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Eur. Patentamt begehrt unbegrenzte Patentierbarkeit
- To: debate@fitug.de
- Subject: Eur. Patentamt begehrt unbegrenzte Patentierbarkeit
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Thu, 10 Aug 2000 05:46:58 +0200 (CEST)
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Eur. Patentamt begehrt unbegrenzte Patentierbarkeit
IT-Fachleute fordern wirksame Kontrolle des EPA
Zur sofortigen Freigabe
München, Berlin, Frankfurt, Ilmenau, Magdeburg - Das Europäische
Patentamt (EPA) will die europäischen Regierungen dazu bewegen, im
November 2000 sämtliche gesetzlichen Einschränkungen der
Patentierbarkeit zu beseitigen. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ)
gab einen entsprechenden auf den 27. Juni 2000 datierten
"Basisvorschlag für die Revision des Europäischen
Patentübereinkommens" den "am Patentwesen interessierten Kreisen"
Anfang August bekannt.
Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII)
zeigt zusammen mit einigen IT-Firmen in einem offenen Brief an das
Bundesjustizministerium die Unzulänglichkeiten des EPA-Entwurfs auf
und warnt vor verheerenden Auswirkungen der expansiven Patentpolitik
des EPA auf Innovation, Wettbewerb, Wohlstand, Bildung und
Bürgerrechte.
Ralf Schwöbel, Vorstand der Frankfurter Intradat AG, eines
Marktführers in Internet-Verkaufssystemen, erklärt seine Unterstützung
für den offenen Brief: "Mit diesem Vorschlag schafft das EPA die
rechtlichen Rahmenbedingungen, um ebenso viele Patente auf
Geschäftsverfahren zu gewähren wie die USA. Als Hersteller von
E-Commerce-Systemlösungen halten wir das für schädlich, denn es wird
viele kleine und mittlere Unternehmen davon abschrecken, ihre eigenen
E-Commerce-Lösungen zu entwickeln."
Neuere Studien nähren diese Befürchtungen. Das Europäiche Patentamt
geht bei der Erteilung von Patenten auf immaterielle Gegenstände
(Software, Geschäftsmethoden) bereits heute schon weiter als die
Kollegen in den USA und Japan. Einem japanischen Vergleichsbericht
zufolge legt das EPA bei der Bewertung der Erfindungshöhe
immaterieller Verfahren noch niedrigere Maßstäbe an als die anderen
beiden Patentämter. Bei der Beurteilung der Technizität von
Geschäftsmethoden plant das EPA überdies, seine bisherige Forderung
nach einem über die normale Nutzung des Rechners hinausgehenden
"zusätzlichen technischen Effekt" fallen zu lassen, sobald die vom EPA
vorgeschlagene Vertragsänderung in Kraft getreten ist.
Matthias Schlegel, Vorstand der Ilmenauer Phaidros AG, eines Pioniers
in der Metamodellierung von Geschäftsprozessen, kommentiert:
"Angesichts eines Minenfeldes aus Zehntausenden von Software- und
Geschäftsmethodenpatenten verlangen unsere Kunden von uns Garantien
gegen die rechtlichen Risiken. Unser Vorstand denkt an die Bildung von
jährlichen Patentrückstellungen in Millionenhöhe für Prozesskosten und
Patentanmeldungen. Aber auch dann, wenn wir selbst weitgehende
Patentrechte auf Programmiertechniken und Algorithmen erwerben, wie
das EPA sie nur allzu bereitwillig zu vergeben scheint, würde uns das
nur begrenzt dabei helfen, unsere Urheberrechte an den modularen
Systemen, in die wir investiert haben, vor Patenten Dritter zu
schützen. Die Patentierung würde vielmehr noch weitere Ressourcen
binden und von den F&E-Investitionen hin zu den Rechtskosten
transferieren. Soweit ich sehen kann, geht es den meisten typischen
Europäischen KMUs so. Den Patentämtern bleibt diese Sachlage
verborgen, und sie hätten für unsere Belange wohl auch kein offenes
Ohr. Deshalb ist es wichtig, dass die Regelungskompetenz in Sachen
Patentierbarkeit bei den Parlamenten bleibt und nicht zu den
Patentämtern transferiert wird."
Mitunterzeichner Jens Enders, Geschäftsführer der Magdeburger MDLink
GmbH, eines Technologieführers für webbasierte E-Business-Systeme,
fügt hinzu: "Softwarepatente sind gut für alternde Firmen, die ihr
Territorium für 20 Jahre abschotten wollen, um sich auf ihren
Lorbeeren auszuruhen. Zum Schutz unseres Vorsprungs tun Urheberrecht
und Humankapital uns gute Dienste. Patentpolitiker, die uns darüber
hinaus "starke Eigentumsrechte" einreden wollen, verkennen schlichtweg
die Spielregeln unserer Branche."
Mit dem "Basisvorschlag" wird das vollzogen, was Patentanwalt Jürgen
Betten, Vorsitzender des Software-Arbeitskreises der Europäischen
Union der Patentberater, schon seit Anfang 2000 in diversen
Publikationen ankündigt:
Durch die ... Entwicklung der Rechtsprechung ... hat sich das
Patentrecht von der traditionellen Beschränkung auf die
verarbeitende Industrie gelöst und ist heute auch für
Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Handel, Banken,
Versicherungen, Telekommunikation usw. von essentieller Bedeutung.
Ohne Aufbau eines entsprechenden Patentportfolios ist zu
befürchten, dass die deutschen Dienstleistungsunternehmen in diesen
Sektoren insbesondere gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz
ins Hintertreffen geraten.
...
