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Re: 10 Gebote




Hi Simone, hi Liste!


"Neko (Simone Demmel)" schrieb:
>
>wieso verdrehst du immer alles mit Gewalt?

Es war nicht meine Absicht, etwas zu verdrehen.
   Ich wollte nur aufzeigen, daß es nicht so einfach möglich ist, einen
weltweiten Konsens über "richtig" und "falsch" zu finden.
   Klar ist es leicht zu sagen: Der Konsens sollte sein "Alle sollen
sich gut verhalten". Dagegen hat (fast) keineR was. Aber wenn's konkret
darum geht, dieses "gut" mit Inhalt zu füllen, wird's schwierig. Und die
Zehn Gebote des Alten Testaments sind m. E. als Grundlage für einen
Konsens, der über ein inhaltsleeres "Alle sollen sich gut verhalten"
hinausgeht, ungeeignet.


>gebrauche Deinen Verstand. Wenn du Gesetze und Gebote mit gesundem
>Menschenverstanbd und nicht mit krankhafter Radikalauslegung
>betrachtest, sind sie nicht zu schlagen.

Ups - "krankhafte Radikalauslegung" - habe ich Dich ernsthaft verärgert,
daß Du so beleidigend wirst? Sorry, das war nicht meine Absicht!
   Es ist relativ leicht aber auch witzlos, sich auf einen
wohlklingenden, aber inhaltsleeren Konsens zu einigen. Um zu sehen, ob
ich Regeln richtig oder falsch finde, finde ich es wichtig, a) die
Grundaussage dieser Regeln und b) Grenzfälle zu betrachten. Letzteres
nennst Du dann wohl krankhaft.

Zu den Zehn Geboten aus Exodus 20, 1-17: Ich versuche mal, mich im
folgenden auf die Grundaussagen zu beschränken und die Grenzfälle
wegzulassen.

Durch die Zehn Gebote zieht sich der Grundgedanke, Autoritäten
anzuerkennen und Macht- bzw. Ungleichheitsverhältnisse zu akzeptieren:
   Menschen sollen Gott als Autorität anerkennen. (Verse 3-11)
   Kinder sollen ihre Eltern als Autorität anerkennen. (Vers 12)
   Arme sollen den Reichtum (das Eigentum) der Reichen anerkennen.
(Verse 15 und 17)
   Das Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnis von Ehefrauen, Knechten
und Mägden (bzw. SklavInnen - je nach Übersetzung) wird festgeschrieben.
(Vers 17)

Diese Prinzipien stehen meinen Moralvorstellungen diametral entgegen.
Ein hierauf basierender Konsens ist mit mir nicht zu machen.


Dann gibt es noch "Du sollst nicht die Ehe brechen" (Vers 14).
>>
>>Also kämpfen wir gegen sexuelle Selbstbestimmung und für heterosexuelle,
>>lebenslange Monogamie?
>
>Was hast das bitte mit Ehe zu tun? Ehe ist ein gegenseitiges Versprechen
>aufeinander aufzupassen und zu kooperieren.

Es gibt viele Formen gegenseitigen Versprechens von Verantwortung und
Kooperation, das muß nix mit Ehe zu tun haben.
   Die Ehe ist a) eine religiöse, b) eine staatliche und c) eine
gesellschaftliche Institution. Die Ehe war und ist ein Instrument, daß
die sexuelle Selbstbestimmung (überwiegend der Frauen) einschränkt, daß
Homosexualität ausgrenzt, das Frauen eine Rolle in Haushalt und
Kinderbetreuung zuweist, das Männern einen Ort der Herrschaft
ermöglicht. (Meinen Kritikpunkt "Monogamie" nehme ist teilweise zurück -
natürlich gibt es auch Gesellschaften / Religionen / Staaten, die
Polygamie - meist nur für Männer - erlauben.)
   Ehebruch wird verstanden als "der Beischlaf eines Ehegatten mit einer
dritten Person während bestehender Ehe" 1). Worin Du da die Möglichkeit
sexueller Freiheit siest, bleibt mir unklar. Als Lesetip zum Thema: In
flagranti. Ehebrecherinnen von der Antike bis heute. Sabine
Melchior-Bonnet & Aude de Tocqueville. Gerstenberg Verlag. 78 DM.

Kurz: Die Institution Ehe (nicht aber Verantwortung und Kooperation
füreinander) gehört für mich auf den Misthaufen der Geschichte. Auch bei
dieser Regel ist ein Konsens mit mir nicht zu machen.


Bleiben - neben den Gottheits-bezogenen Regeln, auf die Du Dich ja nicht
bezogen hast - noch "Du sollst nicht töten" (bzw. "morden" - je nach
Übersetzung) (Vers 13) und "Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten
aussagen" (Vers 16).
   Das sind Sachen, wo wir uns darauf einigen können, daß diese Regeln
sinnvoll bzw. gut sind. Ausnahmefälle sind - da gebe ich Dir Recht -
abgedeckt durch die Formulierung "nicht sollen" statt "nicht dürfen".
   Aber: Dadurch, daß die Regeln "nicht sollen" heißen und somit
Ausnahmefälle offenlassen, ist es relativ bedeutungslos, wenn wir uns
weltweit auf diese Regeln einigen. Ohne Berücksichtigung der Ausnahme-
bzw. Grenzfälle brauchen wir uns nicht mehr zu einigen, es besteht schon
weltweite Einigkeit.
   Mehr als eine leere und wertlose Absichtserklärung wird nur daraus,
wenn wir die Punkte berücksichtigen, über die keine Einigkeit besteht.
Am Beispiel von töten / morden: Tyrannenmord, Nothilfe, Notwehr,
Landesverteidigung, Schwangerschaftsabbruch, Todesstrafe, Sterbehilfe
...


Bilanz:
Von zehn Geboten sind zwei dabei, bei denen ich grundsätzlich bei einem
Konsens mit dabei wäre (je nach Ausgestaltung der Grenzfälle). Und dabei
bin ich noch jemand, der vermutlich aus einem relativ ähnlichem
kulturellen Umfeld kommt, wie Du.
   Das hört sich imho nicht nach einer guten Grundlage für einen
weltweiten Konsens an!


>Man sieh hin, denk darueber
>nach, was diese Gesetze aussagen wollen und zieh sie gefaelligst nicht
>so wiederlich in den Dreck.

Ich habe nachgedacht. Ich habe versucht zu verstehen, was sie aussagen
wollen. Genau deshalb ziehe ich die meisten von ihnen in den Dreck.
Daran kann ich nichts Widerliches erkennen. Widerlich ist für mich die
herrschaftsstabilisierende Grundtendenz der Zehn Gebote.


>*Lies* die Gebote und fuehle sie

Gelesen habe ich sie, fühlen tue ich sie nicht.
   Ich finde auch Aufforderungen wie "Fühle die Gebote!", "Fühle Gott!"
usw. ziemlich gefährlich: So funktionieren Sekten, so funktioniert
Unmündigkeit, so funktionieren religiöse Autoritäten. Hinterfragen ist
unerwünscht, moralische und/oder intellektuelle Auseinandersetzungen
sollen dem "richtigen" Gefühl weichen.


Simone, ich hoffe, Du nimmst meine Kritik nicht allzu persönlich. Sie
ist nicht als Kritik an Deiner Person, sondern an den hier von Dir
vertretenen Inhalten gemeint.
   Deine Vorwürfe ("krankhaft", "wiederlich") finde ich unangemessen.


Holger


1) zitiert nach: dtv-Lexikon in 20 Bänden. Brockhaus GmbH / Deutscher
Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 1995.