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Re: AW: Spiegel-Bericht zu BMJ+GI



> >  Das deutsche Einspruchsrecht wird kaum genutzt.  Im
> >  Softwarebereich hat es beim DPMA noch keinen einzigen Einspruch gegeben.  
> > 
> 	[Tauchert Wolfgang]   Diese Behauptung wirft die Frage auf, was Sie
> unter "Softwarepatenten und Softwarebereich verstehen. Wenn darunter
> Erfindungen verstanden werden sollen, die technische Verfahren unter Einsatz
> eines Computers mit entsprechender Software  umsetzen (z.B das auch von
> Ihnen gelegentlich als patentwürdig bezeichnete MPEG-Verfahren), so ist
> obige Behauptung falsch. Es gibt im meinem Verantwortungsbereich sowohl
> Einspruchsverfahren wie auch Zurückweisungen. Um unterschiedliche
> Interpretationen zu vermeiden bitte ich mir darzulegen, was Sie unter
> "Software" bzw. "Softwarepatent" verstanden wissen wollen. Daß es
> vergleichsweise nicht "oft" zu Einsprüchen kommt, liegt wohl auch an der
> Qualität der Patentprüfung.

Leider sind DPMA und EPA derzeit, was die Verfahren und Urteile betrifft,
intransparent.  Wir wollen gerade Einspruch einlegen, aber es ist, anders
als in den USA, normalen Leuten nicht mit vernuenftigem Aufwand moeglich,
weil es dafuer eine enge Frist gibt und man nicht in zeitgemaesser Weise
erfahren kann, welche Patente gerade offengelegt wurden.  Einige von uns
wuerden z.B. gerne gegen das 7val-Netzvergiftungspatent einsprechen,
sobald es gewaehrt wird, aber wir haben keine vernuenftige Moeglichkeit,
zu erfahren, ob und wann es gewaehrt wird/wurde.  Wahrscheinlich erfahren
wir davon erst, wenn wir verklagt werden.

Deshalb muss ich mich bei meiner Behauptung, es gaebe im Softwarebereich
keine Einspruchsverfahren, auch auf Aussagen von Experten aus dem DPMA
stuetzen, die mir das glaubhaft versicherten.  Solange die
Patentrechtsprechung nicht transparent ist, ist die Aussage "Es gibt keine
Einspruchsverfahren" aehnlich schwer verifizierbar wie die Aussage "Es
gibt im Weltall keine Sterne aus Eis".  Ich wuerde aber dazu neigen,
beiden Aussagen zu glauben, mich aber grundsaetzlich gerne eines besseren
belehren zu lassen.

Fuer die Hypothese "es gibt keine Software-Einsprueche" spricht folgendes:

1 auch in anderen Bereichen ist die Zahl der Einsprueche gering (< 5% laut
  EPA-Gesamtstatistik) und tendenziell sinkend
2 Wer Truempfe gegen ein Patent in der Hand haelt, nutzt diese am
  geschicktesten hinter verschlossenen Tueren.  Ein Patentinhaber wird
  sich dann erpressen lassen, dem Bewaffneten einen Anteil an seinen
  Vorteilen zu geben.  Fuer ein oeffentliches Prozessieren spricht nichts.
  Damit riskiert man sogar noch, das Patent zu staerken und Geld zu
  verlieren.  Die Ansprueche der meisten Softwarepatente sind ohnehin so
  unverschaemt trivial, dass man einerseits gute Chancen hat, sich im
  Ernstfall privat zu wehren, andererseits dem Pruefungs- und
  Einspruchssystem so misstrauen muss, dass man sich lieber erst gar nicht
  darauf einlaesst, s. Beispiel unten
3 Softwareunternehmen schlafen z.T. noch, nehmen die Gefahr der Patente
  nicht ganz ernst, da das EPUe/PatG sie eigentlich davor schuetzt, wie
  der 17. Senat des BPatG zuletzt im August eindrucksvoll bestaetigte
  (Urteil 17W/68/98, http://ffii.org/archive/mails/Sep/0069.html).
4 Die Netzgemeinde kann nicht gegen offengelegte Patente vorgehen, weil
  diese ihr vom DPMA/EPA systematisch vorenthalten werden.

