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Re: "Keine Sonderstellung" für Rechtsradikale



At 00:30 03.09.00 +0200, Markus Schaaf wrote:
>From: "Henning Fischer" <Henning.Fischer@gmd.de>:
>
> > ... würde eine Umwandlung der
> > Staatsform möglicherweise mit anderen verbürgten Rechten,
> > insbesondere dem Minderheitenschutz kollidieren.
>
>Eigenartig, daß dieses Argument immer sehr schnell kommt. ;-)
>Ist es nicht viel wahrscheinlicher, daß die neue Staatsform mit
>der Ethik der alten kompatibel ist?

Sicherlich ist dies möglich, nur sehr unwahrscheinlich. In der
Praxis tritt eine Demokratie meist nur zugunsten totalitärer
Herrschaftsstrukturen, wie z.B. einer Militärdiktatur ab. Nicht
umsonst heisst es: Demokratie ist die schlechteste Staatsform,
mit Ausnahme aller anderen. Wieso sollte man "freiwillig" darauf
verzichten, anstatt die From beizubehalten und lieber an bestimmten
Ausformungen zu arbeiten?


> > Dem Volk - als verfasste politische Einheit - steht es aber
> > demgegenüber frei, den Weg einer originären neuen Staats-
> > gründung mit ebenso neuer Verfassungsgebung zu beschreiten.
> > Dies aber mit allen Konsequenzen und ohne "Rückversicherung
> > durch Legalität" (Josef Isensee).
>
>Was doch letztlich nichts anderes heißt, als daß eine "friedliche
>Revolution" ausgeschlossen ist. Schade eigentlich - bevorteilt es
>doch die aggressiven Kräfte. Womit ich meine erste Frage dann
>leider verneinen muß.

Nein. Revolution heisst nicht unbedingt "unfriedlich". Es vollzieht
sich nur nicht im bestehenden rechtlichen Rahmen. Als Beispiel
könnte man die Eingliederung Deutschlands in einen europäischen
Bundeststaat nennen. Die Aufgabe der staatlichen Souveränität ist
mit der Verfassung nicht vereinbar. Wenn es (politisch) soweit
ist, streifen die Nationalstaaten ihre Verfassung ab und das
"europäische Volk" gibt sich eine eigene. Dies kann vollkommen
"friedlich" verlaufen; man findet nur keinen positiv rechtlichen
Aufhänger. Die Grundentscheidung: Diese Verfassung soll gelten!
ist nicht ableitbar (wenn man naturrechtliche Überlegungen einmal
ausklammert).


> > ... eine Rechtsordnung kann ihre Normativität nur innerhalb
> > ihrer selbst entfalten und nicht über sich hinausgehen.
>
>Sollte eine Verfassung nicht mehr sein als eine "Rechtsordnung"?
>Kann sie nicht die Größe haben, über dem Staat, über sich selbst
>zu stehen, indem sie eher eine Ethik als eine Ordnung beschreibt?

Eine Ordnung muss ein Mindestmaß an ethischen Elementen enthalten,
sonst wird sie nicht akzeptiert werden. Auch das Grundgesetz kennt
solche, wie die Invocatio dei in der Präambel: "Im Bewußtsein seiner
Verantwortung vor Gott und den Menschen ...". Meiner Meinung nach
besteht die Gefahr aber in mangelnder Justiziabilität solcher
Elemente. Sie sind stark dehnbar und können alles und nichts
bekräftigen, untermauern oder verhindern. Wenn sich eine Verfassung
aber iherer Lückenhaftigkeit bewusst ist, ist sie felexibel, kann
Freiräume schaffen (und garantieren) und genau diese Fragen
(nämlich die der Ethik) anderen Kräften, wie der Gesellschaft oder
Religion überlassen. Die _normative_ Verfassung ist aber dann
gefordert, wenn dieser Rahmen verlassen wird, wenn z.B. in Rechte
anderer eingegriffen wird. Die Verfassung steht über dem Staat
(Staat im Sinn von Zustand (status) der Gesellschaft), über
sich selber kann sie nicht stehen oder unglaubwürdig zu werden;
sie müsste Dinge versprechen, die sie selbst nicht einhalten
könnte. Damit ist aber nichts gewonnen.


>(Ich weiß, daß unsere Verfassungsgeber das nicht im Sinn hatten;
>sie wollten eine feste Ordnung, da sie dem Volk nicht vertrauten.)

Schief. Das Volk ist ebenso der Verfassungsgeber. Dies aktualisiert
sich durch tägliche Übung (ca. 6000 Verfassungsbeschwerden jährlich!).
Das Bundesverfassungsgericht als Hüter(in) der Verfassung genießt
(noch) das höchste Ansehen innerhalb der Bundesorgane.

> > > Ist das nicht die geheime Formel der Attraktivität rechtsextremer
> > > Gruppen: den Egoismus anzusprechen?
> >
> > Schon. Der Fehler liegt nur darin, anderen ihren eigenen Egoismus
> > absprechen zu wollen, bzw. deren Interessen abzuwerten.
>
>Ohne Frage. Der Fehler ist jedoch nicht, zuerst an sich selbst zu
>denken. (Jesus sagte: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!")
>Scheinbar ist Selbstachtung die Voraussetzung für die Achtung des
>Anderen.

Genau!

>Nun, zerstören nicht die Leute, die am wehementesten behaupten,
>unser System schützen zu müssen, dieses am effektivsten? Leistet
>nicht gerade das von ihnen betriebene Untergraben der Prinzipien,
>auf denen Demokratie beruht, den Kräften Vorschub, die sie be-
>kämpfen?

Das ist leider wahr. Der Vertrauensverlust durch die Affären ist
enorm. Hier ist es m.E. notwendig, die Schuldigen genau an diesen
- zum Teil von ihnen selbst propagierten - Maßstäben zu messen
und zu richten. Die "Leistungen", wie z.B. das Geldwäschegesetz
werden - wenn man es vorher für richtig gehalten hat! - dadurch
doch nicht nachträglich schlecht.

Einen schönen Sonntag noch wünscht

Henning Fischer