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Hammel und andere Leiter (was: [FYI] Neues zu RPS)



Hallo,

neko wrote:

> > > - und bei den Lieblingshassthemen KiPo und Nazi sind wir ja schon nahe
> > > an der Unterdrueckung von Gedanken und der Bevormundung der
> > > Bevoelkerung, 
> > Ja, aber die sollen das doch wenigstens am Stammtisch oder in der
> > Familie diskutieren duerfen. Kipo sowieso nicht ;-)
> Moment, Diskussion dient der Meinungsbildung.

Das Problem, das man im aufklaererischen Elan haeufig uebersieht, ist
nur, dass das Bildungsgut auf dem Weg nach "unten" bzw. seiner
Verbreitung seine Gestalt veraendert - am Ende wird aus Meinungsbildung
Bild dir deine Meinung.

> Diese Meinung kann je nach Diskussionsniveau (und Intelligenz der
> Teilnehmer?) unterschiedlich ausfallen. Ein Volk, welches intensiv
> Meinungsbildung betrieben hat,

Konkretes Beispiel? - Frankreich 1789???

> ist zwar u.U. schwer lenkbar, dafuer aber in irgendeinem Sinne kompetent -
> schliesslich haben sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

Genau so fuehlt sich doch der Bildzeitungsleser: in _irgendeinem_ Sinne
kompetent, irgendwie hat er sich auseinandergesetzt - nur wie genau und
in welchem Sinne... tja.

Einbildung ist auch eine Bildung.
[Franz Xaver Kroetz, Nicht Fisch nicht Fleisch]

> Der Trick ist doch jetzt, diese Meinungsbildung sinnvoll (was auchg immer
> sinnvoll ist)

Das ist der Knackpunkt: Was ist sinnvoll? Und zwar, wenn es um die
Lieblingshassthemen geht: ausserhalb eines aufgeklaerten
Sinnzusammenhangs - Offenbar werden die Inhalte der Lieblingshassthemen
perverserweise von ihren Anhaengern als sinnstiftend erfahren (vor allem
im Vergleich zu "sinnlosem scheissdemokratischem Gequassel"): endlich
Schluss mit Fragen und Selbstzweifeln, endlich klare, eindeutige
Antworten, endlich keine Probleme mehr, sondern Loesungen, um nicht zu
sagen: Endloesungen! - Und leider, leider haben sie in _einem_, in
diesem Falle aber mitentscheidenden, Punkt recht, freilich sich dessen
bewusst zu sein: Sinn laesst sich nicht herbeidiskutieren. Und sie
werden so lange de facto recht behalten, wie der aufklaererische Elan
sich seiner Grenzen ebenso unbewusst ist und ihnen falsche
Versprechungen den Sinn betreffend macht.

> zu beeinflussen und nicht, Diskussionsrunden zu verbieten? Bei Verbot
> laesst sich die Hammelherde zwar besser lenken, aber sie kommt dann
> wirklich gleich nach Hammelherde oder Lemmings und ist eigentlich wertlos.

Wenn die Hammelherde mit Baseballschlaegern ausgeruestet daherkommt, ist
Davonlaufen oder Notwehr angesagt. Bei beidem macht man sich moralisch
die Haende schmutzig, das ist ja genau die crux mit totalitaerer Gewalt.
Begegnet man ihr, hat man nurmehr zwei Moeglichkeiten zu reagieren, aber
keine differenzierten: Entweder Gutmensch und Opfer - oder selber
gewalttaetig werden.

Dass unter dem Banner der "wehrhaften Demokratie" Zensur- und andere
Notstandsmassnahmen eingefuehrt werden ist ja nix Neues. Da bin ich auch
dagegen und fuer Diskussion. Aber diese _Meinung_ kostet mich ja nix.
Allerdings teile ich nicht den Optimismus bezueglich des
aufklaererischen Gestus. Da schwingt als Kehrseite zur Verteufelung des
Netzes haeufig noch, sozusagen die irrationale Seite der Ratio, eine
dezente Verherrlichung mit, die einem wertfreien Medium zuviel Gutes,
sinn- und wertstiftendes andichtet. Der shortcut des frommen Wunsches
schiesst aber ins eigene Tor. Mit zunehmender Verbreitung verliert das
Netz zwar seinen elitaeren Charakter, das ist schoen und edel, aber eben
auch ein Verlust; denn es tauchen all die schmutzigen Probleme des RL
aus der Versenkung auf, die man in wohlmeinendem Ueberschwang
ueberwunden meinte oder auch nur wuenschte.

Fuer offene Diskussion und Aufklaerung (bin mit Sartre der Meinung, dass
de Sade Schullektuere sein sollte: fruehe Warnung, wohin entgrenzte,
angewandte Rationalitaet _fuehrt_...), aber im staendigen
aufklaerungskritischen Bewusstsein, dass das zur Loesung von draengenden
bzw. im wahrsten Sinn des Wortes brennenden Total-Sinnfragen keinen Deut
beitraegt, dass das Netz bzw. das Medium per se diese Diskussion auf
keine hoehere Stufe hebt, dass es, wenn ueberhaupt um eine Art Bildung
geht, bei deren Beschreibung man leider ebenso rumstuempert wie die
Zensoren, die den Diskurs annektieren. - IMO gilt das ebenso fuer
Privatsphaere: wenn's hart auf hart kommt, bin ich darauf angewiesen,
dass mir etwas entgegengebracht wird, das ich nur nebuloes mit Respekt
umschreiben kann, was sich nicht erzwingen laesst - und wenn mein
Gegenueber die menschlichen (?), zivilisierten (?) Qualitaeten aus
kommerziellen, kriminellen, sexuellen etc. Gruenden vermissen laesst,
dann iss eh Essig. Toleranz kann ich auch noch so tricky niemand
aufzwingen - und schon gar nicht einer armen, aber um so maechtigeren,
Sau.

Je mehr das Netz Teil des RL wird, desto mehr wird es vom RL eingeholt.
 
> Was wollen wir? Kompetente Menschen, oder Hammelherde? Oder von beidem
> etwas? Viele Hammel, drei Huetehunde und ein Schaefer?

Nicht eh die Revolution gesiegt hat endgültig
In der Stadt Witebsk wie
in andern Städten
Werden wir wissen, was das ist, ein Mensch.
[Heiner Müller, Mauser]

> neko, fuer Diskussion - Hammelherden koennen naemlich leichter
> Ammoklaufen, als gebildete Menschen.

Christian, fuer Diskussion - aber: Bildung schuetzt vor Amoklaufen
nicht: Heidegger, Benn, Jünger et.al. waren sicher alles moegliche, aber
nicht ungebildet (was in keinster Weise gegen Bildung spricht, nur gegen
ihre Ueberschaetzung, dass sie zu menschlicher Reife oder sowas fuehrt).
-- 
Um abzulenken von Sinnlosigkeit,
Verfaellt man in sinnlose Taetigkeit.