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Patentjurisprudenz auf abschuessigem Glatteis
- To: swpat@ffii.org
- Subject: Patentjurisprudenz auf abschuessigem Glatteis
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Sun, 15 Oct 2000 02:12:07 +0200 (CEST)
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Europäische Patentjurisprudenz auf abschüssigem Glatteis
...
Bisher sind Computerprograme nicht patentierbar, was nicht
ausschließt, dass eine patentfähiges technisches Verfahren auch
programmgesteuert ablaufen kann. Dieses Verfahren muss jedoch auf
neuen Erkenntnissen über beherrschbare Naturkräfte beruhen und eine
Lösung eines industriellen Problems darstellen. Der Bereich der reinen
Vernunft, d.h. des Rechnens und Programmierens, soll nach dem Willen
des Gesetzgebers von Patentansprüchen frei bleiben. In seinem
wegweisenden Urteil "Dispositionsprogramm" von 1976 stellt der
Bundesgerichtshof fest, dass eine Ausdehnung des Patentwesens in
diesen Bereich grundlegende Freiheitsrechte bedrohen würde und
gleichzeitig dem Fortschritt der Technik nicht förderlich wäre. Neuere
Erkenntnisse der Wirtschafts- und Informationswissenschaften bestärken
diese weise und klare Grenzziehung des Gesetzgebers und ihre
systematische Auslegung durch die höchstrichterlichen
Grundsatzentscheidungen seit 1976, die letztlich in den heute noch
gültigen Prüfungsrichtlinien und Gesetzeskommentaren ihren
Niederschlag fanden und im August 2000 noch einmal eindrücklich vom
Bundespatentgericht bestätigt[30] wurden.
Gleichzeitig gibt es seit den 70er Jahren eine zunehmend
einflussreiche Gruppe von Patentjuristen, die eine grundsätzliche
Beschränkung des Patentwesens auf die "Welt der Dinge" (Einsatz von
Naturkräften) nicht hinnehmen und stattdessen das Patentwesen über das
Vehikel der Programmlogik in alle kommerzialisierbaren Bereiche des
Lebens ausdehnen möchten. Diese Gruppe hat sich im Europäischen
Patentamt (EPA) und einem Teil der nationalen Gerichte durchgesetzt
und nach und nach Wege gefunden, um gesetzeswidrig Patente auf
Computerprogramme, Geschäftsverfahren, Organisationsverfahren und
immaterielle Gegenstände aller Art zu gewähren.
Da die auf dieser Grundlage gewährten Patente von ungewissem Wert sind
und regelmäßig von gesetzestreuen Gerichten zurückgewiesen werden,
drängen die tonangebenden Patentjuristen derzeit darauf, die
unbequemen Gesetze umzuschreiben. Auf die verheerenden
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der
Softwarepatentierung, vor denen [31]über 50000 Unterzeichner und 200
IT-Firmen eindringlich warnen, können sie dabei keine Rücksicht
nehmen. Die Frage der volkswirtschaftlichen Auswirkungen spielte
bisher keine Rolle. Aber selbst in rechtssystematischer Hinsicht
begeben sich das EPA und seine Freunde auf Glatteis. Ehemals klaren
Grenzziehungen steht heute nur noch ein "dynamischer Technikbegriff"
gegenüber, dessen Konturen umso mehr verschwimmen, je näher man sich
mit dem EPA-Fallrecht beschäftigt. Weitere Ausweitungen in beliebige
Richtungen sind vorprogrammiert. Als einziges verlässliches
Abgrenzungskriterium verbleibt letztlich das Interesse des EPA und
seiner Großkunden. Wie ein EPA-Patentprüfer in einem Netzforum
sinngemäß kommentierte: "Bei Patenten geht es um Geld. Wo es
kommerzielle Interessen gibt, wird es auch Patente geben müssen". Aber
während die Münze im Kasten klingt, verliert das Patentwesen seine
Legitimität, die ihm bei sauberer Eingrenzung auf die Kernkompetenzen
noch lange hätte erhalten bleiben können. Und das ist keineswegs der
einzige Grund, warum Europas Bürger vielleicht schon bald das
Europäische Patentamt abschaffen werden.
Weitere Lektüre
* [32]Thomas Winischhofers Seite über Patente
* [33]Thomas Winischhofers Dissertation über die
Softwarepatent-Rechtsprechung des EPA
"Das EPA selbst hat bisher keinerlei Systematik entwickelt. Selbst
die ausführlich diskutierte Entscheidung
"Computerprogrammprodukt/IBM" greift auf verschiedene Einzelfälle
zurück. Die Judikatur des EPA erscheint sohin von Kasuistik
geprägt, eine Definition des erforderlichen "technischen Effektes"
bleibt selbst die zuletzt genannte Entscheidung schuldig - dies
obwohl das EPA, wie bereits erwähnt, gedenkt seine Rechtsprechung
künftig an dieser Entscheidung auszurichten."
* [34] Lamy Droit Informatique
Standardwerk des Informatikrechts, das ausfuehrlich erklaert, wie
die EPA-Rechtsprechung das Recht "verbogen" hat und warum die
EPA-Entscheidungen von ungewisser Gueltigkeit sind
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Verweise
30. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bpatg17w6998de.html
31. http://petition.eurolinux.org/index.de.html
32. http://www.webit.com/tw/patent.shtml
33. http://swpat.ffii.org/vreji/prina/drtw.pdf
34. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/lamy98fr.html