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The Entscheidungsproplem...oder die Amis kommen.....
- To: debate@fitug.de
- Subject: The Entscheidungsproplem...oder die Amis kommen.....
- From: Heiko Recktenwald <uzs106@ibm.rhrz.uni-bonn.de>
- Date: Wed, 19 Jul 2000 10:54:28 +0200 (CEST)
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- Sender: owner-debate@fitug.de
Folgendes nette Filechen zur neuesten Schirrmacher craze:
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zuru:ck Topseite
Gastmahl apokalyptischer Wiederka:uer Wenn junge Amis schwadronieren:
Statt der Bibel sollten sie mehr Alan Turing lesen
Von Peter Bexte
Als Nicholas Negroponte eines Abends im Media Lab des M.I.T. Daten
einspeiste, befiel ihn Hunger. Seufzend wa:hlte er aus dem
Computer-Menu sein E-mail-Programm und schickte folgenden Text ab:
"Pizza please". Kurz darauf spuckte der Drucker ein Fax aus, u:ber
welchem quer in riesigen Lettern das Wort "PIZZA" stand. Negroponte
nahm das Blatt und ass es auf.
Wir wissen nicht, ob unser Mann davon satt geworden ist. Aus seinem
Buch being digital erfahren wir jedoch, dass wirkliche Pizzen ihm
eigentlich lieber seien. Der Autor dru:ckt ein gewisses Bedauern aus,
wie lange man noch warten mu:sse, bis Nahrungsatome endgu:ltig in Bits
verwandelt seien ("It will take a long time till we can convert them
into bits"). Diese etwas vage Zeitangabe la:sst sich allerdings
pra:zisieren, ja sogar auf den Tag genau angeben: Die endgu:ltige
Konvertierung von Atomen in Bits wird stattfinden am Tag des Ju:ngsten
Gerichts. An diesem Tag wird man Bu:cher essen, wie es im 10. Buch der
Apokalypse des Johannes geschrieben steht: "Und ich nahm das Bu:chlein
von der Hand des Engels und verschlangs und es war su:ss in meinem
Munde wie Honig. Und da ichs gegessen hatte, krimmets mich im Bauch."
(Offenbarung 10,10)
Albrecht Du:rer hat die Szene in Holz gestochen. Man sieht den Engel,
dessen Fu:sse Feuerpfeiler sind, die Land und Meer beherrschen. Er
ha:lt das Buch zur Speisung hin, und der kniende Johannes beisst so
selbstversta:ndlich hinein, als ob er sich in einem Media Lab befinde.
Wo Bu:cher gegessen werden, sind Leiber als Papiermaschinen definiert.
Hier wird das Gastmahl vorbereitet, in dem das fleischgewordene Wort
erneut zu Schriftlichkeit gerinnen soll. Wo der Geist nicht mehr u:ber
dem Wasser schwebt, weil beide nur die Zeichen "Geist" und "Wasser"
sind. Wo Bu:cher gegessen werden, sind geheime Offenbarungen nicht
fern.
Sie erreichen uns mit Vorliebe aus den USA, insbesondere aus dem
M.I.T. oder dem Magazin Wired. Seit Norbert Wiener 1949 die
Mo:glichkeit ero:rterte, materielle und also auch menschliche Ko:rper
zu faxen, wird eben diese Vorstellung periodisch neu entdeckt. Nichts
ist schlechter u:ber seine eigene Geschichte informiert als das
Informationszeitalter. So tra:umen seine Propheten alle Jahre wieder
denselben Traum: Ko:rper zu faxen und Schrift zu verspeisen. Sie
begnu:gen sich fu:r letzteres nicht mit russischem Brot oder
Buchstabennudeln, sondern sie tun dies in apokalyptischen Worten, von
deren Herkunft sie nichts mehr zu wissen scheinen. Es braucht
tatsa:chlich theologische Besinnung, um zu begreifen, woher die
apokalyptischen To:ne in den Prophezeiungen fu:rs Computerzeitalter
kommen.
