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[FYI] Diplomatische Konferenz



http://www.ige.ch/D/news/2000/n114.htm

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ERKLÄRUNG DES PRÄSIDENTEN DES VERWALTUNGSRATS DES EUROPÄISCHEN
PATENTORGANISATION HERRN DR. ROLAND GROSSENBACHER

PRESSEKONFERENZ AM 20. NOVEMBER 2000 IN MÜNCHEN

(Es gilt das gesprochene Wort / Sperrfrist 20.11.2000, 12 Uhr)

Das künftige europäische Patentsystem wird aus drei Elementen
bestehen:

1. Die Europäische Patentorganisation (EPO) mit dem Europäischen
Patentamt (EPA), das auf der Grundlage des Europäischen
Patentübereinkommens (EPÜ) seit rund 25 Jahren europäische Patente
erteilt, die in den benannten Vertragsstaaten zu nationalen
Schutzrechten werden.

2. Die nationalen Patentsysteme, die in unterschiedlicher
Ausgestaltung und mit unterschiedlichem Gewicht weiter bestehen.

3. Das einheitliche Patentsystem der Europäischen Gemeinschaft, das
sogenannte Gemeinschaftspatent, das aber erst im Entstehen begriffen
ist.

Dieses umfassende europäische Patentsystem befindet sich in einem
tiefgreifenden Wandlungsprozess. Die EPO wächst rasant, sowohl
gemessen an den Anmeldezahlen als auch in ihrer geografischen
Ausdehnung. Die nationalen Patentämter suchen, mit Ausnahme
vielleicht der Grossen unter ihnen, eine neue Rolle innerhalb
Europas. Und um die Ausgestaltung des künftigen Gemeinschaftspatents
wird intensiv gerungen.

Zudem hat sich im Rahmen dieser grundlegenden Entwicklung eine Gruppe
von Vertragsstaaten des EPÜ entschlossen, eine Speerspitze zu bilden
und die Integration des europäischen Patentsystems schneller als
Andere voran zu treiben. Dieses Konzept des développement à deux
vitesses wurde an einer von Frankreich einberufenen
Regierungskonferenz der EPO-Länder 1999 angenommen, welche dem
Reformvorhaben überhaupt zusätzlichen Schub und politischen Rückhalt
gab, ebenso wie die Folgekonferenz vom vergangenen Oktober in London.


Das ist der Kontext der Revision des EPÜ, über welche seine
Vertragsstaaten an der heute beginnenden diplomatischen Konferenz
beraten wollen.

In den ersten 25 Jahren ihrer Existenz hat sich die EPO überaus
erfolgreich entwickelt. Sie zählt mittlerweile 20 Mitgliedstaaten,
nämlich alle EU-Länder sowie Liechtenstein, Monaco, die Schweiz, die
Türkei und Zypern; der Beitritt einer ganzen Reihe mittel- und
osteuropäischer Staaten wird ab Mitte 2002 erfolgen. Gegenüber den
ursprünglich erwarteten 30'000 jährlichen Patentanmeldungen nimmt das
Europäische Patentamt mit seinen bald 5000 Bediensteten nunmehr rund
140'000 Anmeldungen pro Jahr entgegen.

Es ist nicht zuletzt dieser Erfolg, der jetzt eine gründliche
Überarbeitung des EPÜ notwendig gemacht hat, um dem EPA ein noch
effizienteres Arbeiten zu ermöglichen, namentlich etwa durch das
Zusammenführen von Recherche und Prüfung. Aber auch die technische
Entwicklung, das Bedürfnis nach vermehrter Rechtssicherheit und die
Anliegen der Benutzer des Patentsystems haben Handlungsbedarf
entstehen lassen. Fast 100 Artikel des EPÜ sollen revidiert werden.

Die meisten vorgeschlagenen Änderungen sind verfahrensrechtlicher
Natur und auf einer sehr technischen Ebene angesiedelt. Zum einen
geht es um die Anpassung des Europäischen Patentübereinkommens an das
TRIPS-Übereinkommen der Welthandelsorganisation und an den neuen
Vertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum zur
Harmonisierung patentrechtlicher Formerfordernisse. Ein Teil der
Vorschläge hat sodann eine Vereinfachung und Beschleunigung des
europäischen Erteilungsverfahrens zum Ziel, ein anderer will eine
Entlastung des EPÜ von Verfahrensdetails und deren Überführung in die
Ausführungsordnung bewirken.

Mit der systematischen Überprüfung dieses umfangreichen Regelwerks
beabsichtigen wir, dessen Funktionsfähigkeit angesichts des rasanten
Wachstums der Organisation aufrechtzuerhalten und dessen Akzeptanz
bei den Nutzern weiterhin zu sichern. Oder anders ausgedrückt: Es
geht um eine behutsame Modernisierung des europäischen Patentsystems
unter Wahrung seiner bewährten Grundlagen, um eine zügige, effiziente
und transparente Durchführung aller Verfahren vor dem Europäischen
Patent zu gewährleisten.

Daneben sind aber einige ganz wesentliche Neuerungen zu erwähnen. Ich
nenne als Erstes die bessere Verankerung der EPO auf der politischen
Ebene durch die Institutionalisierung einer Regierungskonferenz der
Vertragsstaaten auf Ministerstufe. Die Pariser und die Londoner
Konferenz haben gezeigt, dass dadurch wesentliche Impulse gegeben,
Weichen gestellt und Reformen beschleunigt werden können.

