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Re: SWPAT Luegenmaerchen



> Ich fand einen Telepolis-Artikel, dessen Niveau doch erheblich hinter 
> dem ueblichen Heise-Standard zurueckblieb:

So hoch ist der Heise-Standard gar nicht.  Insbesondere in Sachen Swpat
sind alle Artikel von Missverständnissen und Halbwissen geprägt.  Die
Besonderheit dieses Artikels liegt woanders.
 
> http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4379/1.html
> 
> > Feuerpause an der Patentfront
> > 
> > Peter Mühlbauer   01.12.2000 
> > 
> > Belagerungszustand der Software durch Patente bleibt bestehen 
> > 
> > Nichts ändert sich - und damit werde die jüngste Erteilungspolitik des
> > Europäischen Patentamtes bestätigt bzw. legalisiert. Diese Sichtweise
> > des Ergebnisses wurde der Präsident des Verwaltungsrats der
> > Europäischen Patentorganisation (EPO), Roland Grossenbacher, auf der
> > abschließenden Pressekonferenz [0] der diplomatischen Konferenz am
> > Mittwoch nicht müde zu wiederholen.  
> > 
> > Vor dem Sitz des Europäischen Patentamts [1] in München demonstriert
> > eine Handvoll Greenpeace-Aktivisten in weißen Schutzanzügen gegen die
> > Praxis der Erteilung von Biotech-Patenten (Vgl. Bundeskabinett billigt
> > einstimmig Biopatent-Gesetzentwurf [2]). Eine ebenso große Anzahl
> > Polizisten steht demonstrativ gelangweilt davor und verschwendet
> > Steuergelder. Es wirkt ein bisschen wie eine Afterhour im Berlin des
> > Jahres 1991 oder wie ein Altern 8 [3] Video, das man mit einem
> > unbestuhlten Wartezimmer voller Polizeibeamter verschnitten hat.
> > Drinnen sammeln sich derweilen die Bürokraten, lecken ihre Wunden und
> > versuchen die gescheiterte Attacke auf den Artikel 52 der Europäischen
> > Patentübereinkunft als Anerkennung der bisher illegal besetzten
> > Ansprüche zu verkaufen.  
> 
> Die Schose mit den "illegal bestzten Anspruechen" ist ein vom FFII 
> ausgebruetetes Maerchen, das sich allmaehlich auch in den Medien 
> breitmacht.

Die Formulierung stammt nicht vom FFII.
Die Sache haben wir hier mehrfach diskutiert, und AHH hat die Diskussion
verloren. Außerdem hat er offenbar immer noch nicht Kolle,
Kiesewetter-Köbinger, Lamy, Smets und diverse andere Texte gelesen.

> Faktum ist, dass bei der Verabschiedung des EPÜ im Jahre 
> 1973 _nicht_ hineingeschrieben wurde:
> 
> "Als Erfindungen [...] werden nicht angesehen:
> 
> [...]
> 
> computer-implementierbare Gegenstaende [...]"

Das wäre auch eine sehr missverständliche Formel gewesen, s. unten.

> _Wenn_ es so gewesen waere, dann koennte man sagen, dass die heutige 
> Praxis contra legem waere. Tatsache ist aber, dass _nichts 
> derartiges_ im EPÜ steht. Wie sattsam bekannt, steht im EPÜ nur, dass 
> "Programme fuer Datenverarbeitungsprogramme als solche" nicht als 

Die Wörtchen "als solche" hat AHH per cut&paste hineingefügt.

Wie Art 52.3 zu verstehen ist, habe ich hier schon ein paar mal erklärt.

Laut 52.2 kann z.B. neuartiges Brettspiel nicht Patentgegenstand sein.
Eine neue Methode, Elfenbein zu verarbeiten jedoch wohl.  Somit kann sehr
wohl der Vertrieb einer konkreten Schachspielausrüstung verboten werden.
Das Spiel als solches bleibt jedoch unberührt und kann z.B. mit
Plastikfiguren verwirklicht werden.

Analog dazu kann z.B. ein chemisches Verfahren patentiert sein.  Ein
Computerprogramm, welches den Reaktionsvorgang nach Maßgabe der
Patentschrift steuert, jedoch nicht. D.h. ich könnte das Computerprogramm
als solches veröffentlichen und verkaufen.  Verboten werden könnte jedoch
nur sein Einsatz zur Durchführung des tatsächlichen Verfahrens sowie das
Erzeugnis dieses Verfahrens.

