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Vorschlag zur Praezisierung von Art 52 EPUe



Bitte um Diskussion auf swpat@ffii.org und um unterstuetzende Erwaehnung
bei den aktuellen EU-Konsultationen, an denen man etwa ueber

	http://petition.eurolinux.org/consultation/		

teilnehmen kann.

http://swpat.ffii.org/stidi/epue52/
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Vorschlag zur Präzisierung von Art 52 des Europäischen Patentübereinkommens
                                      
   Die im Europäischen Patentübereinkommen 1973 festgelegten Grenzen des
     Patentwesens im Laufe der Jahre verwischt worden. Die Patentämter
   nutzten jede vermeintliche Unklarheit im Buchstaben des Artikel 52, um
         ihren Einflussbereich auszuweiten. Die hier vorgeschlagene
   Neuformulierung soll eine klare Grenzziehung wiederherstellen helfen.
                                      
   
1. Leitgedanken

   Wir schlagen vor, der Liste der Einschränkungen ein explizites
   theoretisches Fundament zu geben, um allen Missverständnissen[1]
   jegliche Grundlage zu entziehen. Eine solche Explizierung des Art. 52
   könnte durch folgende Gedanken gekennzeichnet sein:
   
1.1. Technizität

   Der Begriff "technisch" wird im Sinne der klassischen Definition des
   Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt: planmäßiges Handeln unter Einsatz
   beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren
   Erfolges, der ohne Zwischenschaltung menschlicher Verstandestätigkeit
   die unmittelbare Folge beherrschbarer Naturkräfte ist.
   
   Innovative Computerprogramme sind immaterielle Informationsgebilde,
   die für sich genommen nichts bewirken und folglich niemals technisch
   sein können.
   
   Innovative Computerprozesse sind zwar technischer Natur, aber ihr
   innovativer Kern liegt meistens im untechnischen Bereich des Rechnens
   mit gedanklichen Modellen (BGH-Kerntheorie).
   
   Ein innovativer chemischer Prozess ist technisch, das
   Computerprogramm, welches ihn vielleicht steuert, jedoch nicht. Eine
   auf neuartigen Apparaturen und/oder neuer empirischer Erkenntnis über
   Naturkräfte beruhende Problemlösung ist patentierbar, aber die
   Veröffentlichung eines Programms zu ihrer Steuerung stellt weder eine
   unmittelbare noch eine mittelbare Patentverletzung dar.[2]
   
1.2. Industrialität

   Der Begriff "gewerblich" (engl. industrial, frz. industriel,
   jap. sangyou = produzierendes Gewerbe) wird ebenfalls präzisiert, und
   zwar im Sinne des traditionellen Verständnisses von "Industrie =
   gewerbliche Gütererzeugung". Dieser Begriff ist mit dem klassischen
   Technikbegriff fast identisch. Er fordert, dass es um automatisierte
   Prozesse zur Fertigung materieller Güter unter unmittelbarem Einsatz
   von Naturkräften gehen muss.[3]
   
   Damit ist folgendem Szenario ein Riegel vorzuschieben, welches der
   Software-Referent der Union der Europäischen Patentberater,
   Patentanwalt Jürgen Betten, in einem Rundschreiben an seine Mandanten
   ausmalt:
   
     Durch die ... Entwicklung der Rechtsprechung ... hat sich das
     Patentrecht von der traditionellen Beschränkung auf die
     verarbeitende Industrie gelöst und ist heute auch für
     Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Handel, Banken,
     Versicherungen, Telekommunikation usw. von essentieller Bedeutung.
     Ohne Aufbau eines entsprechenden Patentportfolios ist zu
     befürchten, dass die deutschen Dienstleistungsunternehmen in diesen
     Sektoren insbesondere gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz
     ins Hintertreffen geraten.
     
   Dies könnte bedeuteten, dass das Wort "gewerblich" in der deutschen
   Fassung zu "industriell" geändert wird. Ferner sollte der Ausschluss
   therapeutischer und chirurgischer Verfahren in Art. 52 verbleiben und
   nicht nach Art. 53 transferiert werden, damit klar bleibt, dass diesem
   Ausschluss die Forderung nach "industrieller Anwendbarkeit" zugrunde
   liegt. Analog zur ärztlichen Therapiefreiheit ist auch die Freiheit
   der Handwerker, Bauern und diverser freiberuflicher Dienstleister bei
   der Ausübung ihrer Tätigkeit explizit vor dem Zugriff des Patentwesens
   zu schützen. Das Steuerrecht ermutigt Programmierer, als Freiberufler
   "nicht gewerblich" zu arbeiten, und die meisten von ihnen gehen heute
   tatsächlich einer nominell oder de facto freiberuflichen Tätigkeit
   nach.
   
