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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



Holger Veit <holger.veit@gmd.de> schrieb:

> Der Inhalt erschliesst sich erst dann vollstaendig, wenn das
> Wort auch in dem Kontext verwendet wird, den der Sprecher
> gemeint hat. Als vorlaeufige Definition reicht obiges beim
> ersten Hoeren/Lesen (ausserhalb jedes Kontextes!) erstmal
> vollkommen aus.

Sprache verliert so immer mehr an Redundanz. Ich empfinde das
als Nachteil. Redundanz erleichtert das Verstehen, da unser
Lernen hauptsächlich auf Wiederholung beruht. Gute Lehrbücher
z.B. wiederholen den Stoff geschickt in verschiedenen Abständen,
schlechte unterlassen das; die können fachlich noch so korrekt
sein, ich mag sie nicht.

> Wenn das Wort dann wirklich in Gebrauch ist, dann verfeinert man
> automatisch sein Bild dessen. Was meinst Du, bei wievielen selteneren
> Begriffen Du und jeder von uns sich so ein Halbwissen zurecht-
> gezimmert hat?

Das ist ein normaler Mechanismus, durch den wir Neues lernen:
durch Nachahmung. Wenn ein neues Wort keine Beziehung zu bereits
Gelerntem hat, wird es natürlich schwerer, seine Bedeutung
richtig zu erfassen.

> Dass dem so ist, faellt erst dann auf, wenn man
> so ein vermeintlich bekanntes Wort mal gegenueber anderen in
> einem unpassenden Zusammenhang verwendet und ggf. korrigiert
> wird. Und letzteres passiert u.U. noch nicht mal - die Sprachredundanz
> sorgt dazu, dass das Gegenueber trotzdem versteht, was man ausdruecken
> will.

Hier magst Du sie plötzlich auch, die Redundanz der Sprache.
Diese geht nach und nach immer mehr verloren. Das hat nichts mit
"Film um 11" zu tun, sondern ist eine bekannte Gesetzmäßigkeit.
Wenn man das möchte, kann man diesem Prozeß aber durch gezielte
Regulierung entgegenwirken.

> (Aufgefallen? Da stand "dazu", wo korrekt "dafuer" haette stehen sollen -
> ueberliest man leicht. Hier mal bewusst angewandt, in vielen anderen
> Faellen ehre (sic!) ein Fluechtigkeitsfehler).

Ist mir sofort aufgefallen. Ich lese etwas langsamer als manch
Anderer, aber dafür bewußt aufmerksam.

> Im uebrigen lassen sich Worthuelsen auch hervorragend ohne
> Wortneuschoepfungen und Pseudo-Anglizismen produzieren.

Stimmt. Worthülsen funktionieren am besten mit Worten, deren
Bedeutung dem Zuhörer etwas unklar ist. Davon gibt es schon mehr
als genug. Hängt aber vom "Zuhörer" ab, vor allem seinem
Bildungsniveau. Das ist ja auch der Trick: Weil der Zuhörer nicht
zugeben möchte, daß er einen bestmmten Begriff nicht (richtig)
kennt, fragt er nicht nach, wenn's ihm "spanisch" vorkommt.

> Aha, gruppenspezifische Terminologie, oder auch Fachsprache. Genau
> das ist der Knackpunkt bei der Debatte: die krampfhaften Sprach-
> zerdeutscher, die den Anspruch durchpruegeln wollen, dass jeder
> denselben Einheitsbrei - nach *ihren* Regeln - sprechen soll
> (auf dass ihre Grammatik schoen formalisiert sei - genau die
> Falschschreibreform-Krankheit).

Ich glaube, hier wirfst Du etwas durcheinander. Die "Erfinder"
der letzten Rechtschreibreform waren wohl gerade nicht vom
Gedanken beseelt, die Systematik der Sprache zu fördern. Statt-
dessen macht sie es IMO denen, die sowieso keine Systematik in
der Sprache erkennen, leichter, stur Regeln auswendig zu lernen,
weil sie die Systematik der Regeln vereinfachen wollte; wobei
nicht einmal das gelungen ist.

(BTW: Wenn Du jemanden wie Hartmut mit "den Rechtschreibreformern"
oder irgendwelchen "Teutschtümlern" gleichsetzt, greifst Du
mächtig daneben. Ich empfand Deine Ausführungen dazu als etwas
unpassend.)

> "Windoofen" mag etwas ueber mich aussagen, ich kann es aber auch
> bewusst einsetzen, um Leute, die glauben, mich so einfachst in
> ihr Schablonenschema stecken zu koennen, wunderhuebsch ins
> offene Messer laufen zu lassen. Vielleicht denke ich ja gar nicht
> so, sondern will lediglich, dass andere denken, dass ich so denken
> wuerde.

Und dann?

> Man kann diese Metaebenen beliebig tief rekursiv schachteln.
> Wer bereits bei der obersten Ebene sich den Beleidigungsschuh
> anzieht, hat es nicht anders verdient.

Das sagt dann evtl. mehr über Dich aus, als Du vielleicht wolltest;
ist aber vor allem eine Frage der Höflichkeit. Primär demonstrierst
Du damit eine gewisse Aggressivität und bekommst dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit auch aggressive Kommunikationspartner. (Das
muß
kein Nachteil sein, wenn man es mag.) Das erinnert mich an diese
Anti-Netikette-Freaks, deren Besuch wir hier kurz erleben durften.
Die haben sich auch einen solchen Aggressiv-Filter zugelegt. Hat nur
den Nachteil, daß sich kaum jemand mit ihnen unterhalten möchte und
sie so ihre (vielleicht vorhandenen) nützlichen Ideen auch nicht
unterbreiten können.

> > Aus meiner Sicht läßt sich diese Sprachdiskussion darauf
> > reduzieren, daß Sprache ein Mittel der Abgrenzung ist. Die
> > Gruppen und Ziele sind dabei verschiedene.
>
> Und genau das ist die wesentliche Eigenschaft, welche von den
> Sprachpuristen ignoriert wird.

Wer auch immer das sei.

> Denn sozio-psychologische Phaenomene
> lassen sich nicht in Flexionsregeln, Wortkonstruktionsschemata und
> Satzbauregelwerke giessen. Augen zumachen, dann existiert die Welt
> nicht mehr! Habe ich schon als Kind fuer albern und sinnlos gehalten.

Ok. Die Erkenntnis, daß die Welt auch ohne uns funktioniert, braucht
uns jedoch nicht davon abzuhalten, sie dort zu verbessern, wo wir
es können.

MfG