich diente die Stiftung als Thinktank
   fu:r die Republikanische Partei einerseits, fu:r die europa:ische
   Provinz andererseits. Newt Gingrich stand ihr nahe, bevor dieser
   Moralapostel wegen eines Steuervergehens in Schwierigkeiten kam und
   die "brute force of things" der eigenen Partei erfahren musste. Im
   Kontext amerikanischer Verha:ltnisse steckte also eine klare
   politische Konnotation in der zitierten Botschaft, was von Europa aus
   zumeist nicht wahrgenommen wurde.
   
   Gern wu:rde man von den skizzierten Debatten sagen, es handele sich um
   Schnee von gestern. Nur wird uns dieser Schnee alle Jahre wieder
   aufgetischt. Die Debatten um das Computerzeitalter gleichen einem
   Gastmahl fu:r Wiederka:uer.
   
   Damit sind wir erneut beim Mund angekommen, jenem Organ, dem
   Mensch-Maschine-Phantasien so leicht u:ber die Lippen gehen und das in
   apokalyptischen Restaurants Speisekarten verschlingt. Es ist ein
   eigentu:mliches Gebilde: Ort der Rede, Ort der Speise, Halbschale
   atemloser Ku:sse. Hier kommt Verschiedenes zusammen: das Wort und die
   Physis, "les mots et les choses". Weiche Zunge, harte Za:hne. Die
   Speise geht zum Mund, aus dem die Rede dringt. Nur hier begegnen sich
   Diskurs und Ko:rper auf solch einmalige Weise. Darum ist der Mund die
   physiognomisch relevante "Verzahnung" von Ko:rper und Geist, Magen und
   Hirn.
   
   Davon haben a:ltere Kulturen gewusst, indem sie rituelle Mahlzeiten
   zelebrierten. Man lese, was ein Gregor von Nyssa u:ber den Sinn des
   Wortes "Mund" im Hohen Lied zu sagen wusste! Noch das Verbot, mit
   vollem Mund zu sprechen, entha:lt einen Reflex darauf, dass hier
   Sprache und Ko:rper einander beru:hren. Der Mund ist die pra:ziseste
   Probe auf Mensch und Maschine. Dass letztere "nicht zu essen braucht",
   war fu:r Alan Turing das Charakteristikum seiner universalen Maschine.
   
   Auffa:lligerweise sind die Debatten um Auflo:sung der Materie in
   Information um andere Ko:rperteile als den Mund zentriert: um das
   Gehirn sowie um das Geschlecht. So mancher schwa:rmt von Cybersex und
   wa:hnt, dabei den Ko:rper zu verlassen. Seien wir offen: Die Sache ist
   erschu:tternd einfach. Erotische Hilfsmittel geho:ren zu den
   Urmodellen von Simulation. Es muss in der Tat nicht wundernehmen, dass
   auch heutige Simulationsmaschinen fu:r diesen Zweck genutzt werden.
   Dass Sexualita:t und Phantastereien zusammengeho:ren, ist schliesslich
   der Normalfall. So wa:re es tatsa:chlich sehr erstaunlich, wenn die in
   Jahrtausenden angereicherte Liste der technischen Hilfsmittel nicht um
   ein paar elektronische Maschinen erga:nzt wu:rde.
   The Entscheidungsproblem
   
   Der Mund jedoch hat seine eigene Tragik. Niemand hat dies deutlicher
   zum Ausdruck gebracht als Alan Turing, der nicht nur das Wort Zyankali
   im Mund gefu:hrt hat, sondern einen in dieser Substanz getra:nkten
   Apfel an die Lippen setzte, um dem bedra:ngten Leben ein Ende zu
   machen. Turing hatte 1937 jenen beru:hmten Aufsatz von der universalen
   Maschine geschrieben, die "nicht zu essen braucht" von der bitteren
   Speise. Auf ihn berufen sich alle, die eine Universalisierung der
   Maschine prophezeien. Begeisterung oder Entsetzen (je nachdem) u:ber
   das Stichwort "universal" sind sogar derart gross, dass der Titel des
   Aufsatzes immer wieder vergessen wird. Darum sei er in voller La:nge
   zitiert: "On computable numbers, with an application to the
   Entscheidungsproblem." Der deutschsprachige Ausdruck darin entstammt
   einer reizvollen englischen Fremdwortsammlung wie "the Blitzkrieg"
   oder "the Kindergarten". Das Wort "the Entscheidungsproblem" ging auf
   eine Formulierung des Mathematikers Hilbert zuru:ck. Seine 1931
   aufgestellte Frage war, ob man beweisen ko:nne, dass alles
   mathematisch Formulierbare auch entschieden werden ko:nne. Auf diese
   Frage hat es zwei grosse negative Antworten gegeben. Die erste stammte
   von Kurt Go:del, die zweite von Turing. Beide kamen zum dem fu:r
   Hilbert und fu:r alle strenge Logik katastrophalen Ergebnis, dass es
   formal unentscheidbare Sa:tze gibt.
   