1.3. Erfindung

   Schließlich ließe sich auch der Erfindungsbegriff im Lichte der obigen
   Überlegungen sinnvoll definieren. Der Begriff lässt sich am besten von
   mehreren Seiten gleichzeitig beleuchten. Die vom EPA erarbeitete
   zirkuläre Definition "technischen Lösung eines technischen Problems"
   ist ebenso treffend wie die Rote-Taube-Formel des BGH und die [43]1977
   von Gert Kolle herausgeschälte ballastfreie Version dieser Formel, bei
   der es nur noch auf den Einsatz von Naturkräften und das
   Unmittelbarkeitsprinzip ankommt. Ferner ist die u.a. [44]von einer
   französischen Studie vorgeschlagene Trennung der Erfindung in Problem,
   immaterielle Anweisung (Algorithmus) und materielle Basis erhellend.
   Das Problem darf nicht patentiert werden, auch dann nicht, wenn seine
   richtige Formulierung beträchtliche kreative Intelligenz erfordert.
   Ähnliches gilt für den Algorithmus. Die Erfindungsleistung muss im
   Bereich der materiellen Basis liegen. Diese besteht aus "Ausrüstung
   und Wissen", was wiederum den Kreis zur "Technik-Definition der
   Vereinten Nationen" schließt. Es bleibt zu diskutieren, ob sowohl eine
   neue Ausrüstungsbasis als auch eine neue Wissensbasis oder nur eines
   von beiden gefordert werden soll. Indem man eine neue Ausrüstungsbasis
   fordert, kann man Antiblockiersystem-Patente ausschließen, bei denen
   die Neuerung in der Gebrauchsanweisung oder dem Steuerungsprogramm
   liegt, welche beide nicht als solche beansprucht werden können, so
   dass die praktische Durchsetzbarkeit solcher Patente ohnehin fraglich
   ist. Indem man eine neue Wissensbasis fordert, stellt man wiederum
   sicher, dass die Problemlösung eine erfinderische Tätigkeit erfordert
   und nicht etwa mithilfe künstlicher Intelligenz durch Simulation
   ermittelt werden kann.
   
2. Unser Novellierungsvorschlag

                          Artikel 52: Erfindungen
                                      
    1. Europäische Patente werden für Erfindungen erteilt. Eine Erfindung
       ist
          + eine technische Lösung eines technischen Problems
          + eine Lehre, wie beherrschbare Naturkräfte unmittelbar zur
            Erzielung eines bestimmten materiellen Ergebnisses eingesetzt
            werden sollen
          + eine industrielle Anwendung einer neuen Ausrüstungs- und
            Wissensbasis
       Jede Erfindung besteht aus einer materiellen Basis, einer
       immateriellen Handlungsanweisung (Algorithmus) und einem
       materiellen Ergebnis. Zur materiellen Basis jeder technischen
       Lösung gehört eine Anordnung von materiellen Gegenständen
       (Ausrüstungsbasis) und ein Modell beherrschbarer Naturkräfte
       (Wissensbasis). Eine technische Problemlösung ist nur und genau
       dann eine Erfindung, wenn ihre materielle Basis neu ist und nur
       durch eine beträchtliche menschliche Anstrengung (erfinderische
       Tätigkeit) geschaffen werden konnte.

    2. Als Erfindungen werden insbesondere nicht angesehen:
         1. Entdeckungen sowie wissenschaftliche und mathematische
            Theorien und Methoden
         2. ästhetische Formschöpfungen
         3. Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für
            Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für
            Datenverarbeitungsanlagen
         4. Informationsstrukturen und Datenanordnungen aller Art sowie
            Verfahren zu ihrer Erzeugung
         5. von Ärzten, Handwerkern, Bauern und freiberuflichen
            Dienstleistern aller Art in Hand- oder Kopfarbeit ausgeübte
            Verfahren
       
3. Bisherige Version des §52

                    Artikel 52: Patentfähige Erfindungen
                                      
    1. Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der
       Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen
       Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
    2. Als Erfindungen im Sinn des Absatzes 1 werden insbesondere nicht
       angesehen:
         1. Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und
            mathematische Methoden;
         2. ästhetische Formschöpfungen;
         3. Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für
            Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für
            Datenverarbeitungsanlagen;
         4. die Wiedergabe von Informationen.
    3. Absatz 2 steht der Patentfähigkeit der in dieser Vorschrift
       genannten Gegenstände oder Tätigkeiten nur insoweit entgegen, als
       sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent
       auf die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht.
    4. Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des
       menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren,
       die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden,
       gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des
       Absatzes 1. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe
       oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend
       genannten Verfahren.
       
