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On 2000-08-22 23:16:10 +0200, Michael B. Schmidt (Smudo) wrote:

> die industrie ist aus vielen gruenden traege - im gegensatz zu
> angeboten wie napster kann sie aber nicht flexibler sein, weil
> sie die online-rechte fuer viele ihrer musiker nicht hat, oder
> unzureichend besitzt oder erst noch regeln muss bzw im begriff
> ist, das zu tun - und es gibts nunmal noch keinen ausreichenden
> schutz fuer digi-musik und das ist auch nicht im sinne der
> kuenstler. wer ein "illegales" angebot macht ist natuerlich viel
> flexibler, weil er sich nicht um die laestigen rechte der urheber
> kuemmern muss - diesen umstand kann man der industrie nicht zum
> vorwurf machen

Soll ich wirklich glauben, daß die Musikindustrie in all den Jahren,
die es jetzt schon Datennetze gibt, nicht in der Lage gewesen wäre,
geeignete gesetzliche Regeln zu bekommen?  Soll ich wirklich
glauben, daß Musikindustrie und Künstler sich nicht auf vertragliche
Rahmenbedingungen für ein ansprechendes Online-Angebot - und sei es
experimentell - zu einigen?

> www.audio-on-demand.de ist der einzige grossversuch - ja ich
> weiss, kein mp3 und unkomfortabel - aber schon seit 3 jahren
> glaube ich am start (oder schon 4 ?) und eine art technischer
> grossversuch. 

Und ich soll wirklich glauben, daß die Musikindustrie und die
Deutsche Telekom mit all ihren finanziellen und technischen Mitteln
nicht in der Lage seien, eine komfortable und systemübergreifende
Lösung zu bauen?  (MoD bietet schlicht und ergreifend ein
Windows-EXE zum Download an.  Kann ich nichts mit anfangen.  Ein
Napster-Client läuft übrigens auf meinem Rechner.)

>> Vielmehr ist es wohl so, daß die Nutzer - Eure Fans, und
>> letztlich diejenigen, die Eure Rechnungen zahlen! - sich
>> langsam aber sicher immer deutlicher von den Aktivitäten und
>> der Arroganz "der Plattenindustrie" verarscht und mißachtet
>> fühlen;

> klar - zum einen hat das gruende im schlechten image der
> plattenindustrie - ist logisch - allerdings zahlen sie unsere
> rechnungen nicht indem sie die musik gratis downloaden - sollte
> es soweit kommen, dass musik gratis im netz legal wuerde, wird es
> auch keine moeglichkeit mehr geben fuer musiker, seine "ware" zu
> geld zu machen

Greifst Du da nicht etwas zu kurz?  Was ist zum Beispiel mit
Modellen wie dem, das ich in meiner letzten Mail geschildert hatte -
Erzeugen von Dienstleistungs-Mehrwert um die Musik herum, für den
bezahlt wird?  Und was, wenn ich Dir sage, daß ich erst letztlich
für ganz kostenlos dargebotene Musik (um genauer zu sein, die in der
Bonner Fußgängerzone auf zwei Akkordeons relativ genial dargebotene
Version der Bachschen d-moll-Toccata und -Fuge BWV 565) ganz
freiwillig Geld bezahlt habe?  Was, wenn ich Dich daran erinnere,
daß vieles von dem, was wir als musikalisches Weltkulturerbe kennen,
in einer Zeit vor dem Urheberrecht entstand?  Was, wenn ich daran
erinnere, daß vieles von dem, was die Musikverlage da mit größtem
Erfolg vermarkten und verkaufen, schlichter Schund ist?

>> Also: Anstatt weiterhin aggressiv gegen die eigenen Kunden
>> vorzugehen, solltet Ihr vielleicht etwas mehr auf freundlich
>> schalten und versuchen, mit ökonomisch vernünftigen,
>> mehrwerthaltigen Angeboten Umsatz zu machen.

> hm - hast du mein statement ueberhaupt ganz gelesen ? 

Ja, das habe ich.  Das "Ihr" oben verallgemeinert auf Künstler und
Plattenindustrie.

>> Der Versuch, durch juristische "Unbequemlichkeiten"
>> Transaktionskosten künstlich zu erzeugen, die es real ganz
>> einfach nicht mehr gibt, _muß_ früher oder später scheitern.

> von kuenstlich erzeugen kann keine rede sein - es kann doch nicht
> sein, dass einfach so aus anti-imperialistischer denke heraus das
> urheberrecht ausgehebelt wird. damit nimmt man einem riesenhaufen
> leuten die von ihrem geistigen eigentum leben die
> berufsmoeglichkeiten weg

Was für eine anti-imperialistische Denke?

Tatsache ist, daß die Verbreitung von Musik heutzutage praktisch
kostenfrei möglich ist. Es folgt, daß der Musikvertrieb (!) seine
ökonomische Existenzberechtigung verloren hat.  Wir werden, platt
gesagt, früher oder später keine Plattenverlage mehr brauchen.
Tatsache ist ebenfalls, daß die Kundschaft auf einer gewissen
Kopierbarkeit von Musik besteht und _wirksam_ kopiergeschützte
Produkte praktisch nicht abnimmt.  Stell' Dir vor, es würden überall
Papageien herumfliegen, die beliebige Musik perfekt wiedergeben.  In
einer solchen Welt wäre Urheberrecht an Musik undenkbar.  Das Netz
entwickelt sich zu diesen Papageien.  Wollt Ihr sie ausrotten?

Es folgt zwingend, daß Musiker und Musikindustrie sich neue
Einnahmemöglichkeiten suchen müssen, die mit dem technischen und
gesellschaftlichen Umfeld kompatibel sind, in dem sie nunmal
operieren.  An Stelle von Kreativität in Sachen Geschäftsmodelle
(warum z.B. werden die Musiker nicht von den Herstellern von
Abspielgeräten entgolten?) bekommen wir aber bisher nur juristischen
und technischen Murks und dazu eine Arroganz präsentiert, die
einfach nur zum Kotzen ist - siehe auch die besonders spaßigen
Äußerungen von Heckler (Sony):

	"The [music] industry," Heckler said, "will take whatever
	steps it needs to protect itself and protect its revenue
	streams. It will not lose that revenue stream, no matter
	what."

	"Sony is going to take aggressive steps to stop this,"
	Heckler told the Summer Forty-Niner. "We will develop
	technology that transcends the individual user. We will
	firewall Napster at source -- we will block it at your cable
	company, we will block it at your phone company, we will
	block it at your [Internet-service provider]. We will
	firewall it at your PC."
			    
Entschuldige bitte, wenn ich sowas nicht als kundenfreundliches
Verhalten, sondern als Kampfansage auffasse, die ganz bestimmt
niemanden dazu motiviert haben wird, eine CD von Sony Music zu
kaufen, wenn er die betreffende Musik auch napstern kann.

Um es ganz glasklar zu sagen: Das beste Marketing für Napster und
gegen die Künstler betreibt zur Zeit die Musikindustrie.  Mit einer
Politik des kalten Kriegs gegen die eigenen Kunden wird die
Musikindustrie in einer Welt, in der sie ökonomisch überflüssig ist,
ganz sicher nicht überleben.  Denn die Kunden werden derartige
Kriegserklärungen früher oder später erwidern und anfangen, den
Geldhahn zuzudrehen.

-- 
Thomas Roessler                         <roessler@does-not-exist.org>