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Re: Softwarepatente



> Es wird immer wieder behauptet, die Patentaemter wuerden 
> "Softwarepatente" erteilen, also Patente auf Software. Stimmt das 
> eigentlich im strengen Sinne?

Eine entscheidende Frage.
Antwort, trotz aller weit verbreiteten Verwirrung: 
Ja.
Begruendung s. unten

> Also, ich habe in einem _erteilten_ Patent noch _nie_ einen 
> Patentanspruch gesehen, der etwa wie folgt aussieht:
> 
> ------------------------------- CUT --------------------------------
> 
> 1. Computerprogramm, bestehend aus folgender Befehlsfoge:
>
> public class JasminVisitor implements Visitor, Constants {
>   private JavaClass       clazz;
>   private PrintWriter     out;
>   private String          class_name;
>   private ConstantPoolGen cp;

Natuerlich nicht.  Patentrecht ist nicht Urheberrecht.

In der Patentpraxis des EPA seit 1997 sieht das etwa so aus

	1. System aus einem Mittel zur Darstellung, einem Mittel zur
	   Kommunikation, ...
	...
	4. Verfahren,  
	....        
	17. Computerprogramm, welches obiges Verfahren ermoeglicht
	

oder

	Computerprogrammprodukt, dadurch gekennzeichnet, dass ein ...

> Selbst wenn irgendwo auf der Welt ein Patentamt sich finden wuerde, 
> einen derartigen Anspruch zu gewaehren, muesste der Anmelder (bzw. 
> dessen Vertreter) schon mit dem Klammebeutel gepudert sein, sich 
> darauf einzulassen, denn der Schutzbereich waere um eine bestimmte 
> linguistische Ausdrucksform herum zentriert und darum anfaellig fuer 
> Umgehungsloesungen.

Eben.
Deshalb waere obige Anspruchsformulierung in sich widersinnig.
Das waere, als wenn man den Anspruch auf einen bestimmten Typ von
Verbrennungsmotor folgendermassen schreibt:

	1.  der Verbrennungsmotor AC 547, definiert
            durch das beiliegende Foto 

> Was es natuerlich en masse gibt, sind Patentansprueche, die 
> _Algorithmen_ beinhalten. Algorithmen sind im patentrechtlichen 
> Kontext eine Abstraktion ueber einer Klasse von bei der Ausfuehrung 
> in gleicher Weise wirkenden sprachlichen Ausdrucksformen und daher 
> schwerer zu umgehen.

Wenn ich sage "Anspruch auf ein Computerprogramm", meine ich natuerlich
"Ansrpuch auf eine Klasse von Computerprogrammen".  Ebenso wie ich mit
"Anspruch auf ein Produkt" nicht meine "Anspruch auf das Produkt auf dem
beliegenden Foto" sondern "Anspruch auf eine Klasse von Produkten der
unten beschriebenen Bauart".

Beim EPA sind, wie oben gezeigt, auch Ansprueche auf Computerprogramme
seit 1997 zugelassen.

Und auch vor 1997 hat es sie in versteckter Form gegeben.

Auch dann, wenn ich ein Verfahren beanspruche, muss ich bei der Verfolgung
der Verletzung letztlich einen Gegenstand finden, dessen Anwendung oder
Weitergabe ich verbieten kann. Schon vor 1997 war dieser Gegenstand, auf
dessen Monopolisierung das Patent zielt, ein Computerprogramm.  Genauer:
eine "Klasse von Computerprogrammen".  Die "Klasse" ist hierbei aber eine
im Patentrecht implizite Selbstverstaendlichkeit.

