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Telepolis: Geheimdienste abwickeln



Geheimdienste abwickeln

Hans-Christian Ströbele   26.10.2000

Zum 50. Jahrestag des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Der Verfassungsschutz ist, wie sein Name nicht sagt, ein Geheimdienst.
Geheimdienste sind mit einer offenen demokratischen Gesellschaft nicht
zu vereinbaren.

Die Geschichte des Verfassungsschutzes ist auch eine Geschichte von
Skandalen. In der Regel wurden diese nicht durch die parlamentarischen
Kontrollgremien aufgedeckt, sondern durch die Presse. Eine wirklich
wirksame parlamentarische Kontrolle ist nicht möglich. Die Gremien
werden grundsätzlich erst im Nachhinein von besonderen Vorgängen
unterrichtet, wenn das Kind im Brunnen liegt. Eine weitergehende
laufende Kontrolle scheitert schon an der Unzulänglichkeit der
Kontrollmittel und Personen. Vor allem aber die absolute
Geheimhaltungspflicht der Gremienmitglieder verhindert, dass
problematische Vorgänge rechtzeitig öffentlich problematisiert werden
können.

Der Verfassungsschutz wurde immer wieder auch politisch gebraucht oder
missbraucht, sogar zur Wahlkampfhilfe für Regierende. Die Grünen waren
nach ihrem Erscheinen im politischen Wettkampf um Wählerstimmen nicht
nur über viele Jahre Objekt der Begierde und Beobachtung des
Geheimdienstes. Häufig mehrere Agenten besuchten nicht nur die
Pressekonferenzen der Grünen. Mitglieder der konkurrierenden CDU ließen
sich vom Verfassungsschutz Dossiers über Kandidaten der Grünen
anfertigen. So hatte sich der Verfassungsschutz Anfang der achtziger
Jahre - wenn auch nach anfänglichem Zögern - dazu hergegeben, auf
Anweisung des damaligen Innenstaatssekretärs Spranger für den
CDU-Abgeordneten Todenhöfer Daten und Unterlagen über den Kandidaten
Schily für den Bundestagswahlkampf zusammenzustellen.

Insbesondere der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, wie der von
V-Leuten, ist häufig kontraproduktiv und brandgefährlich. Die Grenze von
Zuschauen, Provozieren und Mitmachen auch bei Gewalttaten und militanten
Aktionen war immer fließend und wird dies bleiben trotz aller
Abgrenzungsbemühungen. Die ersten Waffen und Sprengkörper, die bei der
Neuen Linken der sechziger Jahre auftauchten, stammten von
Geheimdiensten. In den neunziger Jahren wurden V-Leute angeworben, die
wegen rassistischer Gewalttaten bis hin zum versuchten Mord vorbestraft
sind. Solche Leute haben dann militante Aktionen propagiert und
angeleitet unter dem Motto: "Wir müssen uns bewaffnen !" und den
"Kampfbund Nord" oder die Gruppen der "Nationalistischen Front"
gegründet. V-Leute haben sich selbst an der Verbreitung der
"Ausschwitzlüge" beteiligt oder am Werfen eines Schweinekopfes in eine
Synagoge. Verfassungsschutzgelder wurden für rassistische Werbung und
Propaganda der rechten Szene ausgegeben. Das sind keine Einzelfälle oder
Ausrutscher.

V-Leute müssen sich bewähren und Vertrauen gewinnen, sonst werden sie
nichts erfahren und berichten können. Die Grenze zwischen Mitläufertum
und Antreiber oder Provokateur ist zuverlässig nicht zu ziehen und schon
gar nicht zu überwachen. V-Leute werden vom Geheimdienst danach bezahlt,
was sie liefern. Wenn sie klamm sind, werden sie sich allerhand
einfallen lassen, um über die Runden zu kommen und mehr Geld und
Anerkennung zu kriegen. Wenn zu wenig passiert, muss Mann eben
nachhelfen. Selbst erfinden oder selber machen. Das kennen wir auch von
IMs der Stasi.

Der Schutz der Verfassung soll sein. Aber Geheimdienste sind dafür ein
schlechtes und ungeeignetes Mittel. Ein Beispiel, dass besonders
gewichtige oder sensationelle Informationen, die für die
Regierungsarbeit unverzichtbar gewesen sind, nur aus geheimen
nachrichtendienstlichen Quellen erlangt werden konnten, kennen wir
nicht.

Öffentliche Stellen, die Informationen über politische Parteien und
Gruppierungen, über gesellschaftliche Situationen und Entwicklungen aus
allgemein zugänglichen Quellen sammeln, zusammenstellen und aufarbeiten,
können beim Schutz der Verfassungsordnung helfen. Die Informationen
müssen der Politik, der Regierung und der Opposition, aber auch
Journalisten und anderen Interessierten zur Verfügung stehen.
Geheimdienste sind dafür nicht erforderlich, das Geheime gehört
abgewickelt.

Strafverteidiger Hans-Christian Ströbele [0] ist Bundestagsabgeordneter
der Bündnisgrünen

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Verlag Heinz Heise, Hannover

[0] http://www.bundestag.de/mdb14/bio/stroeha0.htm