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Re: 10 Gebote



[ Immer noch halb-offline und gerade wieder mitlesend. -- KK ]

In schulung.lists.fitug-debate you write:
>Holger Voss (hvoss@muenster.de) - Sun, Dec 03, 2000 at 05:01:55PM +0100:
>>    Ich wollte nur aufzeigen, daß es nicht so einfach möglich
>> ist, einen weltweiten Konsens über "richtig" und "falsch" zu
>> finden.

>Das Problem nur, was ich in diesem Zusammenhang sehe ist, dass
>wir demnaechst zu jeder gesetzlichen Aussage eine
>1000++-seitige Ausfuehrung aller denkbaren und undenkbaren
>Faelle haben, mit konkretem sowas oder sowasnicht haben. Ich
>finde das etwas widersinnig.

Und auch unnoetig. 

Die Philosophie beschaeftigt sich wie die Religion unter anderem
mit der Frage, was Gut und was Boese ist. Anders als Religion
ist die Frage aber nicht, was $GOTTHEIT als richtig befindet,
also eine extern begruendete Definition von Gut und Boese zu
finden ("Du sollst nicht toeten" "Warum?" "Gott will es so").

Stattdessen sucht man nach einer intern begruendeten Ethik und
Moral, also einem Regelsystem, dass seine eigene Begruendung in
sich traegt und nicht durch eine externe Instanz (Gott, Kirche,
whatever) definiert wird. Warum sollte man sich auch dann auf
eine bestimmte Weise verhalten, wenn man sich nicht einem Gott
fuer sein Handeln verantwortlich fuehlt und fuer sich keine
Endabrechnung nach dem Tode fuerchtet?


Man kann eine Ethik (Das christliche Wertesystem, wie es sich
aus den 10 Geboten und dem dadurch repraesentierten Wertekanon
ergibt, aber auch eine nationalsozialistische Ideologie, oder
ein beliebiges anderes Wertesystem) nun dahernehmen und sich
ueberlegen, ob und was es fuer eine Welt generieren wuerde, wenn
man es als Basis fuer diese Welt nimmt. Aus dem "ob" und dem
"was" kann man dann relativ leicht erkennen, ob ein solches
Wertesystem "gut" oder "boese" ist.

Die Frage nach dem "ob" ein Wertesystem eine Welt generiert, hat
Kant mit dem kategorischen Imperativ geklaert: "Handle nur nach
derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie
allgemeines Gesetz werde.". Diese Regel erzeugt die Grundlage
unserer Modernen Gesellschaften, weil sie in der Anlage die
Gruendsaetze von Freiheit und Gleichheit traegt, und weil sie
dysfunktionale Wertesysteme wie den Egoismus killt oder
transformiert (*1).

Der kategorische Imperativ alleine ist jedoch als Metaregel zur
Bewertung von Ethiken nicht brauchbar, denn es sind eine ganze
Reihe von Ethiken denkbar, die unter ihm Bestand haben, aber
dennoch subjektiv als untragbar, unmenschlich bzw. "boese"
eingestuft werden muessten. Man braucht also noch eine zweite
Regel.

Die zweite Regel ist eigentlich genau so simpel wie die erste.
Man kann sie subjektiv besser formulieren als objektiv, also
will ich sie so herum aufschreiben: "Alle allgemeinen Gesetze
einer Gesellschaft muessen so beschaffen sein, dass Du sie
akzeptieren koenntest, wenn Du in einer beliebigen Position in
dieser Gesellschaft leben muesstest." (*2)

Erfuellt eine Ethik auch diese zweite Regel, kann man sie als
menschlich oder menschenwuerdig bezeichnen. Beide Regeln
zusammen sind als Bewertungssystem fuer Ethiken recht brauchbar,
ohne einen uebermaessigen Bias auf einen bestimmten kulturellen
oder geschichtlichen Hintergrund zu haben. Sie erwischen die
meisten totalitaeren oder sektenartigen Ethiken als "schlecht".
Andererseits lassen sie die meisten Regelsysteme als "gut"
passieren, die wir aus der Geschichte als stabil und positiv in
Erinnerung haben.

Kristian

(*1) Egoismus ist ein Wertesystem, nach dem ein Handelnder
     ausschliesslich eigenen Nutzen maximiert. Unter dem
Kategorischen Imperativ muss ein Egoist annehmen, dass er nicht
alleine auf der Welt ist und dass die anderen Egoisten wie er
selbst ihren eigenen Nutzen zu maximieren versuchen. Nimmt man
vorausschauendes handeln an und noch ein wenig Spieltheorie und
Kooperationsvorteile hinzu, bekommt man Kapitalismus.

(*2) Hmm, vielleicht kriegt hier ja jemand eine schlauere
     Formulierung dafuer hin oder findet sogar die geeignete
Quelle fuer die Originalformulierung.