Das Wort "als solches" ist ein übliches syntaktisches Ordungsmittel,
hinter dem keine besondere Philosphie steckt.   Es ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit, die da in Art 52.3 reingeschrieben wurde.

> patentfaehige Erfindungen gelten. Diese Bestimmung steht im Kapitel 1 
> des Abkommens, welches unter der Ueberschrift "Patentierbarkeit" 
> steht, nicht unter irgendeiner Ueberschrift "Patentverletzung" oder 
> so. Und in der Tat ist (zumindest meines Wissens) noch kein 
> Patentanspruch vom EPA erteilt worden, der ein "Programme fuer 
> Datenverarbeitungsprogramme als solches" als Gegenstand hat. 

Es sind Ansprüche auf "Computerprogramm, welches ..." erteilt worden.
Abgesehen davon ist das nicht nur eine Frage der Anspruchsformulierung.
Es gibt ca nx10000 Patente auf Probleme, deren Lösung im Verfassen eines
programmiersprachlichen Textstücks besteht.  

> Selbst die ominoesen IBM-Ansprueche "Computerprogrammprodukt"
> beschreiben einen in einem technischen Zusammenhang stehenden
> _Algorithmus_, also eine Abstraktion ueber einer Klasse in gleicher
> Weise wirkender Programme, dessen Funktionalitaet sich nur
> erschliesst, wenn ein Programm auf einer CPU _ablaeuft_.

Eben, eine Klasse von Computerprogrammen.
Jeder Patentanspruch bezieht sich auf eine Klasse von Gegenständen.
 
> Dass die Wortwahl des EPÜ ist aus heutiger Sicht als voellig 
> verunglueckt angesehen werden muss, ist unstrittig. 

Die Wortwahl des EPÜ drückt genau das aus, was man in den 70er Jahren
wollte und was wir heute wollen.

Unglücklich ist sie für das EPA und die Patentjuristen, die etwas anderes
wollen. 

Unglücklich ist vielleicht auch die Wortwahl in Art 52.3 ("als solches"),
da diese den herrschenden Patentjuristen Gelegenheit für viele
Verwirrspiele gegeben hat.

> Daher ja auch die Motivation des urspruenglichen "Basic Proposal", die
> "Datenverarbeitungsprogramme als solche" zu streichen und das
> Erfordernis der Technizitaet expressis verbis in den Artikel 52
> hineinzuschreiben. Zur Entschuldigung der damaligen Akteure, die
> Anfang der 70er Jahre das EPÜ gezimmert haben, kann man heute nur
> darauf verweisen, dass zu jener Zeit der Mikroprozessor ganz am Anfang
> stand und die Ubiquitaet computer-implementierbarer Erfindungen
> schlicht noch nicht antizipierbar war. Es war noch die Zeit der
> grossen "Mainframes" plus ein paar Geraete der "mittleren
> Datentechnik" a la PDP von Digital Equipment etc. Da hatte man noch
> eine mehr externale Vorstellung von einem
> "Datenverarbeitungsprogramm".

Die damaligen Vorstellungen sind im genannten Kolle-Artikel von 1977 zu
finden.  Sie sind sehr modern.  Damals gab es auch schon Unix und TeX, und
die grundlegende Struktur der EDV-Branche ähnelte sehr der heutigen.
Erst mit dem Aufkommen des PC und des Microsoft-Betriebssystems entstand
unter Patentjuristen ein weit verbreiteter falscher Eindruck, dass sich
nun grundlegende Strukturen geändert hätten, die eine Anpassung
erforderlich machten.   Melullis meinte etwa in

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-mellu98de.html

das Microsoft und andere Softwarefirmen zu Zentren der Wertschöpfung und
zur richtungsbestimmenden Kraft geworden seien und demgegenüber die
klassische technische Industrie nunmehr eher an der Peripherie liege.
Mit OSS kehrt sich diese Tendenz zum Glück wieder um.
 
> Die Mitglieder der Beschwerdekammern haben - ebenso wie die Richter 
> am Bundespatentgericht bzw. am BGH - nichts weiter unternommen, als 
> diese veruenglueckte Formulierung moeglichst sinnhaft mit Leben zu 
> fuellen. Man kann darueber streiten, inwieweit ihnen das gelungen 
> ist. Aber diese Personen deswegen in die Naehe von Delikten wie 
> "Rechtsbeugung" etc. zu ruecken, ist einfach laecherlich.

