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Re: [FYI] 101 Köpfe: Wolfgang Tauchert



On Tue, 14 Nov 2000, Arne Haeckel wrote:

> On 13 Nov 00, at 0:32, PILCH Hartmut wrote:

> > Bei Computerprogrammen wird ganz anders kalkuliert als bei materiellen
> > Gegenstaenden.  Ob mit oder ohne grosse Gewinne: entscheidend sind weniger
> > die verkauften Stueckzahlen als die geschaffenen Abhaengigkeiten.  Nur
> > ziemlich wenige Firmen verkaufen ueberhaupt Software als zaehlbare
> > Stangenware.  Das scheint sich seit den 70er Jahren nicht besonders
> > gewandelt zu haben.  Nur die Erscheinungsformen der einzelnen Bereiche und
> > die verwendeten Schlagworte haben sich geaendert.
> Hallo,
> wenn nun jemand bis zu 6.000.000.000 abhängige Kunden aber 
> keine Gewinnspanne bei seinem Produkt hätte, dann hat er ein 
> Problem, es sei denn, er hat eine Berater-Abteilung (oder sonstige 
> Dienstleistung). Die meisten Software-Hersteller, die ich so kenne 
> und mit denen ich zu tuen habe, haben keine bedeutende 
> Dienstleistungsabteilung. Und glaubst Du ernsthaft, daß man mit 
> einer kostenpflichtigen Telefonhotline eine ganze Firma finanzieren 
> kann?
> Und: Sobald ich zu diversen Kaufhäusern 'reinstolpere, dann sehe 
> ich da ziemlich viele unterschiedliche Hersteller von Software. OK, 
> [Massen-Produkte]

Als Literatur empfehle ich:

@BOOK{varian1999,
   author = 	"{Shapiro, Carl, Varian, Hal R.}",
   title = 	"{Online zum Erfolg}",
   publisher = 	"{Wirtschaftsverlag Langen Müller / Herbig}",
   address = 	"{München}",
   year =	"1999"
}

Der treffendere Titel der Originalausgabe lautet "Information Rules 
-- A Strategic Guid to the Network Economy". 

Darin wird das Wesen von Software als _Information_ und damit 
losgeloest von ihrer stofflichen Repraesentation auf einem Daten-
traeger und die sich daraus ergebenden Implikationen auf die
"Network Economy" herausgearbeitet. 

Hartmuts Argumentation der Netzwerkeffekte als Sinn und Streben
dieses Wirtschaftens ist nur ein Teil der Medaille, genau wie Arnes
Beschraenkung auf das Geschaeftsmodell von Softwareanbietern zu kurz
greift.

Die Argumentation von Shapiro/Varian dreht sich um Lock-In (also
die zwangsweise Bindung der Kunden an einen Anbieter), Positive
Rueckkopplung des Lock-In (u.a. illustriert am Beispiel des Kampfes
um die "richtige" Eisenbahnspurweite[1]) sowie um die Frage der Steu-
erung von Kompatibilitaet, Kooperation und Standards. 

Die Frage nach der richtigen Kooperations-/Konfrontationsstrategie
eines Anbieters, zu der _auch_ Standards, Patente usw. gehoeren
_koennen_ wird damit zu einer spieltheoretischen Entscheidung; die
"richtige" Strategie ist damit abhaengig von den Zuegen der anderen
Mitspieler und deren Strategie. 

Insofern wird u.a. die Frage nach der Patentierung (als Moeglich-
keit gleichzeitigen Lock-Ins/Lock-Outs) zu einem Optimierungspro-
blem; und genau diese Dynamik optimierender Logik, die zu einem
moeglichst umfassenden Horten von Pseudo-Know-How fuehrt gilt es
hernach zu durchbrechen -- dass die Patentlobby daran kein Inter-
esse hat, da sie sich dadurch selbst beschneiden muesste, ist nicht
weiter verwunderlich.

Warum sich dieser Patentaktivismus gerade jetzt manifestiert, ist
die eigentlich interessante Frage (mal von den juristisch-histo-
rischen Entwicklungen abgesehen) - die Streitigkeiten in den spaeten
80er/fruehen 90er Jahren zwischen Microsoft und Borland (Quattro
Pro-UI), Microsoft und Apple (GUI), ... haetten schon genuegend
Anreize bieten muessen, solche Ansprueche _auch_ patentrechtlich
abzusichern (inwiefern das geschehen ist, entzieht sich meiner Kenn-
tniss), und haetten demzufolge schon "damals" Patente nach sich 
ziehen muessen (wirtschaftsethische Gruende fuer die Nicht-Pat-
entierung des Papierkorbs erscheinen mir unlogisch). 

Warum werden Softwarepatente genau jetzt zu einem Streitpunkt, zu
einer Zeit, in der die "Freedom to Innovate" und die euphemistisch
als "Netzwerkeffekt" bezeichnete Monopolisierungsstrategie von Soft-
wareanbietern manifest wird?

Die "do ut des"-Erklaerung des Softwarepatenttausches scheint mir
als Erklaerung ungenuegend; koennte es nicht vielmehr sein, dass
"die Industrie" sich durch den OpenSource-Gedanken wesentlich 
staerker in ihren Grundfesten gefaehrdet sieht, als sie es oeff-
entlich eingestehen will? (Vorsicht Verschwoerungstheorie)

Ist das Zusammentreffen von Drang nach Softwarepatenten und den
laecherlichen Versuchen der Unterhaltungsindustrie zur Ausdehnung
ihres Geschaeftsmodelles - der Distributionskontrolle - auf die
Netzwelt nur eine zeitlich-historische Koinzidenz oder sind das
zwei Auspraegungen des selben Paradigmenkampfes?

My .02 Euro...

Gruss,
Matthias


[1] Das Buch enthaelt eine Fuelle von historischen Anekdoten, 
    welche passendes Anschauungsmaterial fuer aktuelle Entwik-
    klungen bieten. 

-- 
"23 Millionen AOL-User sind auch Menschen"
Sierk Hamann, 8.11.2000, Colloquium Angewandte (Un-)Sicherheiten, 
Koeln, im Zusammenhang von Minderheitenschutz und Filterz im Netz