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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



> > Es ist schon sehr viel zunaechst fremdsprachlicher Wortschatz
> > nachtraeglich eingedeutscht worden.
>
> Andere Sprachkulturen haben ihrerseits deutsche Wörter
> aufgenommen (Bsp.: Gesundheit, Kindergarten im englischen
> Sprachraum). Ich sehe darin kein Problem, eher im Gegenteil.

Das sind zeitweilige Zitatbrocken, die sich kaum als Grundbegriffe
etablieren und im letzten Falle auch Kandidaten fuer
Sprachreinigungsbewegungen sind -- die finden auch statt, ohne dass jemand
politisch nachhilft.

> > Ob Werthebach weiss, wovon er redet, kann man an diesen oberflaechlichen
> > Berichten nicht erkennen.
>
> Er wettert gegen Anglizismen und verwendet im gleichen Satz
> selbst einen an zentraler Stelle. Noch Fragen?

Es gibt deutsche Woerter englischer Herkunft, die sich gut integriert
haben und nicht mehr als Anglizismen wahrgenommen werden.  Extrembeispiel
"Keks".  Man muss da ziemlich differenzieren.

> Der eingeforderte Zwang zur "Reinheit der deutschen Sprache" ist
> für mich eine soziologische Kapitulation, oder hat der
> deutschsprachliche Kulturkreis so wenig Selbstvertrauen, dass er
> eine "Vereinnahmung durch Verfremdung" fürchten muss?

Ja, das muss er wohl zur Zeit.  Und eine Aenderung der Situation ist kaum
abzusehen.  Allerdings folgt daraus noch kein "Zwang zur Reinheit der
deutschen Sprache".  Das fordert vermutlich niemand.  Es ist
ueblicherweise nur die Fratze, die faule Kommentatoren von ihrem Gegner
zeichnen, weil sie sich mit der Materie nicht ernsthaft auseinandersetzen
koennen oder wollen.

> > Ich persoenlich
> > lese lieber franzoesische als deutsche EDV-Fachzeitschriften.  Aus eben
> > dem Grund, den Werthebach anspricht.
>
> Dann empfehle ich bei der Wahl der deutschsprachigen
> Zeitschriften die Boulevardblätter künftig zu ignorieren und
> stattdessen die gehaltvolleren Zeitschriften einzubeziehen. Eine
> unnütze und übertriebene Verwendung von fremdsprachlichen
> Begriffen weit jenseits von o.g. Konventionen der Benutzerkreise ist
> vorwiegend bei diesen knallbunten Blättern zu finden.

Richtig.  Allerdings sind auch iX und andere bessere Blaetter ziemlich
voll von Direktuebernahmen aus englischem Jargon, die man durch besser
verdaute Begriffe haette ersetzen sollen.  Solche bessere Begriffe haben
oft kaum eine Chance, wenn nicht durch etwas politischen Willen
nachgeholfen wird.

> > Handeln unterliegt der Ethik, und Konventionen/Normen stehen im
> > Spannungsfeld der Politik.  Politische Einflussnahme auf Sprachnormen war
> > in der Geschichte sehr haeufig und oft erfolgreich.
>
> Das Netz und dessen Gewohnheiten sowie dessen sprachliche
> Konventionen haben sich von der Politik völlig unbehelligt und vor
> allem zu einem globalem Gebilde entwickelt. Es ist reichlich naiv
> nun durch politische Massnahmen nationale Konventionen
> aufoktruieren zu wollen. Deine Vergleiche beziehen sich im
> Gegensatz zur Sachlage "Netz" auf geographisch begrenzte
> Bereiche.

Sie bezogen sich z.B. auf Woerter wie "logiciel" (Software) und
"eingebettete Systeme" (auch im Deutschen in letzter Zeit haeufiger), die
sich nachtraeglich gegen etablierten "globalen" Jargon durchzusetzen
vermochten.  Z.T. mit politischer Nachhilfe.  Dass ein Thema sich vor
allem in englischsprachiger Kommunikation etabliert hat, ist kein Grund,
nicht nachtraeglich eine gepflegte deutschsprachige Kommunikation darueber
zu etablieren.  Im Gegenteil.  Da liegt ja gerade das Problem.  Das
"mangelnde soziologische Selbstvertrauen" ist m.E. lediglich eine
realistische Selbsteinschaetzung:  zunehmend viele ernsthafte Themen
werden zuerst im englischsprachigen Kontext diskutiert.  Gleichzeitig
entsteht frueher oder spaeter der Bedarf, sie auch in einem
deutschsprachigen Rahmen effektiv (moeglichst ohne Anlehnung an das
in diesem Rahmen nicht als 100% intuitiv bekannt vorauszusetzende
Englische) behandeln zu koennen.  Das ist nicht ohne eine aktive
Neubenennung von Begriffen moeglich, und eine solche Neubenennung verdient
besondere Unterstuetzung, wie jede Bemuehung um die Bildung
von Normen/Konventionen.  Wir wissen doch sehr gut, was herauskommt,
wenn man dass man das WWW der "natuerlichen Entwicklung" durch Microsoft,
Netscape und wenige andere uberlaesst.  Ist auch das W3C ein Ausdruck
fehlenden soziologischen Selbstvertrauens?  Ich wuerde glatt sagen:  JA.

-phm