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[FAZ] Gehen wir ins Meer zurück



Die heutige FAZ veröffentlicht auf Seite 54 unter dem im Subject
genannten Titel einen Artikel von Guillaume Paoli, der den
derzeitigen Life-Sciences-Hype zerlegt und dabei ganz nebenbei recht
bös mit Florian Rötzer und seinem vor einiger Zeit im gleichen
Feuilleton veröffentlichten Beitrag zur Klonierungsdebatte ins
Gericht geht.


Interessant sind die Analogien in der Argumentation, die zu den hier
öfters geführten Debatten über "intellektuelles Eigentum",
Kommunikations- und Rezipientenfreiheit und deren befürchteten
Verlust bestehen.  Zu Rötzer: >> Die Werte der neoliberalen
Ideologie erfüllten die "Emanipationsantriebe der Individuen".
Welche Emanzipation?  Welche Individuen?  Damit sind nur Massen von
atomisierten, gleichgeschalteten Konsumenten gemeint, deren
Verhalten der neoliberalen Logik zwangsläufig gehorcht.  Die eigene
Verkörperung will er selbst gestalten dürfen, denn sie sei
"individuelles Eigentum".  Wie Jeremy Rifkin aber gezeigt hat,
bleibt dem Konsumenten kein Eigentum mehr übrig.  Und wie der Rest
wurde ihm der Körper bloß geleast. <<


Interessant ist weiterhin die semantischer Überfrachtung des
Begriffs "Selbstbestimmung", die Paoli vorführt: Er unterstellt - ob
berechtigt oder nicht, das sei dahingestellt - einigen
Life-Sciences-Apologeten, sie wollten eine "Pflicht zur
Selbstbestimmung" etablieren.  >> Und wehe, wer morgen dieser
entgeht und zum Beispiel ein behindertes Kind zur Welt bringt!  Es
wird schon vorgewarnt, daß der Nachkomme dann gegen seine Eltern
klagen könne. <<

Diese "Selbstbestimmung" meint natürlich gar nicht die
Selbstbestimmung des Individuums, sondern eine vorgebliche
Selbstbestimmung der Menschheit als ganzer, die über ihre Evolution
bestimmen müsse - insbesondere natürlich dadurch, daß darüber
"selbstbestimmt" wird, welches genetische Material denn noch geboren
wird und welches nicht.  Subtiler dadurch, daß darüber
"selbstbestimmt" wird, welchem genetischen Material andere noch
Leben schenken dürfen und welchem nicht.  Siehe oben.

Natürlich wird hier genau der gleiche hinterhältige semantische
Trick vorgeführt wie bei der sogenannten Selbstkontrolle von
Intermediären in der Telekommunikation, siehe aktuell auch
<http://www.heise.de/newsticker/data/klp-21.02.01-000/>.  Und
natürlich ist zu beobachten, daß letztlich die gleichen Mechanismen
am Werke sind, die aus der vorgeblichen Selbstbestimmung oder
Selbstkontrolle einen Konformitätsdruck erzeugen, der jenseits
dessen liegt, das heute öffentlich als akzeptabel bezeichnet werden
würde.


We are going to self-control you.  We are going to self-determine
you.  Willkommen bei der Selbstdemonatge der Bürgergesellschaft.

Orwell alaaf.

-- 
Thomas Roessler			    <roessler@does-not-exist.org>
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