Das Patentgesetz gibt dem Patentinhaber das exklusive Recht an der
Benutzung der patentierten Erfindung. ... In komplexen
Technologiefeldern, bei denen die Durchsetzung eines "Standards"
häufig Voraussetzung für einen Markterfolg beim Konsumenten ist,
wie beispielsweise in der Unterhaltungselektronik, der
Telekommunikation oder dem Internet, sind Kreuzlizenzen eine
häufige und praktikable Form der Patentverwertung geworden: Mit
eigenen Patenten "als Währung" erwirbt man Zugang zu Technologien,
die von Mitbewerbern patentgeschützt sind.
...
Nachdem nun auch die Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der
Europäischen Patentorganisation im Juni 1999 in Paris dem EPA das
Mandat erteilt hat, vor dem 1.1.2001 eine revidierte Fassung von
Art. 52 Abs. 2 EPÜ bezüglich des Ausschlusses von
Computerprogrammen vorzulegen, so dass die geänderte Fassung vor
dem 1.7.2000 in Kraft tritt, ist es wohl nur eine Frage der Zeit,
bis die Computerprogramme (und auch die anderen
Ausschlussregelungen) aus Art. 52 EPÜ gestrichen sind.
Dem Vorsitzenden des Bundestags-Unterausschusses Neue Medien, Jörg
Tauss (SPD), geht diese Entwicklung zu weit, und er sieht einen
dringenden Handlungsbedarf für den Gesetzgeber:
In technologiepolitischen Fachkreisen hört man immer wieder die
Behauptung, das Patentsystem müsse auf gewisse Bereiche der
Informationstechnik ausgeweitet werden, weil sonst deren
Investitionen nicht genügend geschützt würden. Diese Behauptung
wurde bisher allerdings immer nur als abstrakte Grundwahrheit
weitergegeben und niemals anhand von Tatsachen der deutschen oder
europäischen IT-Wirtschaft belegt.
Selbst wenn es gelänge, Bereiche der Informationstechnik zu finden,
in denen Patente nachweislich vorteilhaft wirken oder gewirkt
haben, müsste man noch immer untersuchen, ob eventuelle schädliche
Nebenwirkungen der Patentierung diese Vorteile nicht überwiegen.
Aber während bei der Legislative noch vollkommene Unklarheit
herrscht, schreitet die Judikative bereits zur Tat, gewährt
Tausende von Softwarepatenten und drängt auf Änderung der
Gesetzesregeln. Es ist daher höchste Zeit für uns als Gesetzgeber,
uns um diese Fragen zu kümmern.
Hier setzt der Offene Brief an. Er weist Wege, wie man den
EPA-Basisvorschlag präzisieren könnte, um der befürchteten
inflationären Ausweitung des Patentwesens einen Riegel vorzuschieben
und das Patentwesen einer wirksamen Kontrolle durch den Gesetzgeber zu
unterwerfen. Dabei zeigt sich, dass derzeit kein gültiger Grund für
eine Änderung des Gesetzestextes (Art 52 EPÜ) besteht, wohl aber für
eine präzise und restriktive Handhabung einiger dehnbarer
Rechtsbegriffe wie "Technizität" und "gewerbliche/industrielle
Anwendbarkeit".
Der offene Brief verweist überdies auf ökonomische Studien, auf die
Eurolinux-Petition für ein softwarepatentfreies Europa
(http://petition.eurolinux.org/), die inzwischen von etwa 30000
Bürgern, darunter ca 400 leitenden Angestellten von IT-Unternehmen,
getragen wird, sowie auf unterstützende Aussagen von fast 300
europäischen Politikern.
Doch selbst öffentliche Proteste dieser Größenordnung haben in den
Kreisen der Patentjustiz bisher lediglich ein "Schweigen im Walde"
ausgelöst. Schon im Juni 1999 setzten die beiden
BMJ-Verhandlungsführer bei der Regierungskonferenz in Paris sich über
5000 Protestunterschriften hinweg, als sie dem EPA das Mandat zur
Änderung des Europäischen Patentübereinkommens erteilten. Kurz danach
gelang beiden BMJ-Patentreferenten ein beruflicher Aufstieg in
München. Einer wurde ein führender Richter am EPA, der andere
Präsident des Deutschen Patent- und Markenamtes. Auch der heutige
Präsident des EPA und Initiator des Basisvorschlages, Dr. Ingo Kober,
begann seine Karriere im BMJ.
Das EPA finanziert sich durch Einnahmen aus Patentgebühren.
Verweise
* Eurolinux Petition für ein softwarepatentfreies Europa -
http://petition.eurolinux.org/index.de.html
* Softwarepatente - http://swpat.ffii.org/indexde.html
* Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur -
http://www.ffii.org/indexde.html
Über den FFII - www.ffii.org
Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII
e.V.) ist ein gemeinnütziger Verein, der die Entwicklung offener
Schnittstellen, quelloffener Programme und frei verfügbarer
öffentlicher Informationen fördert und sich für ein kraftvolles
Zusammenwirken freier und proprietärer Software zum Zwecke eines
langfristigen Aufbaus informationeller Gemeingüter auf der Grundlage
offener Standards, fairen Wettbewerbs und der Achtung legitimer
Urheberrechte einsetzt. Der FFII koordiniert eine Arbeitsgruppe zum
Schutz der digitalen Innovation vor Softwarepatenten, die von
erfolgreichen deutschen Softwarefirmen unterstützt wird. Der FFII ist
Gründungsmitglied der EuroLinux-Allianz für eine Freie Informationelle
Infrastruktur.
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2000-07 SWPAT-AG des FFII