> Wenn man den Begriff des Algorithmus ganz weit auffasst und 
> insbesondere nicht auf die IT beschraenkt, gehoert auch ein 
> chemisches "Kochrezept" (Sprich: ein chemisches Verfahren zur 
> Synthese von XYZ) dazu: Man nehme ... und koche ... und ruehre .... 
> usw.usf. Kontrovers geworden sind insbesondere im Hinblick auf die 
> langfristigen Ueberlebensaussichten geGNUter Open Source Software 
> Patentansprueche mit solchen Algorithmen, die ueblichewerweise auf v. 
> Neumann'schen Universalrechnern auszufuehren sind, beispielsweise ein 
> Verfahren zum Komprimieren von Bilddaten usw. usf.  

Kontrovers ist vor allem, wenn Patentansprueche nicht auf einen
materiellen Produktionsapparat sonder auf ein Computerprogramm als solches
zielen, d.h. dessen Weitergabe zu kontrollieren suchen.

Das ist wie wenn man die Weitergabe des Kochrezepts oder einer
Patentschrift verhindern wollte.

In der Chemie richten sich Patente nicht auf Kochrezepte sondern auf nicht
replizierbare Industrieprodukte, die mithilfe industrieller Verfahren
erzeugt werden.

Ein chemisches Verfahren laeuft ueberdies nicht auf einem Neumannschen
Universalrechner.  Dann waere das Produkt naemlich leicht replizierbar.
 
> Die bisherige politische Softwarepatentdebatte zentriert sich - 
> soweit ich es erkennen kann - um die Frage, ob es den Patentaemtern 
> erlaubt sein soll, Patentansprueche zu _erteilen_, die solche  
> algorithmenartigen Merkmale enthalten, welche normalerweise auf die 
> Ausfuehrung mittels eines v. Neumann'schen Universalrechners zielen. 
> Von Patenten, die derartige Ansprueche beinhalten, sagt man im 
> neueren Sprachgebrauch, es seien "Softwarepatente". Eigentlich sind 
> es "informationstechnische Algorithmenpatente".

Die bezeichnung "Softwarepatente" gefaellt mir besser als die von dir
vorgeschlagene Alternative.  Sie sagt naemlich klar, auf welche Klasse von
Gegenstaenden der Monopolisierungsanspruch zielt.

Eine ebenso praegnante Alternativbezeichnung waere "Programmlogikpatente".  
Dadurch wird klar gemacht, um welche Art von Erfindungsleistung es sich
handelt.  Naemlich eine, die sich im logischen Bereich eines Systems
abspielt, das aus Physik und Logik besteht. Um die Verwendung solcher
Erfindungen zu kontrollieren, wird man versuchen, auf die Klasse der
Computerprogramme zielen, sofern das Gesetz dies erlaubt.

> Soweit diese Debatte nicht nur polemisch, sondern auf akzeptablem
> fachlichen Niveau gefuehrt worden ist, scheint deutlich geworden zu
> sein, dass es bislang auch niemandem aus dem Lager der Kritiker der
> bisherigen Patentpraxis gelungen ist, ein konhaerentes ueberzeugendes
> Begriffsraster vorzuschlagen, mit dem in Patentanspruechen zwischen
> markrooekonomisch mit positiven (zumindest ohne gravierende negative)  
> Folgen monopolisierbaren Algorithmen (hier wieder im weitesten Sinne
> verstanden) wie chemischen Verfahren und makrooekonomisch nur mit
> negativen Folgen monopolisierbaren Algorithmen (z.B. solche, die
> normalerweise nur auf v. Neumann'schen Universalrechnern ausgefuehrt
> werden) unterschieden werden kann.

Als entscheidendes Kriterium habe ich seit einiger Zeit die Kopierbarkeit
/ Replizierbarkeit vorgeschlagen.

Ein Kochrezept kann nicht Gegenstand von Patentanspruechen sein.  Wohl
aber die Nutzung dieses Rezepts zur Erzeugung nicht-replizierbarer
materieller Gueter.  Eine solche Nutzung erfordert naemlich einen
industriellen Kontext, in dem das ganze makrooekonomisch meist nicht
besonders schaedlich ist.

