[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Werthebach: wer blamiert sich?



PILCH Hartmut wrote:
> 
> > > Sie bezogen sich z.B. auf Woerter wie "logiciel" (Software) und
> > > "eingebettete Systeme" (auch im Deutschen in letzter Zeit haeufiger), die
> > > sich nachtraeglich gegen etablierten "globalen" Jargon durchzusetzen
> > > vermochten.
> >
> > Ist es nicht völlig egal, wie abstrakte, technische Dinge benannt
> > werden.
> 
> "Abstrakt" und "Ding" sind zweierlei.

> Wie man bestimmte Berge oder Pflanzenarten benennt ist relativ unwichtig.
> Dinge werden jedoch auch schnell wieder Sinnbild fuer abstrakte Begriffe.
> So z.B. bei Filtern, Leitungen (pipes), Schutzwaelle (firewalls) u.dgl. in
> der EDV.  Ueberall, wo der Bedarf nach Ableitung neuer Begriffe entsteht,
> wuenscht man sich ein kompaktes und leistungsfaehiges
> Worterzeugungssystem.  Eine Sprache ist ein solches System.  Sie sollte
> mit relativ wenigen und frei kombinierbaren Elementen auskommen.
> 
> > Wörter sind nur Repräsentanten der Dinge. Solange der Kern einer Sprache
> > nicht aufgeweicht wird und stabil ist, können IMO beliebig viele Wörter
> > - aus welcher Sprache auch immer - hinzugefügt werden.
> 
> Interessant, dass du immerhin ein Problem beim Kern der Sprache siehst.
> Dieser Kern ist das Worterzeugungssystem.
> 
> > Ist es nicht so, dass man die Bedeutung, also das was repräsentiert
> > wird, lernen muss. Ich denke, das die Kritiker von Anglizismen etc.,
> > den Eindruck haben, dass ein neuer Begriff mit deutschen Worten
> > ausgedrückt, leichter verständlich wäre.
> 
> Tatsaechlich kann man neues Wissen schneller durchdringen, wenn sich die
> Bilder hinter den Woertern erschliessen.  Nirgends merkt man das
> deutlicher als beim Chinesischen, einer Sprache mit einem sehr kompakten
> und zum grossen Teil in der Neuzeit nachgebildeten technisch-
> naturwissensachaftlichen Wortschatz.  Diverse Bekannte, die Chinesisch
> gelernt haben, leihen sich bei mir gelegentlich chinesische Fachbuecher
> aus, um ein fremdes Wissensgebiet (z.B. Mathe, Chemie) besser durchdringen
> zu koennen.  Aehnliche Erlebnisse machen auch einen grossen Teil des
> Reizes des Esperanto aus.  Das ist aber nur die eine Seite.
> 
> > Was z.B. ein "eingebettet System" oder "embedded system" ist, bleibt
> > dem Laien unabhängig von der Sprache zunächst verschlossen.
> 
> Bei ersterem Begriff weiss er immerhin, dass es "ein System, welches durch
> allerlei besonderes Geschick dazu gebraucht wurde, innerhalb einer
> groesseren ihm wesensfremden Struktur zu funktionieren, als waere es in
> ihr zu Hause."  Damit weiss er schon fast alles.  Er kennt die abstrakte
> Definition des Begriffes und muss sich nun nur noch mit bestimmten
> konkreten Faellen auseinandersetzen.

Genau das ist, aber nicht das, was ich unter "embedded system" verstehe.

> 
> Selbst wenn ich mir dank Englischkenntnissen unter "embedded system"
> sofort das gleiche vorstellen kann, bin ich doch verunsichert.  Ich muss
> mir naemlich ueberlegen:  "Halt mal, das ist bestimmt irgend ein
> unverdauter Techie-Fachjargon, der ueberhaupt nicht von der abstrakten
> Grundbedeutung her erschlossen werden kann.  Da war jemand am Werk, der
> mir den Zugang nicht leicht machen und mich vielleicht irrefuehren will."

Das ist genau der Vorteil, den ich sehe.