Diese Personen haben die ursprünglich klaren Gesetzesregeln in ihr
Gegenteil uminterpretiert.  Damit stehen sie vielleicht nicht allein.
Hohe Gerichte tun das gelegentlich, wenn sie meinen, den Erfordernissen
der Zeit gerecht werden zu müssen.  Aber der gesetzgebende Souverän muss
sich das nicht gefallen lassen.
 
> Der tatsaechliche Clou liegt aber in einem anderen Umstand: Der 
> Artikel 52 regelt nur die Frage, welche Patentansprueche _erteilt_ 
> werden koennen und welche nicht. Der Artikel 52 hat keinerlei 
> Auswirkungen auf die gerichtliche _Durchsetzung_ von erteilten 
> Patentanspruechen. 

Für Firmen wie IBM und andere, die zusammen mit dem EPA und den
BGH-Richtern die Regeländerung herbeigeführt haben, ist die Art der
Durchsetzung klar: konkurrierende Computerprogramme sollen vom Markt und
aus dem Netz verschwinden.  Diese Art der Durchsetzung stellt m.W. niemand
in Frage.

> Das reale Problem fuer Softwerker besteht heute 
> nicht darin, dass irgendwo Software patentiert worden ist, sondern 
> darin, dass sie im Vollzuge ihrer taeglichen Codierarbeit implizit 
> Gegenstaende schaffen, die Funktionalitaeten aufweisen, die mit 
> Patentrechten Dritter kollidieren koennen. Diese Sache hat nun 
> rechtssystematisch mit Artikel 52 nichts, absolut gar nichts zu tun. 
> 
> Wenn beispielsweise in einem Anspruchswortlaut ein "Tiefpassfilter" 
> auftaucht, kann damit eine Anordnung mit Kondensatoren, 
> Induktivitaeten und/oder Widerständen gemeint sein. Es _kann_ aber 
> auch ein Signalprozessor gemeint sein, der so programmiert ist, dass 
> er ein Tiefpassfilter nachbildet. 
> 
> Ein Elektronik-Patent, in dessen Patentanspruechen irgendwo ein 
> "Tiefpassfilter" auftaucht, waere somit bereits ein "Softwarepatent".
> 
> Keine ueberhaupt denkbare Aenderung an Artikel 52 kann diese 
> Moeglichkeit ausschliesen, es sei denn, man verbietet "computer-
> implementierbare" Gegenstaende schlechthin und bannt funktionale 
> Merkmalsformulierungen in Patentanspruechen. Dies wuerde einen 
> weitgehenden Ausschluss aller High-Tech Erfindungen aus dem 
> Patentbereich zur Folge haben. Was bliebe, waeren Chemie incl. 
> Biotech und "oelverschmierte" Mechanik-Patente.

Warum auch nicht?
Wenn unter "High Tech" all das zu verstehen ist, was auf dem geschickten
Rechnen mit bekannten Naturkräfte-Modellen beruht, sollte das Patentwesen
vielleicht besser draußen bleiben.  Das ist nämlich Software und
Mathematik, so sehr man auch Metaphern wie "High Tech" verwenden möchte.

Es würden zumindest "computer-implementierte" Gegenstände wie z.B. eine
neue Art, Magnetkräfte zum Lesen von Datenträgern zu nutzen übrigbleiben.

Außerdem wäre es durchaus möglich, Computerprogramme draußen zu halten und
etwa in Hardware gegossene Formen der selben Prozesse zu erlauben.
Dann hätten wir zwar einen aufgeweichten Technikbegriff, aber der
Disclaimer 52.2c würde seine Funktion weiterhin erfüllen.
 
> Die Open-Source-Community im allgemeinen und der FFII im besonderen 
> spricht aber nicht fuer die Gesamtheit derjenigen Wirtschafszweige, 
> die "computer-implementierbare" Erfindungen hervorbringen. Wie sich 
> an den steigenden Anmeldezahlen ablesen laesst, scheint das 
> derzeitige Patentwesen insbesondere in denjenigen 
> Wirtschaftsbereichen, in denen programmiert wird, wo aber Software 
> nicht als eigenstaendiges Handelsgut in Erscheinung tritt, auf grosse 
> Akzeptanz zu stossen. Beispiel: Mobilfunk-Industrie (GSM, UTMS etc. 
> pp).

Da bin ich mir nicht sicher.
Ich habe mit einigen Leuten aus dem Telekommunikationsbereich, inklusive
Projektleitern von Siemens, Dokomo und anderen Großfirmen gesprochen, die
Patente in ihrem Bereich vor allem als einen Klotz am Bein wahrnahmen.
  