> Die Ursache hierfuer liegt darin, dass sowohl die proprietaere
> Kraftstoffeinspritzung in einem Verbrennungsmotor als auch die
> Darstellung eines Grafik-Objektes auf einem Bildschirm eines LINUX-PCs
> auf der gleichen Sorte von Universalmaschine abgewickelt wird. Ich
> sehe keine Moeglichkeit einer stringenten Unterscheidung im
> Erteilungsverfahren mehr.

Die Weiterentwicklung von Programmen zur Steuerung der
Kraftstoffeinspritzung sollte nicht durch Patente behindert werden. Auf
den Vertrieb kompletter Motoren hingegen koennte Patente durchaus zielen,
ohne Schaden anzurichten.

Die Frage ist also nicht so sehr:  
	Welches Verfahren wird patentiert?
sondern:  
	Welche Klasse von Gegenstaenden stellt eine
	Patentverletzung dar, gegen die ich als Patentinhaber vorgehen
	darf?

Normalerweise ist letztere Klasse in Patentanspruechen anzugeben, z.B.
in der Form

	"Computerprogramm, welches ... "

Hierbei ist entscheidend, dass in Theorie und Praxis die Klasse
"Computerprogramm, ... " nicht vorkommen darf.

Im Extremfall waere ein Verfahrensanspruch

	"Audiokompressionsverfahren, dadurch gekennzeichnet, dass
	... "

zulaessig, aber er waere nicht gegen Computerprogramme aber vielleicht
gegen MP3-Abspielgeraete gegen durchsetzbar.

M.a.W. wir wuerden ein Programmlogikpatent gewaehren, aber seine
Verwendung als Softwarepatent nicht erlauben.

Das mag fuer den Patentinhaber (und den absolute Monopole gewohnten
Patentanwalt) unbefriedigend erscheinen, aber es ist nicht inkohaerent.

Die Beschraenkung auf materielle Klassen von Gegenstaenden (wie z.B.
MP3-Abspielgeraete, im Gegensatz zu immateriellen Informationsstrukturen,
wie ein Computerprogramm sie darstellt) wuerde, bei konsequenter
Durchfuehrung, dafuer sorgen, dass gewisse oekonomisch unschaedliche
Algorithmenpatente erteilt und genutzt werden koennen, aber genau in dem
Masse, wie davon auch immaterielle Gegenstandsklassen betroffen sind, der
Wert des Patentes langsam abstirbt.  D.h. das Patent waere dann nur
insoweit wertvoll, wie es volkswirtschaftlich tragbar ist.

Ein 20-jaehriges Monopol auf MP3-Abspielgeraete oder Verbrennungsmotoren
mit einer bestimmten Steuerungslogik haette auch dann noch einen grossen
Wert, wenn die funktional aequivalenten "Computerprogramme als solche"
davon nicht beruehrt wuerden und nach wie vor auf Neumannschen
Universalrechnern frei benutzt werden duerften.

Natuerlich besteht fuer Liebhaber der aeussersten Konsequenz auch die
Moeglichkeit, gestuetzt auf die beim BGH bis vor kurzem uebliche
"Kerntheorie", jegliches MP3-Patent oder Motorsteuerungspatent zu
verweigern, weil der Kern der Erfindung im Bereich der Programmlogik
liegt.  Dann wuerden wir Programmlogikpatente ganz ausschliessen und damit
natuerlich auch ihre Anwendung als Softwarepatente.

Die "Kerntheorie" liesse sich konsequent gestalten, indem man danach
fragt, ob die Erfindung als Programm fuer einen Universalrechner
vollstaendig verwirklicht werden kann, oder ob sie noch weitere Elemente
(Hardware) erfordert.  Von der vom EPA/BGH eingefuehrten Frage nach
"technischen Effekten" muss man natuerlich absehen.  Diese Frage schuf
diejenige Begriffsverwirrung, die dann 1997 zum Protest der Patentanwaelte
("Keiner versteht mehr die Rechtssprechung des EPA.  Alle Programme sind
doch letztlich technisch!") und zum kompletten Umschwenken des EPA/BGH
fuehrte.