Mitteilungen von dieser Art erreichen die Menschheit in einer
eigentu:mlich ambivalenten Mischung aus Jubel einerseits: "Nun wird
die Welt in Daten aufgelo:st!" und aus Entsetzten andererseits: "Wird
man Mensch und Maschine danach noch unterscheiden ko:nnen?" Letztere
Frage ist leicht zu beantworten: Natu:rlich nicht! Sofern man beide,
Mensch und Maschine, auf Datenverarbeitung reduziert, sind sie
selbstredend nicht mehr auseinanderzuhalten. Die naive Verwunderung,
dass Unterscheidungen, die man vorher abgeschafft hat, anschliessend
nicht mehr greifen, mag nicht sonderlich philosophisch sein.
Jedoch hat sie eben deshalb umso gro:sseren publizistischen Erfolg.
Jahrelang wurden in dem Cyberspace-Magazin Wired folgende Sa:tze
diskutiert: "The central event of the 20th century is the overthrow of
matter. The powers of mind are every-where ascendant over the brute
force of things." Um Missversta:ndnisse zu vermeiden: Diese Sa:tze von
der U:berwindung der Materie und von dem Aufschwung in den reinen
Geist entstammten weder einem adventistischen Grundsatzpapier noch
einer gnostischen Sektenschulung. Sie fanden sich auch in keinem
dadaistischen Manifest, sondern sie bildeten die Pra:ambel zur so
genannten Magna Charta of the Knowledge Age von 1994. Woher aber kamen
deren theologische Verfasser?
Sie rekrutierten sich aus dem Umkreis der Progress and Freedom
Foundation (PFF). Die PFF hatte sich nach eigenem Bekunden einer
"positiven, in den historischen Prinzipien der Amerikanischen Idee
gegru:ndeten Zukunftsvision" verschrieben. In diesem Vorhaben wurde
sie von diversen Computerfirmen ebenso unterstu:tzt wie vom dem
Cyberspace-Magazin Wired. Zugleich diente die Stiftung als Thinktank
fu:r die Republikanische Partei einerseits, fu:r die europa:ische
Provinz andererseits. Newt Gingrich stand ihr nahe, bevor dieser
Moralapostel wegen eines Steuervergehens in Schwierigkeiten kam und
die "brute force of things" der eigenen Partei erfahren musste. Im
Kontext amerikanischer Verha:ltnisse steckte also eine klare
politische Konnotation in der zitierten Botschaft, was von Europa aus
zumeist nicht wahrgenommen wurde.
Gern wu:rde man von den skizzierten Debatten sagen, es handele sich um
Schnee von gestern. Nur wird uns dieser Schnee alle Jahre wieder
aufgetischt. Die Debatten um das Computerzeitalter gleichen einem
Gastmahl fu:r Wiederka:uer.
Damit sind wir erneut beim Mund angekommen, jenem Organ, dem
Mensch-Maschine-Phantasien so leicht u:ber die Lippen gehen und das in
apokalyptischen Restaurants Speisekarten verschlingt. Es ist ein
eigentu:mliches Gebilde: Ort der Rede, Ort der Speise, Halbschale
atemloser Ku:sse. Hier kommt Verschiedenes zusammen: das Wort und die
Physis, "les mots et les choses". Weiche Zunge, harte Za:hne. Die
Speise geht zum Mund, aus dem die Rede dringt. Nur hier begegnen sich
Diskurs und Ko:rper auf solch einmalige Weise. Darum ist der Mund die
physiognomisch relevante "Verzahnung" von Ko:rper und Geist, Magen und
Hirn.
Davon haben a:ltere Kulturen gewusst, indem sie rituelle Mahlzeiten
zelebrierten. Man lese, was ein Gregor von Nyssa u:ber den Sinn des
Wortes "Mund" im Hohen Lied zu sagen wusste! Noch das Verbot, mit
vollem Mund zu sprechen, entha:lt einen Reflex darauf, dass hier
Sprache und Ko:rper einander beru:hren. Der Mund ist die pra:ziseste
Probe auf Mensch und Maschine. Dass letztere "nicht zu essen braucht",
war fu:r Alan Turing das Charakteristikum seiner universalen Maschine.