> Ueberhaupt dieses "Gruselkabinett". Unter
> 
>   http://swpat.ffii.org/EP/EP0487110
> 
> wird das EP-Patent Nr. 0.487.110 ausgestellt. Auf der FFII-Website 
> wird dazu ein Patentanspruch angegeben. Der naive Konsument dieser 
> FFII-Site wird sich denken, das sei der _erteilte_ Patentanspruch. 
> Nichts da. Ein Verleich mit der Patentschrift ergibt, dass es sich um 
> den Anspruch aus der _Anmeldung_ handelt, d.h. zunaechst das pure 
> Wunschdenken der Anmeldefirma wiederspiegelt. Der erteilte Anspruch 
> aus der B1-Schrift ist ellenlang und hat einen dagegen geradezu 
> winzigen Schutzbereich.
> 
> Ich vermute, dass die uebrigen Ansprueche auf der FFII-Seite allesamt 
> Fakes sind. Wer will, moege das mal nachsehen: Einfach dem Link 
> folgen und bei ESPACE "B1" anklicken. Dann Schaltflaeche "Claims" 
> betaetigen.
> 
> Dabei ist allen debate-Lesern bekannt, dass ich in den vergangenen 
> Wochen phm oeffentlich haarklein erklart habe, wie das mit den 
> Offenlegungs- und Patentschriften funktioniert und wie man die 
> Druckschriften auseinanderhaelt. Hier kann ja wohl als Hintergrund 
> nur noch vorsaetzliche Taeuschung der Oeffentlichkeit in Betracht 
> kommen.  

Alle veröffentlichen Schriften sind B1-Schriften.  Das haben wir
tatsächlich von AHH und anderen lernen müssen.
Später kam ein weiteres Problem hinzu:  auf Espacenet sind teilweise 
nur die veralteten Ansprüche der B1-Schriften direkt in Textform
zugänglich.  Um neuere Versionen zu finden, muss man zunächst Seite
für Seite die PDF-Dokumente ausdrucken und abschreiben.
Beim ersten Durchsehen fanden wir, dass die Hauptansprüche darin
weitgehend identisch waren.  Wir sind aber noch nicht dazu gekommen,
das bei jeder Patentschrift einzeln zu prüfen und alles von Hand
abzuschreiben.

Wir sollten allerdings derweil auf diesen Vorbehalt wenigstens in 

	http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/

aufmerksam machen. 

> Wie gesagt, man braucht keine Strukturen zu beseitigen. Wenn die 
> Anmelder reine Registerrechte bevorzugen wuerden, haette man die 
> Pruefungsabteilungen schon personell heruntergefahren. Im Gegenteil: 
> Die Patentaemter suchen Patentprueferpersonal, um der Nachfrage durch 
> die Patentanmelder nachkommen zu koennen.

Natürlich ist die Patentprüfung zu den gegebenen Bedingungen für
Unternehmen attraktiv.  Man bekommt ein Monopolrecht mit amtlicher
Gültigkeitsbescheinigung.  Das sagt noch nichts über ihren
gesamtwirtschaftlichen Nutzen.
 
> > Vielleicht, weil es hier um die Abschaffung von Pfründen und
> > Privilegien der eigenen Klientel, der Anwälte, geht?  
> 
> Solange es Nachfrage seitens der Wirtschaft gibt, ist das nicht das 
> Thema. Ausserhalb der OSS-Community und des FFII gibt es 
> Wirtschaftskreise, die sehr gerne von SWPAT Gebrauch machen.

wie oben.
 
> Man muss aufpassen, dass OSS nicht unter die Raeder kommt. Wie das 
> gehen koennte, habe ich beschriben. Mein Standpunkt ist insoweit 
> bekannt.

Auch andere kommen unter die Räder.  Auch die Hersteller proprietärer
Software sind schützenswert und haben das nicht verdient.

Wenn aber AHH u.a. sich wenigstens für die OSS-Leute stark machen
würden, fände ich das schon sehr gut.  Dafür genügen aber nicht Artikel,
deren Hauptstoßrichtung gegen Kritiker der herrschenden Praxis zielt.

Lassen wir mal die Differenzen außen vor:  welche Gesetzesinitiativen
wären jetzt zu ergreifen, um OSS im Sinne von AHH zu schützen?  Was ist
dafür zu tun?

Eine Initiative, die OSS schützt, ohne gleichzeitig andere in den Morast
zu drücken, kann ich unterstützen.

-phm