Wenn man die Kerntheorie konsequent anwendet, wird man sicherlich manche
Patente ausschliessen, die nicht unbedingt schaedlich sind.  Andererseits
wird man eine logisch noch stimmigere Situation haben.  Man braucht dann
nicht mehr den Ausschluss der Gegenstandsklasse "Computerprogramme /
replizierbare Gegenstaende" als gesondertes Korrektiv.  Er ergibt sich aus
der Kerntheorie.  So haette es auch nach 1992 sein sollen.
 
> Das eigentliche rechtspolitische sich ausformulierende und 
> markrooekonomisch begruendete Problem scheint mir doch eher in der 
> Verletzungsfrage zu liegen, naemlich dass es z.B. ohne weiteres 
> moeglich ist, mit einem unentgeltlich erstellten geGNUten Linux-
> Kernel (mittelbare) Patentverletzungshandlungen zu begehen.  

Es geht bei weitem nicht nur um freie Software.
Die Grenze zwichen frei/oeffentlich und gewerblich/privat ist auch
sehr schwer zu ziehen.
Wie schon Heicko praegnant formulierte:  SuSE als Napster?
 
> Sollte die politische Softwarepatentdiskussion daraus Konsequenzen 
> ziehen und wegkommen von der Frage, ob und welche Patentansprueche 
> mit algorithmischem Charakter die Patentaemter erteilen duerfen 
> sollen, zugunsten der Frage, wie die Patentverletzungstatbestaende 
> auszugestalten waeren, an die dann die Verletzungsgerichte gebunden 
> sind?

Es geht nicht um den algorithmischen Charakter sondern um die
Gegenstandsklassen, gegen die Patentrechte durchgesetzt werden koennen.

Dieses Jahr steht die Streichung der Ausnahmenliste aus EPUe 52.3 zur
Debatte.  Deshalb muessen wir uns dieses Jahr auf dieses Thema
konzentrieren.  Und ich hoffe, meine Argumente konnten klar machen, warum
die Computerprogramm-Ausnahme erhaltenswert ist, und durch welche
Auslegung sie sich systematisch untermauern liesse.  Diese Auslegung
aehnelt der bis 1992 bei uns ueblichen, schuetzt aber vor gewissen
Verwirrungen und Verwerfungen, die aus den Unzulaenglichkeiten unserer
Hilfstheorie der "Technizitaet" resultierten.

Die anderen Fragen sind selbstverstaendlich auch wichtig, zumal beide
Fragen fast identisch sind.  Was sind denn "Gegenstandsklassen, gegen die
Patentrechte durchgesetzt werden koennen" anderes als
"Patentverletzungstatbestaende" ?

Indem wir uns jetzt in der Frage stark machen, die zur Diskussion ansteht,
naemlich der Frage der Erhaltung und theoretischen Fundierung der
Programm-Ausnahme, koennen wir den Weg zur spaeteren kohaerenten Klaerung
der anderen Fragen offen halten.

Natuerlich gibt es auch noch Moeglichkeiten, ohne Programm-Ausnahme das
schlimmste zu verhindern, etwa durch das Software-Nutzungsrecht

	http://www.freepatents.org/adapt/useright.pdf

ueber das wir in den letzten Tagen in
	
	swpat@ffii.org
	http://ffii.org/archive/mails/swpat

diskutierten.  Aber im moment fragt auf seiten der Patent-Gesetzgeber
niemand nach solchen Vorschlaegen.  Sie gehen aufs ganze, und wir tun gut
daran, den aufrechten Gang zu pflegen.  Unsere Positionen sind kohaerent,
im Einklang mit dem Gesetz und mit den Erfordernissen der IT-Branche und
der Volkswirtschaft.  Die andere Seite hat Macht, wir haben Wahrheit.
 
-phm