[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] Bertelsmann empfiehlt Filter für behütetes Surfen an Schulen



On 2000-10-24 19:48:59 +0200, Holger Veit wrote:

> Durchschnittsalter der jetzigen Lehrergeneration: Anfang 50.

Ja und?

> Nicht die Generation, welche mit neuen Medien aufgewachsen ist.

Ja und?

> Muendige, denkende Wesen vielleicht, aber mangels eigener Medien-
> kompetenz (bestenfalls zu den Medien der letzten Generation) zu
> wenig Erfahrung im Umgang mit der jetzigen und kommenden Dynamik
> des Internets.

[deldeldel]

> Unwissen erzeugt Angst. Hilflosigkeit gegenueber unverstandener
> Komplexitaet fuehrt zu Panik. Ich habe selbst zwei Lehrer in der
> Familie (in naemlichem Alter), welchen ich durchaus
> Medienkompetenz unterstelle. Ueber das Internet wissen sie soviel
> wie der typische T-Online-User. 

[deldeldel]

> Nicht gerade eine tolle Voraussetzung, um Menschen, die damit
> natuerlich aufwachsen, eine Richtung zu weisen oder auch einen
> Wertekanon (welchen?) zu vermitteln.

Wirklich nicht?  Ist denn wirklich alles, was im Internet
stattfindet so furchtbar neu und anders, daß man alles, was man
bisher weiß, über den Haufen werfen muß?

Doch wohl eher nicht.

Tatsächlich ist es wohl eher so, daß man grundlegendes
Methodenwissen und -können (wie verstehe ich einen Text, ...) und
das Medium, das im Einzelfall verwendet werden soll, voneinander
trennen muß - das Methodenwissen ist mehr als oft genug vom Medium
abstrahierbar.  Genau diese Abstraktionsleistung traue ich auch der
älteren Generation durchaus zu.  Ich traue sie, ehrlich gesagt, eher
denjenigen zu, die etwas behutsamer an die Dinge herangehen, als
jenen New-Economy-"Revolutionären", die nun wirklich jedes Rad
virtuell neu erfinden wollen.


Schließlich noch eines: Die meisten, die hier diskutieren, sind
schon etwas länger im Internet (/me seit Ende 1992).  Manche mögen
als Schüler mit Akustikkopplern, Modems und Mailboxen herumgespielt
haben; andere hat's erst später im Studium erwischt.  Gemeinsam
dürfte den meisten von uns aber sein, daß (1) zu Schulzeiten das
Internet eine akademische Veranstaltung und das Web noch nicht
erfunden war, und daß (2) demzufolge zu Schulzeiten keine
netzspezifische Medienkompetenz vermittelt werden konnte.  Trotzdem
glauben wir, diese "Medienkompetenz" erworben zu haben.  Oder ist es
vielleicht einfach nur elementare soziale Kompetenz, gepaart mit
einem guten Schuß Rhetorik und der Fähigkeit, Texte zu
interpretieren?

Deutet all das nicht vielleicht darauf hin, daß eine auch eine ganz
netzferne Schulerziehung die nötigen Kompetenzen vermitteln kann?
Warum in einen Bildschirm starren, wenn man das gleiche auch mit
Cicero lernen kann?

Vermutlich würde man der Vermittlung von sogenannter Medienkompetenz
allein schon dadurch einen großen Dienst erweisen, daß man "das
Internet" eben _nicht_ als das alles umstoßende, unbekannte,
gefährliche Wesen darstellt.  Indem man _nicht_ möglicherweise
selbsterfüllende Prophezeiungen über die gesellschaftlichen
Akzeptanzprobleme von sich gibt.  Indem man schlicht begreift, daß
die Fähigkeit zur intellektuellen Auseinandersetzung mit Inhalten
vom Übermittlungsweg und der Präsentation dieser Inhalte relativ
weitgehend unabhängig und unabhängig vermittelbar ist.  Indem man
begreift, daß Medienkompetenz eben _nicht_ vor allem Bedienkompetenz
für Wieder- und Eingabegeräte, sondern vor allem die Fähigkeit zur
Auseinandersetzung mit den übermittelten Inhalten ist.

(Wohlgemerkt: Ich habe nichts gegen die Vermittlung von
Bedienkompetenz - ganz im Gegenteil.  Ich halte nur nichts davon,
sie mit inhaltlich begründeter Medienkompetenz zu verwechseln.)

-- 
Thomas Roessler                         <roessler@does-not-exist.org>