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BVerfG: Urheberrecht / Kunstfreiheit



"...Dabei ist grundlegend zu beachten, dass mit der Veröffentlichung ein Werk 
nicht mehr allein seinem Inhaber zur Verfügung steht. Vielmehr tritt es 
bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem 
eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden 
Faktor werden. Es löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen 
Verfügbarkeit und wird geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfGE 79, 29 
<42>). Dies ist einerseits die innere Rechtfertigung für die zeitliche 
Begrenzung des Urheberschutzes, andererseits führt dieser Umstand auch dazu, 
dass das Werk umso stärker als Anknüpfungspunkt für eine künstlerische 
Auseinandersetzung dienen kann, je mehr es seine gewünschte gesellschaftliche 
Rolle erfüllt. Diese gesellschaftliche Einbindung der Kunst ist damit 
gleichzeitig Wirkungsvoraussetzung für sie und Ursache dafür, dass die 
Künstler in gewissem Maß Eingriffe in ihre Urheberrechte durch andere 
Künstler als Teil der sich mit dem Kunstwerk auseinander setzenden 
Gesellschaft hinzunehmen haben. Zur Bestimmung des zulässigen Umfangs dieser 
Eingriffe dienen die Schrankenbestimmungen des Urheberrechts (§§ 45 ff. 
UrhG), die ihrerseits aber wieder im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen sind 
und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen - auch verfassungsrechtlich - 
geschützten Interessen schaffen müssen. Dem Interesse der 
Urheberrechtsinhaber vor Ausbeutung ihrer Werke ohne Genehmigung zu fremden 
kommerziellen Zwecken steht das durch die Kunstfreiheit geschützte Interesse 
anderer Künstler gegenüber, ohne die Gefahr von Eingriffen finanzieller oder 
inhaltlicher Art in einen künstlerischen Dialog und Schaffensprozess zu 
vorhandenen Werken treten zu können.
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Steht - wie vorliegend - ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne 
die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile (z.B. Absatzrückgänge, vgl. 
hierzu BGH, GRUR 1959, S. 197 <200>) der künstlerischen Entfaltungsfreiheit 
gegenüber, so haben die Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber im 
Vergleich zu den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Auseinandersetzung 
zurückzutreten..."

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20000629_1bvr082598