Für die Fortentwicklung des europäischen Patentsystems entscheidend
dürfte sodann die vorgeschlagene ausdrückliche Anerkennung
fakultativer Zusatzübereinkommen sein. Ein erstes solches
Übereinkommen wurde schon letzten Monat in London unterzeichnet; es
beschränkt die erforderlichen Übersetzungen europäischer Patente und
senkt damit die Kosten ganz massiv. An einem Instrument zur
Vereinheitlichung der Gerichtsbarkeit betreffend europäische Patente
wird bereits intensiv gearbeitet. Die Londoner Regierungskonferenz
hat die Stossrichtung gutgeheissen und ein Mandat zur Fortführung der
Arbeiten mit einem ehrgeizigen Zeitplan erteilt.

Dieses "développement à deux vitesses", die dadurch entstehende
Speerspitze, prägt auch die Vorarbeiten am künftigen Gemeinschafts-
patent, zu dem die Europäische Kommission diesen Sommer einen
Vorschlag vorgelegt hat. Dieser greift auf die Grundkonzeption einer
früheren Vereinbarung unter den damals 12 Mitgliedern der
Europäischen Gemeinschaft zurück, die aber nie in Kraft getreten ist.
Er übernimmt nun bei der Sprachenregelung und beim Gerichtssystem,
die in ihrer bisherigen Form der Verwirklichung des
Gemeinschaftspatents im Wege standen, das im Rahmen der EPO
ausgearbeitete Konzept und richtet sich damit an der durch die
genannte Speerspitze gesetzten benchmark aus. Ausserdem soll nach dem
Vorschlag der Kommission das Gemeinschaftspatent ein durch das EPA
erteiltes europäischen Patent sein, also Bestandteil des europäischen
Patentsystems werden.

Ein weiterer wichtiger Revisionspunkt soll angesichts der permanenten
Entwicklung des internationalen Patentrechts die Flexibilität des EPÜ
gewährleisten. Eine Ermächtigung des Verwaltungsrats der EPO soll
eine zügige Anpassung des EPÜ an andere Staatsverträge oder an
Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des Patentwesens ermöglichen, ohne
dass dazu der langwierige Weg einer Revision eingeschlagen werden
muss. Sorgfältig abgestimmte Regeln werden dafür sorgen, dass dem
Gesetzgeber der einzelnen Vertragsstaaten trotzdem die vollständige
Kontrolle gewahrt bleibt.

Zu intensiver Diskussion Anlass geben wird wohl die Patentierung von
Computer-programmen. Der Basisvorschlag sieht vor, die entsprechende
Schutzausnahme zu streichen, die Computerprogramme also nicht mehr im
Negativkatalog der nicht patentierbaren Erzeugnisse aufzuführen. Dies
würde zwar an der gegenwärtigen Rechtslage nichts ändern. Die in
dieser Frage massgebliche Grenzziehung zwischen technischen Lösungen
einerseits und nichttechnischen Methoden anderseits ergibt sich
nämlich schon aus dem Erfindungsbegriff. Die Befürchtung ist aber
weit verbreitet, dass die Streichung der Schutzausnahme angesichts
der in den USA bestehenden Tendenz, blosse Geschäftsmethoden durch
Patente zu schützen, ein falsches Signal geben könnte.

Einzelne brisante Punkte wurden bewusst aus der gegenwärtigen
Revision ausgeklammert. So das Verhältnis zum künftigen
Gemeinschaftspatent aus dem einfachen Grunde, dass die diesbezügliche
Diskussion innerhalb der EU noch nicht abgeschlossen ist. Anders bei
der Patentierung biotechnologischer Erfindungen, die in einer in
Kraft stehenden Richtlinie der Gemeinschaft klar geregelt ist. Obwohl
die Frist hierfür Mitte 2000 abgelaufen ist, hat allerdings erst eine
Minderheit der EU-Länder diese Richtlinie bereits umgesetzt, und sie
wurde als solche verschiedentlich in Frage gestellt. Angesichts
dessen macht es keinen Sinn, im Rahmen der EPO eine parallele
Diskussion zu führen und allenfalls gar abweichende Schlüsse zu
ziehen. Beide Fragen sollen zu gegebener Zeit erneut aufgegriffen
werden.

Förderung und Schutz von Innovation geniessen in der
Wirtschaftspolitik hohe Priorität, wirksamer Patentschutz wird immer
mehr als Schlüsselfaktor erkannt. Auch das globale Handelssystem im
Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) räumt dem
Immaterialgüterrecht hohen Stellenwert ein und hat den Schutz
geistigen Eigentums durch Mindeststandards im TRIPS (Trade-related
Aspects of Intellectual Property Rights)- Abkommen verankert. Die
gewerblichen Schutzrechte, im besonderen Patente, haben dadurch eine
erhebliche institutionelle Stärkung erfahren.

Die Europäische Patentorganisation leistet mit ihrem Reformprojekt
einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung des europäischen
Patentsystems, dessen Wirkung die europäische Wirtschaft stärkt und
Europa innerhalb des weltweiten Netzwerks zum Schutz des geistigen
Eigentums eine führende Rolle gibt.

Die sogleich beginnenden Beratungen über den Basisvorschlag zur
Revision des EPÜ werden, das bringt die Materie mit sich, nicht immer
einfach sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass ich Ihnen auf der
Pressekonferenz am 29. No-vember nach Abschluss der Diplomatische
Konferenz ihren Erfolg verkünden kann. Die Vertragsstaaten der
Europäischen Patentorganisation sind sich nämlich einig in dem
Willen, eine der ganz wichtigen Rahmenbedingungen für den
Wirtschaftsraum Europa und für seine Innovationskraft zu verbessern
und so die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu
unterstützen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen zusammen mit
dem Präsidenten des Amts für Fragen zur Verfügung.

20. November 2000/ Roland Grossenbacher

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