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Re: swpat - versteht das noch wer? ,-)



On Tue, 2 Jan 2001, Thomas Roessler wrote:

> Eins vorweg: Ich habe nicht die Zeit gehabt, jeden einzelnen der
> langen Beiträge auf dieser Liste zu lesen.  Ich möchte aber trotzdem
> versuchen, die Argumente wenigstens halbwegs zu verstehen, daher
> diese Mail als ganz furchtbar vereinfachende Version der wichtigsten
> Argumente - soweit ich sie mitbekommen habe -, nebst einiger
> Kritikpunkte.  Bitte korrigiert mich, wenn ich irre.
> 
> - Horns & Co: Softwarepatente = Turing-Maschinen-Patente.
>   Turing-Maschinen sind praktisch universell und durchdringen auch
>   "wirklich technische" (was auch immer das sei) Güter, daher würde
>   ein Verbot von Turing-Maschinen-Patenten auf Dauer das gesamte
>   Patentwesen aushebeln.  Ein Aufhängen von Patentierbarkeitsgrenzen
>   an der Verwendung von Naturkräften scheitert, da Software nur im
>   Zusammenhang mit zugrundeliegendem Prozessor denkbar ist, also
>   Naturkräfte eingesetzt werden.
> 
> - Pilch: Patentierbar soll sein, was raucht und stinkt (oder rauchen
>   und stinken läßt), nicht aber, was auf einem üblichen Bürocomputer
>   gebraucht wird.

So in etwa.
Patentierbar soll die erfinderische Leistung des Naturkräfte-Fachmannes
sein, nicht die des Informatikers oder Programmierers.
 
> Dagegen wird der sogenannte Ambivalenzbereich angeführt, in dem
> nicht klar erkennbar sei, ob man es denn nun rauchen und stinken
> läßt, oder ob nur der Bürocomputer vor sich hintuckert.

Dieser Ambivalenzbereich ergibt sich aus der falschen Voraussetzung, mit
der A. Horns klassifiziert.  Um bei deinen Worten zu bleiben:  es gibt
niemanden, der ein Verbote von Turing-Maschinen-Patenten fordert.  Alle
Verfahren sind Turing-Kompatibel, und Verfahren sind die Ur-Domäne des
Patentwesens.

> Ich muß nun zugeben, daß ich an einigen Stellen massive
> Verständnisprobleme habe.  Und zwar, insbesondere, bei dem Argument
> von dem zugrundeliegenden Prozessor, in dem Naturkräfte eingesetzt
> würden.  Ist es nicht so, daß ich einen rein gedanklich ablaufenden
> Vorgang ebenfalls als Nutzung von Naturkräften (Neuronen in meinem
> Hirn) auffassen kann, das menschliche Hirn also als Prozessor?  Und
> könnte ich einen Geschäftsprozeß nicht als neuartige Nutzung der
> Naturkräfte beim Einsatz von Bleistiften, Computern, Faxen,
> Telephonen und Mitarbeitern auffassen?  (Oder alternativ ein
> Algorithmus, der auf dem Prozessor "Unternehmen" läuft?)
> 
> Mir drängt sich der Verdacht auf, daß Axel eine Abstraktionsebene zu
> weit geht, indem er das Problem auf Turing-Maschinen reduziert.  Aus
> dieser Abstraktion folgt dann, daß Turing-Maschinen-Patente als
> gegeben hingenommen werden und er sich - sicherlich mit
> interessanten Ideen - daran macht,die Auswirkungen einer derart
> allgemeinen Patentierbarkeit hinzunehmen.
> 
> Allerdings gibt es nun ganz klar Patente, die sich damit
> beschäftigen, daß eine Turing-Maschine andere Maschinen auf eine
> bestimmte Art und Weise ansteuern soll (mal ganz grob).  Offenbar
> hat kaum jemand hier Probleme mit dieser Sorte Patente.  Die Frage,
> die Hartmut nicht wirklich beantworten kann, ist, wie man diese
> Patente abgrenzen kann.  

Hast du den Eurolinux-Richtlinienentwurf in

	http://swpat.ffii.org/stidi/eurili/

gelesen?
 
> Auf welchen _speziellen_ Prozessoren muß ein Algorithmus
> bestimmungsgemäß ablaufen, um patentierbar zu sein? 

Auf beliebigen.
Patentierbar ist nach europäischer Tradition nicht der Algorithmus sondern
die neue Lehre für den Naturkräftefachmann (Lehre zum technischen
Handeln), s. oben. 