> 
> Es kommt noch ein anderer Nachteil hinzu.  Vielleicht will ich ja nun
> selber gedanklich und sprachlich produktiv werden.  Z.B. moechte ich
> ausdruecken, dass mein System nahtlos eingebettet ist oder dass ich das
> bessere Einbettungskonzept habe.  Das alles geht mit "embedded" nicht, es
> sei denn ich fuehre weitere englische Woerter und Satzteile ein.  Dann
> greife ich aber wieder das an, was du den "Kern der Sprache" nanntest.

Nein. IMO hat das nichts mit dem Kern zu tun, da hiermit etwas 
"Spezielles" benannt werden soll. In anderen Fachdisziplinen werden
auch Worte aus anderen Sprachen (z.B. Latein) zur Begriffsbildung 
herangezogen und mit einer Bedeutung belegt, die über die Bedeutung 
in der Ursprungssprache hinausgehen oder sie verfremden.
In der Philosophie werden sogar allgemein bekannte Wörter mit einer
speziellen, definierten Bedeutung belegt, die erst gelernt werden
muss, um entsprechende Texte verstehen zu können. Hier wäre es
meiner Meinung nach einfacher, neue Worte - eventuell aus einer
anderen Sprache - zu benutzen, um die spezielle Bedeutung zu 
hervorzuheben.

> 
> > Erst weiterführende Erklärungen machen den Begriff verständlich, da es
> > sich um eine neue Vokabel handelt.
> 
> > Eine mögliche Sicht wäre auch folgende: Liest man eine neue
> > Bezeichnung bestehend aus wohl bekannten Worten, ist es eher so, dass
> > man sofort eine Bedeutung assoziert, die evtl. falsch ist.
> 
> Gut so.  Man lernt bekanntlich durch eine Folge von Irrtuemern und
> Korrekturen.

ACK. Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht ...

> 
> > Der Begriff wird nicht hinterfragt, die intendierte Bedeutung bleibt
> > verschlossen.
> 
> Im Gegenteil.  Der Begriff wird hinterfragt, weil man naemlich nie vom
> abstrakten Konzept auf die mit dessen Anwendung verbundene Erfahrung
> schliessen kann.
> 
> > Weiterer Vorteil: Wird der Begriff international benutzt, hat man ihn
> > direkt für viele Sprache gelernt. Das ist effzient ... ;-)
> 
> Sicherlich spart man sich etwas Muehe, wenn man nur einen einzigen
> Wortschatz pflegt.  Genau das koennte ein Grund fuer die Sprachpfleger zu
> sein, diesen Weg des geringsten Widerstandes etwas zu verbauen.   Denn die
> Muehe ist letztlich gut investiert.  Langfristig fuer einen selbst und
> fuer die Allgemeinheit.

Da muss ich mal plumb fragen: Warum?

> 
> > Die Sprache nicht mit Fremdwörtern zu bereichern, halte ich eher für
> > einen Nachteil.
> 
> Im nachhinein gesehen erscheinen manche Fremdwoerter einfach nur deshalb
> als Bereicherung, weil man nicht weiss, welche Wege die Sprache sonst
> gefunden haette, um die entsprechenden Ausdrucksluecken zu fuellen.
> Meistens bessere Wege, vermute ich.  Wiederum tue ich das aus meiner
> Begeisterung fuer die chinesische Sprache heraus.  Die konnte sich nur
> deshalb so praechtig entwickeln, weil diverse bequeme Wege nicht
> existierten.  Bei allen Kunstsprachen werden diese Wege auch bewusst
> versperrt.
> 
> Es ist ein haeufiges Missverstaendnis, zu meinen, eine Sprache werde durch
> massenweise Aufsaugung von anderem Material staerker.  Das Englische saugt
> heute fast nichts auf.  Es ist in einer Phase der Erholung und Erstarkung.
> Frueher einmal war es sehr eklektisch und nahm zahllose ziemlich
> ueberfluessige und schwierige franzoesische Ausdruecke auf:
> 
>         sheep   mutton
>         pig     pork
>         ox,cow  beef
>         calf    veal

Das ist ein Ersetzen von vorhandenen Wörtern durch neue ohne das 
sich die Bedeutung ändert. Das halte ich im allgemeinen auch für 
kontraproduktiv. 
Oder haben die französichen Wörter im Englischen nicht doch eine 
andere Bedeutung als das englische Pendant?

> 
> ...
> 
Thomas