Auffa:lligerweise sind die Debatten um Auflo:sung der Materie in
Information um andere Ko:rperteile als den Mund zentriert: um das
Gehirn sowie um das Geschlecht. So mancher schwa:rmt von Cybersex und
wa:hnt, dabei den Ko:rper zu verlassen. Seien wir offen: Die Sache ist
erschu:tternd einfach. Erotische Hilfsmittel geho:ren zu den
Urmodellen von Simulation. Es muss in der Tat nicht wundernehmen, dass
auch heutige Simulationsmaschinen fu:r diesen Zweck genutzt werden.
Dass Sexualita:t und Phantastereien zusammengeho:ren, ist schliesslich
der Normalfall. So wa:re es tatsa:chlich sehr erstaunlich, wenn die in
Jahrtausenden angereicherte Liste der technischen Hilfsmittel nicht um
ein paar elektronische Maschinen erga:nzt wu:rde.
The Entscheidungsproblem
Der Mund jedoch hat seine eigene Tragik. Niemand hat dies deutlicher
zum Ausdruck gebracht als Alan Turing, der nicht nur das Wort Zyankali
im Mund gefu:hrt hat, sondern einen in dieser Substanz getra:nkten
Apfel an die Lippen setzte, um dem bedra:ngten Leben ein Ende zu
machen. Turing hatte 1937 jenen beru:hmten Aufsatz von der universalen
Maschine geschrieben, die "nicht zu essen braucht" von der bitteren
Speise. Auf ihn berufen sich alle, die eine Universalisierung der
Maschine prophezeien. Begeisterung oder Entsetzen (je nachdem) u:ber
das Stichwort "universal" sind sogar derart gross, dass der Titel des
Aufsatzes immer wieder vergessen wird. Darum sei er in voller La:nge
zitiert: "On computable numbers, with an application to the
Entscheidungsproblem." Der deutschsprachige Ausdruck darin entstammt
einer reizvollen englischen Fremdwortsammlung wie "the Blitzkrieg"
oder "the Kindergarten". Das Wort "the Entscheidungsproblem" ging auf
eine Formulierung des Mathematikers Hilbert zuru:ck. Seine 1931
aufgestellte Frage war, ob man beweisen ko:nne, dass alles
mathematisch Formulierbare auch entschieden werden ko:nne. Auf diese
Frage hat es zwei grosse negative Antworten gegeben. Die erste stammte
von Kurt Go:del, die zweite von Turing. Beide kamen zum dem fu:r
Hilbert und fu:r alle strenge Logik katastrophalen Ergebnis, dass es
formal unentscheidbare Sa:tze gibt.
Dies hat Konsequenzen fu:r die Idee einer Universalen Logischen
Rechenmaschine, wie Turing sie postuliert hat und die seitdem sta:ndig
missverstanden wurde. Ihre Universalita:t bezieht sich na:mlich nur
darauf, dass sie das gesamte Universum aller mo:glichen logischen
Rechenmaschinen darstellen kann. Sie bezieht sich keinesfalls auf
sa:mtliche mo:glichen Fragen dieser Welt. Im Gegenteil war es gerade
Turings Erfolg gewesen, eine Grenze zwischen den entscheidbaren und
den nicht-entscheidbaren Fragen zu ziehen. Letztere stehen auf einem
anderen Blatt.