   Dies hat Konsequenzen fu:r die Idee einer Universalen Logischen
   Rechenmaschine, wie Turing sie postuliert hat und die seitdem sta:ndig
   missverstanden wurde. Ihre Universalita:t bezieht sich na:mlich nur
   darauf, dass sie das gesamte Universum aller mo:glichen logischen
   Rechenmaschinen darstellen kann. Sie bezieht sich keinesfalls auf
   sa:mtliche mo:glichen Fragen dieser Welt. Im Gegenteil war es gerade
   Turings Erfolg gewesen, eine Grenze zwischen den entscheidbaren und
   den nicht-entscheidbaren Fragen zu ziehen. Letztere stehen auf einem
   anderen Blatt.
   
   Diesen Punkt zu vergessen, ero:ffnet eine immer wieder erstaunliche
   Gemeinsamkeit von Freund und Feind in den Debatten um die Zukunft der
   Informationsgesellschaft. Die irrige Vorstellung, dass Maschinen die
   komplette Entscheidungsgewalt u:bernehmen ko:nnten, veranlasste den
   Mathematiker Theodore Kaczynski dazu, Kollegen in die Luft zu sprengen
   und zum Unabomber zu mutieren. Seine Kritiker wie zum Beispiel Bill
   Joy sind jedoch exakt derselben Meinung. Sie wissen daher nur eine
   a:usserlich bleibende Moral vorzutragen und lassen sehr an Konsequenz
   vermissen. Denn sie folgen keineswegs dem Vorschlag des Theologen
   Gottfried Wilhelm Leibniz: diese Moral ihrerseits von einer Maschine
   entscheiden zu lassen. Damit na:mlich wa:re sogleich die Frage nach
   Entscheidbarkeit oder Nicht-Entscheidbarkeit gestellt, kurz: "the
   Entscheidungsproblem".
   
   Es gibt prinzipiell nicht-entscheidbare Fragen. Auf diesen Satz hat
   Heinz von Foerster, Begru:nder einer Kybernetik zweiter Ordnung, stets
   hingewiesen. Es gibt solche nicht-entscheidbaren Fragen innerhalb von
   Mathematik und Logik, es gibt sie ausserhalb. Man lasse den gro:ssten
   Supercomputer aller Zeiten zu entscheiden suchen, ob der Satz "ich
   lu:ge" wahr oder falsch sei (wenn er wahr ist, ist er falsch, das
   heisst wahr, also falsch usw.)! Man bedenke all die
   nicht-entscheidbaren Fragen, u:ber welche Wittgenstein im Schlusssatz
   des Tractatus ein Schweigen verha:ngte, dem sein eigenes Spa:twerk
   widersprach: die Fragen der Ethik, A:sthetik und Religion. All diese
   Fragen sind formal nicht entscheidbar, vielmehr bedu:rfen sie eines
   menschlichen Entschlusses. Diesen prinzipiellen Graben wird keine noch
   so sehr gesteigerte Hardware jemals u:berspringen ko:nnen. Hier nu:tzt
   keine vage Verschiebung des Problems in die Zukunft. Ganz im
   Gegenteil: Ist doch die Frage der Zukunft ihrerseits durch die
   Chaostheorie in Frage gestellt worden. Seitdem wissen wir: Prognosen
   u:ber die zuku:nftige Entwicklung chaotischer Systeme sind prinzipiell
   nicht-entscheidbar.
   
   Bange machen gilt nicht - nun fa:ngt der Spass erst an. Wie
   entzu:ckend sind die Kenntnisse, die mancher u:ber die Zukunft des
   chaotischen Systems der Welt verbreitet! Staunend steht der Leser vor
   den Zeitpla:nen, die ein Hans Moravec fu:r die sukzessive
   Machtu:bernahme der Roboter aufstellt. Wie in einer sozialistischen
   Planwirtschaft gibt es hier eine ordentliche zeitliche Staffelung: in
   50 Jahren dies, in 100 Jahren jenes . Woher hat der Mann solch
   herrliche Sehergabe? Vielleicht liegt alles daran, dass Moravec mit
   einer Theologin verheiratet ist, denn diese Dinge mu:ssen ihm aus dem
   Jenseits mitgeteilt worden sein. Menschen-mo:gliches Wissen ist es
   nicht.
   
   Genau damit aber hatten die modernen Naturwissenschaften einmal
   begonnen: mit der Frage nach einem Menschen-mo:glichen Wissen. Am
   Anfang dieser Wissensformation stehen ein Erkenntnisverzicht und die
   Berufung auf ein Nicht-Wissen: Wir wissen nicht, was Gott ist; wir
   klammern die metaphysischen Ra:tsel aus und halten uns an das irdisch
   Mo:gliche. Neuzeitliche Naturwissenschaften haben ein skeptisches
   Fundament. An diese grundlegende Skepsis ist zu erinnern, bevor die
   na:chste Talk-Show der Progress and Freedom Foundation anhebt.
   
   
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   Copyright (c) Frankfurter Rundschau 2000
   Dokument erstellt am 17.07.2000 um 21:03:55 Uhr
   Erscheinungsdatum 23.06.2000
   
   
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