Natürlich kann man eine solche Lehre turing-gerecht darstellen, ebenso
wie man sie in Form einer Patentbeschreibung darstellen kann.
Und zweifellos kann die turing-gerechte Darstellung als Steuerprogramm
fungieren.
Aber AUS dem Patent ergibt sich kein Recht auf das Verbieten von
Darstellungen, und ein Patent gibt es auch nur AUF eine Lehre für
den Naturkräftefachmann, also eine "ölverschmierte" oder "rauchende und
stinkende" Lehre, AUS der wiederum Ansprüche auf materielle Objekte
wie z.B. Chemikalien oder Automotoren abgeleitet werden können.

> Und auf welchen
> _speziellen_ Prozessoren darf er nicht bestimmungsgemäß ablaufen,
> wenn er noch patentierbar sein soll?  Offensichtlich gehört der
> spezielle Prozessor "Unternehmen" in die letztere Kategorie, ebenso
> wie der spezielle Prozessor "menschliches Hirn".

Ein Programm zur Steuerung eines patentierbaren technischen Vorganges darf
auf jedem beliebigen Prozessor ablaufen.
 
> Die Aufgabe, die sich stellt, wäre demnach, zu versuchen, die
> Prozessoren, auf denen Algorithmen bestimmungsgemäß ablaufen können,
> klar zu klassifizieren und anhand dieser Klassifizierung nach
> Patentierbarkeit dieser Algorithmen zu fragen.

Für mich stellt sich diese Aufgabe nicht.  Trotzdem ein interessantes
Gedankenspiel.

> Ein möglicher Ansatz für diese Klassifizierung wäre ein - wie ich es
> einmal nennen möchte - Emeritenmodell: Wir stellen uns einen
> mittelalterlichen Emeriten vor, der mit Schreibzeug in seiner Höhle
> lebt und sich dorthin, sagen wir, vor zehn Jahren zurückgezogen hat.
> Er wird die Umgebung seiner Höhle vor seinem Tode nicht mehr
> verlassen und auch keine anderen Menschen antreffen.
> 
> Frage: Ist das Verfahren auf dem "Emeriten-Prozessor"
> bestimmungsgemäß lauffähig?  (Sortierverfahren: ja.  Verfahren zur
> Ausrichtung von geschriebenem Text: Ja.  Computergesteuertes ABS:
> nein.)

So in etwa haben die Gerichte bis vor kurzem geurteilt und so steht es in
PatG-Kommentaren und Prüfungsrichtlinien.  Der "Lehre zum technischen
Handeln" stehen die "Anweisungen an den menschlichen Geist", sprich der
Eremiten-Test, gegenüber.  Der BGH operierte 1992 damit, um einen
Siemens-Patentantrag auf ein Textverarbeitungsverfahren ("Chinesische
Schriftzeichen") abzulehnen. Der 17. Senat des BPatG hält daran noch immer
fest.  Sein Versuch von 1998, eine "Sprachanalyse-Vorrichtung" mit dieser
Argumentation abzulehnen, wurde allerdings dieses Jahr vom BGH mit der
abgelehnt, wobei die Argumentation des BGH im wesentlichen der von AHH
gleicht.

> Etwas exakter forumliert geht es um die Frage nach zeitlich lokaler
> Abgeschlossenheit des Systems, auf dem der Algorithmus abläuft.
> Nehmen wir an, daß der Prozessor für eine beliebige Zeit vor und
> nach Ablauf des Algorithmus von der Außenwelt abgeschlossen sei.
> Kann das Verfahren dann bestimmungsgemäß ablaufen?
> 
> Natürlich ist diese Klassifizierung nicht perfekt, weil
> Geschäftsmodelle etwa in die falsche Kategorie fallen würden.
> Gleichzeitig ergeben sich interessante Perspektiven: Die Nutzung
> eines speziellen Sortieralgorithmus zur Klassifizierung von Aufgaben
> in einem Steuerungsrechner wäre patentierbar.  Die Nutzung dieses
> Algorithmus im allgemeinen wäre es nicht.

Nein:  die Nutzung des Sortieralgorithmus wäre nach BPatG-Verständnis
überhaupt nicht steuerbar, weil der erfinderische Kern der Lehre eine
"Anweisung an den menschlichen Geist" ist.

AHH argumentiert, dass der Patentprüfer dies nicht handhaben könne und
gezwungen sei, die Nutzung des Sortieralgorithmus etwa zur Sortierung von
Postpaketen zuzulassen.  Hierauf kritisierte ich, dass das eine
formalistische Sicht der Patentprüfung sei.  Wie bereits 1976 vom BGH im
Dispositionsprogramm-Urteil ausgeführt, muss der Patentprüfer kritisch
hinschauen, wo den nun die Lösung des Problems liegt und was daran
erfinderisch ist.  Dazu muss er die Patentschrift als ganze lesen.

Danke für deinen Versuch.  Vielleicht schaffen wir es ja doch nocht, in
diese Frage Klarheit zu bringen.

-phm