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ICANN: Kandidaten-Verrisse



Das in meinen Augen zur Zeit größte Problem ist, daß sich zunehmend
Konzern-, Organisations- und Regierungsvertreter um die @large-Sitze
bewerben.

Die folgenden europäischen Kandidaten für eine Nominierung halte ich
beispielsweise für schlicht unwählbar, was ihre Eignung als
Nutzervertreter angeht:

- Herr Schüller (von des Nominierungskomitees Gnaden), Telekom.

- Michel BAUJARD <mbaujard@3f.fr>.

  Chairman of SPMT Syndicat Professionnel des Medias de
  Telecommunications SPMT is a french professionnal organization. It
  exists since 1984. The 21 members of SPMT are information
  providers and technical plateforms for audiotex, videotex and
  internet.

  Member of CST Conseil Superieur de la Telematique. CST is the
  french regulator for audiotex and videotex networks. The members
  are nominated by the governement and choose between different
  qualificated personnalties.

- Reinhard Hund <reinhard.hund@web.de>

  Working in a non-profit, private sector organisation representing
  one of Germany's largest industry sectors.

  Currently responsible for all technical questions in IT,
  electronic commerce and internet.

  (Gemeint ist der ZVEI.  Es ist allerdings nicht ganz klar, ob er
  als reiner Techie mehr oder minder unabhängig von den
  Verbandsinteressen operieren kann, oder ob er letztlich doch an
  diese Interessen gebunden ist.  Ich würde das letztere fürchten.)

- Stefano Trumpy <Stefano.Trumpy@iat.cnr.it> 

  - member of the board of ".it" registry, in charge of the
    international relations;
	
  - member of the "Internet group of experts" of the Italian cabinet
    Presidency;

  - delegate of Italian Government to GAC/ICANN as policy/technical
    advisor;

  - Italian representative in CENTR;
		    
  - VP for Public Policy in the Advisory Council of ISOC;
		            
  - President of the Italian chapter of ISOC;

  - Member of a number of working groups of the European Commission
    in the area of the Internet governance.

Hinzu kommen dann noch verschiedene Lachnummern, die sich wahlweise
bei ICANN für billigen Internet-Zugang oder die Rettung der
französischen Sprache im Netz einsetzen wollen.  Das sind mit
Sicherheit _genau_ die Themen, die es dort braucht.

Hinzu kommt außerdem, daß die Finanzierung der meisten
Direktorenkandidaten vollkommen unklar ist.  Ist die
ICANN-Direktoriumstätigkeit zeitlich mit dem derzeitigen Brotjob
vereinbar?  Ist genug persönliches Vermögen vorhanden?  Wer
sponsort?


Tatsächlich scheint mir - ohne, daß ich Lutz oder Andy jetzt in die
Suppe spucken möchte - der Ansatz, eine respektable, unabhängige und
auch technisch versierte Person aus dem Hochschulbereich zu finden,
vielleicht gar nicht so falsch.  

Denn man sollte die folgenden Punkte nicht vergessen:

(1) Die ICANN-Arbeit wird einen gewissen Apparat voraussetzen, der
    an Hochschulen zumindest ansatzweise verfügbar ist.

(2) Die Hochschulen dürften (fast) der einzige Platz sein, an dem
    von kommerziellen, Verbands- oder Firmeninteressen unabhängige
    erstklassige Techies zu finden sind.  Notabene: Ich behaupte
    nicht, daß jeder Hochschullehrer a priori unabhängig wäre.  Auch
    in diesem Bereich wird das genau zu untersuchen sein.

    Ähnlich sieht es vielleicht noch bei den Leuten aus, die
    selbständig oder in kleineren Unternehmen beschäftigt sind.

Tatsächlich entwickelt die derzeitige Kandidatensuche eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Frankfurter "Professorenparlament" von
1848/49.


Das Netz muß gerade eine Lektion lernen, die die meisten (alle?)
demokratischen Staaten schon lange gelernt haben: Damit
"Volksvertreter" (Parlamentarier &c) auch nur annähernd unabhängig
sein können, müssen sie diese Arbeit unabhängig von ihrem sonstigen
Broterwerb ausführen können.  Sie müssen als Berufspolitiker
arbeiten, sie müssen für diese politsiche Arbeit angemessen
finanziell entschädigt werden können.  Sie dürfen keinesfalls von
den Mitteln einzelner Staaten, Interessengruppen, etc abhängig sein.

-- 
Thomas Roessler                         <roessler@does-not-exist.org>