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[FYI] Die Regulierung der Freiheit



http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/8725/1.html
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Die Regulierung der Freiheit

Richard Barbrook   14.09.2000

Redefreiheit, Freihandel und kostenlose Geschenke im Netz [Telepolis
Mix]

[...]

Die rasante Ausdehnung des elektronischen Handels ist von der
effektiven gesetzlichen Regulierung des Netzes abhängig. Wie auch in
der übrigen Ökonomie braucht man die Gerichte und die Polizei, um die
"Spielregeln" auf den Online-Marktplätzen durchzusetzen. Es
überrascht nicht, dass Medienunternehmen erwarten, dass die Gerichte
und die Polizei weiterhin ihr geistiges Eigentum schützen werden.
Jeder, der über das Netz unautorisiert Kopien von urheberrechtlich
geschütztem Material vertreibt, muss bestraft werden. Jeder, der
Software erfindet, die möglicherweise für Online-Piraterie brauchbar
ist, sollte kriminalisiert werden. Dieser neue gesunde
Menschenverstand hat den noch vor wenigen Jahren modischen Anti-
Dirigismus ersetzt. Gemäß der kalifornischen Ideologie müssen
Individuen und Geschäfte miteinander konkurrieren, um innerhalb eines
nicht regulierten Online-Marktes Waren und Dienstleistungen zu
liefern. Vor allem ermöglicht dieses "Neue Paradigma" angeblich nicht
nur größere wirtschaftliche Effizienz, sondern erweitert auch die
persönliche Freiheit.

[...]

Obwohl das Netz weiterhin ein vorwiegend textbasiertes System ist,
das von Akademikern und Hobbyisten genutzt wird, würden die
Medienunternehmen das Auftauchen dieser teilhabenden Form der
computervermittelten Kommunikation gerne ignorieren. Aber die Netz-
User tauschen online gerne Informationen aus. Zum Beispiel geben die
Besitzer von CDs gerne MP3-Kopien an ihre Freunde - oder sogar an
völlig Fremde - weiter. Zu ihrem großen Entsetzen begreifen die
Medienunternehmen langsam, dass das Netz den Kern ihres Geschäftes
bedroht: den Verkauf von geistigem Eigentum.

Die Besitzer von Urheberrechten verlangen inzwischen, dass der Staat
einen "Krieg gegen das Kopieren" startet. Die Gerichte und Polizei
sollen in Übereinstimmung handelnde Erwachsene daran hindern,
Informationen ohne Erlaubnis zu teilen. In einer Reihe von
aufsehenerregenden Fällen haben industrielle Körperschaften die
Provider technischer Ausstattung für den Austausch von
urheberrechtlich geschütztem Material geklagt. Gleichzeitig
experimentieren Medienunternehmen mit Software, die das
unautorisierte Kopieren von Informationen verhindern soll. Aber diese
Offensive gegen die Piraterie kann nur teilweise erfolgreich sein.
Beispielsweise ermutigen die Versuche der Musikindustrie, Napster zu
schließen, die Menschen nur zur Installation von ausgefeilterer
Software für den Austausch von Musik. Im Gegensatz zu den
neoliberalen Prophezeiungen ist die Umwandlung von Information in
Waren im digitalen Zeitalter schwieriger.

Da geistiges Eigentum im Netz in seiner derzeitigen Form nicht
geschützt werden kann, wollen die Medienunternehmen statt dessen eine
von oben geleitete Form der computervermittelten Kommunikation: das
digitale Panoptikon7 . Wenn es möglich wäre, jedermanns Online-
Aktivitäten ständig zu überwachen, würde niemand es wagen,
Urheberrechte zu verletzen. Weltweit entwickeln Sicherheitsdienste
bereits "Big Brother"-Technologien, um jeden Netz-User ständig
überwachen zu können. Beispielsweise schnüffeln die Regierungen der
USA und der EU in den Emails ihrer realen oder eingebildeten Feinde.
Der kalifornischen Ideologie zufolge sollte ein so repressives
Verhalten auf dem virtuellen Markt ein Anachronismus sein. Und doch
sind es nur wenige Jahre später eben die kommerziellen Unternehmen,
die nach einer Überwachung der privaten Netznutzung zum Schutz ihres
geistigen Eigentums verlangen. Ironischerweise rechtfertigt die
"negative" Freiheit des Ersten Zusatzes zur Verfassung jetzt die
totalitären Absichten des digitalen Panoptikons.

[...]

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