Diesen Punkt zu vergessen, ero:ffnet eine immer wieder erstaunliche
Gemeinsamkeit von Freund und Feind in den Debatten um die Zukunft der
Informationsgesellschaft. Die irrige Vorstellung, dass Maschinen die
komplette Entscheidungsgewalt u:bernehmen ko:nnten, veranlasste den
Mathematiker Theodore Kaczynski dazu, Kollegen in die Luft zu sprengen
und zum Unabomber zu mutieren. Seine Kritiker wie zum Beispiel Bill
Joy sind jedoch exakt derselben Meinung. Sie wissen daher nur eine
a:usserlich bleibende Moral vorzutragen und lassen sehr an Konsequenz
vermissen. Denn sie folgen keineswegs dem Vorschlag des Theologen
Gottfried Wilhelm Leibniz: diese Moral ihrerseits von einer Maschine
entscheiden zu lassen. Damit na:mlich wa:re sogleich die Frage nach
Entscheidbarkeit oder Nicht-Entscheidbarkeit gestellt, kurz: "the
Entscheidungsproblem".
Es gibt prinzipiell nicht-entscheidbare Fragen. Auf diesen Satz hat
Heinz von Foerster, Begru:nder einer Kybernetik zweiter Ordnung, stets
hingewiesen. Es gibt solche nicht-entscheidbaren Fragen innerhalb von
Mathematik und Logik, es gibt sie ausserhalb. Man lasse den gro:ssten
Supercomputer aller Zeiten zu entscheiden suchen, ob der Satz "ich
lu:ge" wahr oder falsch sei (wenn er wahr ist, ist er falsch, das
heisst wahr, also falsch usw.)! Man bedenke all die
nicht-entscheidbaren Fragen, u:ber welche Wittgenstein im Schlusssatz
des Tractatus ein Schweigen verha:ngte, dem sein eigenes Spa:twerk
widersprach: die Fragen der Ethik, A:sthetik und Religion. All diese
Fragen sind formal nicht entscheidbar, vielmehr bedu:rfen sie eines
menschlichen Entschlusses. Diesen prinzipiellen Graben wird keine noch
so sehr gesteigerte Hardware jemals u:berspringen ko:nnen. Hier nu:tzt
keine vage Verschiebung des Problems in die Zukunft. Ganz im
Gegenteil: Ist doch die Frage der Zukunft ihrerseits durch die
Chaostheorie in Frage gestellt worden. Seitdem wissen wir: Prognosen
u:ber die zuku:nftige Entwicklung chaotischer Systeme sind prinzipiell
nicht-entscheidbar.
Bange machen gilt nicht - nun fa:ngt der Spass erst an. Wie
entzu:ckend sind die Kenntnisse, die mancher u:ber die Zukunft des
chaotischen Systems der Welt verbreitet! Staunend steht der Leser vor
den Zeitpla:nen, die ein Hans Moravec fu:r die sukzessive
Machtu:bernahme der Roboter aufstellt. Wie in einer sozialistischen
Planwirtschaft gibt es hier eine ordentliche zeitliche Staffelung: in
50 Jahren dies, in 100 Jahren jenes . Woher hat der Mann solch
herrliche Sehergabe? Vielleicht liegt alles daran, dass Moravec mit
einer Theologin verheiratet ist, denn diese Dinge mu:ssen ihm aus dem
Jenseits mitgeteilt worden sein. Menschen-mo:gliches Wissen ist es
nicht.
Genau damit aber hatten die modernen Naturwissenschaften einmal
begonnen: mit der Frage nach einem Menschen-mo:glichen Wissen. Am
Anfang dieser Wissensformation stehen ein Erkenntnisverzicht und die
Berufung auf ein Nicht-Wissen: Wir wissen nicht, was Gott ist; wir
klammern die metaphysischen Ra:tsel aus und halten uns an das irdisch
Mo:gliche. Neuzeitliche Naturwissenschaften haben ein skeptisches
Fundament. An diese grundlegende Skepsis ist zu erinnern, bevor die
na:chste Talk-Show der Progress and Freedom Foundation anhebt.
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Copyright (c) Frankfurter Rundschau 2000
Dokument erstellt am 17.07.2000 um 21:03:55 Uhr
Erscheinungsdatum 23.06.2000
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