Als ein Beispiel eines typischen Softwarepatentanspruchsbereichs, wie er
kuerzlich vom DPMA gewaehrt und sogar vom BPatG indirekt als gueltig
bestaetigt wurde, sei hier der Anspruchsbereich des IBM-Patentes P
4323241.8-53 "Verfahren und Computersystem zur Suche fehlerhafter
Zeichenketten in einem Text" zitiert:

Verfahren zur computergestuetzten Suche und/oder Korrektur einer
fehlerhaften Zeichenkette F_i in einem digital gespeicherten Text, der die
entsprechende fehlerfreie Zeichenkette S_i enthaelt,

dadurch gekennzeichnet, dass

(a) die Auftretenshaeufigkeit H(S_i) der fehlerfreien Zeichenkette S_i
    ermittelt wird
(b) die fehlerfreie Zeichenkette S_i nach einer Regel R_j veraendert wird,
    so dass eine moegliche fehlerhafte Zeichenkette f_ij erzeugt wird,
(c) die Auftretenshaeufigkeit H(_ij) der Zeichenkette f_ij in dem Text
    ermittelt wird,
(d) die Auftretenshaeufigkeiten H(_ij) und H(S_i) verglichen werden und
(e) basierend auf dem Vergleich in Schritt (d) entschieden wird, ob die
    moegliche fehlerhafte Zeichenkette f(_ij) die gesuchte fehlerhafte
    Zeichenkette F(_j) ist.


Diese Ansprueche haetten nicht nur wegen mangelnder erfinderischer
Taetigkeit abgelehnt werden muessen, sondern auch schon wegen des Fehlens
jeglicher Befaehigung des Fachmanns zur Ausfuehrung des Verfahrens.

Hier wird einfach ein Problem samt jeder moeglicher Loesung beansprucht.

Wie kann man ein System ernstnehmen, das Tausende von Anspruchsbereichen
dieser Preislage produziert?

Da wartet man doch lieber ab, bis es wirklich zu Streit kommt.  Denn die
meisten Patentinhaber werden sich bei der Auswahl ihrer Opfer sehr
zurueckhalten.  Sie gehen z.B. eine kleine Firma an und verlangen von der
ein Loesegeld, das genau so kalkuliert ist, dass es unter dem Preis einer
Patentrecherche liegt.  Diese kleine Firma hat aber erst recht nicht die
Ressourcen fuer ein Einspruchsverfahren.  Fuer ein solches Verfahren
braeuchte man einen betuchten gemeinnuetzigen Verband der
Patentsaubermaenner, der systematische Tausende von Schrottpatenten
abraeumt.  Aber wer soll den finanzieren?  Und wer soll Interesse an einem
solchen Verband haben, wenn von vorneherein klar ist, dass die
Patentaemter ein grosses Interesse an Schrottpatenten haben und ihren
Begriff der "erfinderischen Taetigkeit" auf der Diplomatischen Konferenz
vom November 2000 so definiert haben, dass nunmehr blosse abstrakte
Ueberlegungen als "Erfindungen" gelten koennen?

NB: Was das MP3-Patent betrifft, so sehe ich dahinter eine nicht-abstrakte
technische Erfindung aus dem Bereich der Akustik.  Allerdings war die
akustische Forschung zu dem Zeitpunkt, als das MP3-Verfahren entwickelt
wurde, bereits abgeschlossen.  Das MP3-Patent beruht insofern auch nur auf
abstrakt-mathematischen Ueberlegungen, die sich aus der Anwendung bereits
bekannter naturwissenschaftlicher Modelle ergeben.  Es beruht nicht auf
neuen Modellen der realen Welt und haette daher vermutlich nicht als
"Erfindung" gelten duerfen, obwohl es zugegebenermassen mehr Niveau hat
als obiger IBM-Anspruchsbereich.

-phm