4. Neue Version des Art 52 laut EPA-Basisvorschlag

   Das EPA möchte auf der [45]Diplomatischen Konferenz im November 2000
   alle Reste einer Defintion der Begriffe Erfindung, Technizität,
   industrielle Anwendbarkeit usw. aus dem Gesetz tilgen und stattdessen
   die universelle Anwendbarkeit des Patentwesens postulieren. Das hat es
   dem EPA ermöglicht, seinen Vorschlag sehr kurz zu halten:
   
                    Artikel 52: Patentfähige Erfindungen
                                      
     Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der
     Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen
     Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
     
5. Weiterer Klärungsbedarf

   In obigem Vorschlag fehlt eine Abgrenzung für den umstrittenen Bereich
   der Gentechnologie. Es läge aber nahe, die Vervielfältigbarkeit zum
   Ausscheidungskriterium zu erheben. Sowohl Information als auch bei
   Leben kann ohne industriellen Aufwand vervielfältigt werden.
   Patentansprüche sollten sich demnach nur auf Gegenstände erstrecken
   können, deren Reproduktion über das beanspruchte Verfahren erfolgen
   muss.
   
   Durch eine Eingrenzung würde das Patentwesen auf den Bereich
   zurückgestutzt, in dem es gut funktioniert. Dies kann in einigen
   Gebieten dazu führen, dass Bedarf nach neuen
   [46]Sui-Generis-Schutzsystemen oder sonstigen sachgerechten Systemen
   zur Belohnung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit entsteht.
     _________________________________________________________________
   
Anmerkungen

   [1] insbesondere den [48]gewollten Missverständnissen sowie dem
       [49]TRIPS-Scheinargument
   [2] Hier liegt manchmal eine schwierige Grenze, s. BGH-Urteile
       "Antiblockiersystem" (1980) und "Flugkostenminimierung" (1981). Der
       Antiblockiersystem-Patentantrag wurde 1976 vom BPatG abgelehnt, weil
       die Erfindung im Bereich der programmierten Steuerung lag, aber 1980
       vom BGH mit einem verengten Anspruchsbereich für zulässig erklärt,
       weil sie einen unmittelbaren Einsatz von Naturkräften zum Gegenstand
       hatte. Im Fall "Flugkostenminimierung" ging es zwar auch um einen
       Einsatz von Naturkräften, aber der BGH wies den Antrag zurück, da die
       Erfindungsleistung im Bereich des Rechnens mit bekannten Größen lag.
       Diese Differenzierung ist weiter zu verfeinern.
   [3] Vgl die Motive zum Bundesrats-Entwurf eines Patentgesetzes,
       Reichstagsdrucksache, 3. Legislatur-Periode, 1. Session 1877, Nr. 8:
   
	 Der Entwurf beschränkt die Patentfähigkeit auf solche Erfindungen,
	 welche eine gewerbliche Verwertung gestatten. Eine derartige
	 Verwendung kann bestehen in der gewerbsmäßigen Herstellung des
	 erfundenen Gegenstandes oder in seinem Gebrauch innerhalb eines
	 gewerblichen Betriebes. Auf diese Weise sind rein wissenschaftliche
	 Entdeckungen, die Auffindung unbekannter Naturprodukte, die
	 Entdeckung unbekannter Produktivkräfte, die Aufstellung neuer
	 Methoden des Ackerbaues oder Bergbaues usw, die Kombination neuer
	 Pläne für Unternehmungen auf dem Gebiete des Handels von dem
	 Patentschutze ausgenommen. Der Entwurf folgt in dieser Hinsicht den
	 in allen Staaten ausdrücklich oder durch die Praxis anerkannten
	 Grundsätzen.
     _________________________________________________________________
   
Verweise

  43. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html
  44. http://www.pro-innovation.org/rapport_brevet/brevets_plan.pdf
  45. http://swpat.ffii.org/penmi/epue-2000/indexde.html
  46. http://swpat.ffii.org/stidi/basti/indexde.html
  47. http://swpat.ffii.org/stidi/epue52/#tem1
  48. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/lamy98fr.html
  49. http://swpat.ffii.org/stidi/trips/indexde.html