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Re: "Generaldirektion Binnenmarkt forciert Swpat"



Sehr geehrter Herr Weber-Cludius,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme, zeigt es doch, dass die Diskussion auf dieser Liste zumindest tw. nicht unerhört bleibt bei den Entscheidungen über diese komplexen Fragen.

Da ich im einzelnen den Auftragstext der Studie nicht kenne, möchte ich Sie fragen, ob die in Auftrag gegebene Studie auch folgende Punkte analysiert:

- Neben den Innovationsschutzbedürfnissen auch die Innovationsnutzungsbedürfnisse. Software-entwickelnde Unternehmen nutzen heutzutage ständig wachsende Klassenbibliotheken gleichsam wie Bausteine, die sie zu komplexeren Gebilden zusammenbauen und verkleben. Solch wichtige Konzepte wie Hash-Tables, Binäre Bäume, Dateisysteme, Sortier-Algorithmen, wie sie in der Vergangenheit auch durch öffentlich finanzierte Forschung herausgefunden und analysiert worden sind, werden auch in der Zukunft stark gebraucht werden. Solche Innovationen nicht einmal durch Re-Implementation nicht nutzen zu können wird gerade kleinere und mittlere Unternehmen in ihrer Innovationsfähigkeit blockieren und damit so (bei Software-Schmieden bis zum Konkurs) benachteiligen, so eine These. Es wäre sehr gut, wenn die Studie diese These bestätigen oder widerlegen könnte.

- Neben den wirtschaftlichen Aspekten ist auch der künstlerische Aspekt zu analysieren. Viele Software-Entwickler haben Spaß und Stolz daran, ein (wenn auch virtuelles) komplexes System erschaffen zu können. Vielleicht vergleichbar mit einem Architekten oder Bildhauer entwickeln sie Systeme, deren künstlerischer Ausdruck nicht unbedingt die Form oder Farbe ist (obwohl das bei Benutzeroberflächen nicht auszuschließen ist), sondern eher die Funktionalität ihres Werkes, die sich z.B. durch das sinnvolle Zusammenarbeiten einzelner Komponenten zu einem großen, funktionierenden, nützlichem System und der dabei enthaltenen Eleganz der möglichst einfachen Lösung eines komplexen Problems. Nach UrhG.§11 schützt das Urheberrecht den Urheber in seiner geistigen und persönlichen Beziehung zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Da auch Software-Entwickler Geld brauchen und sie dieses regelmäßig mit der Lizensierung von Software verdienen, wäre es eine empfindliche, z.T. Lebensgrundlage entziehende Einschränkung des Urheberrechts, dass die Nutzung des Werkes eingeschränkt oder ganz verboten wird. Dies könnte im Widerspruch zu GG.§5.(3) "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." stehen, denn ein Software-Künstler mag bei Software-Patenten zwar noch Schaffen, aber nicht mehr Verkaufen dürfen, was einem effektiven Verbot des Schaffens gleich kommt.

- Die Nicht-Verkaufs-Fähigkeit könnte auch in Widerspruch zu GG.§12.(1) "Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." stehen, denn ein freier, selbständiger, durch Software-Patente innovations- und umsatzloser Software-Entwicker würde durch Software-Patente in die abhängige Beschäftigung getrieben werden. Damit wäre sein verfassungsmäßiges Recht auf Wahl von Beruf und Arbeitsplatz verletzt. Eine Studie müsste dies Feststellen oder Widerlegen können.

- Neben der Kunst der Erschaffung von Software an sich wären auch verwandte Kunst-Richtungen wie z.B. die Kunst der Erschaffung von Computer-Spielen und virtuellen Welten behoben. Neben den ständigen finanziellen Sorgen wären echte Kultur-Güter wie z.B. UNItopia ( http://unitopia.uni-stuttgart.de/ ) durch Software-Patente bedroht, denn solche Welten bestehen aus Software.

- Da die zukünftige Form der Rechtswirkung von Software-Patenten, wenn sie denn offiziell beschlossen werden, noch nicht klar ist, ist nicht auszuschließen, dass die Veröffentlichung von Software möglicherweise als mittelbare Patentverletzung anzusehen ist. Dies würde einen direkten Angriff auf die Kommunikations- und Meinungsfreiheit bedeuten, gegen GG.§5.(1) verstoßen und damit verfassungswidrig sein. Dabei wäre es in diesem Fall anders als in historischen Fällen nicht der Staat, der selbst die Zensur betreibt; sondern der Staat wäre nur Handlanger von Patent verwertenden Gesellschaften und Konkurrenten, die willkürlich jeden Software-Entwickler, der ihnen gerade nicht in den Kram passt, auf "SW-Pat-Verletzungen aufmerksam machen" und ihn damit unter Existenz-Druck bringt, ihn also erpresst. Da faktisch jeder Software-Entwickler gegen SW-Patente, wie wir sie jetzt aus den USA kennen, verstößt, entsteht eine große Masse von Verstoßenden, wo aber nur eine Hand voll Leute herausgepickt und juristisch fertig gemacht werden. Solche Rechts-Praktiken erinnern an das Dritte Reich, wo z.B. das Rechtsberatungsgesetz erlassen wurde, das Rechts-Beratenden eine Lizenz auferlegt und dem Reichsminister der Justitz erlaubt, über die genauere Erteilung und Verweigerung der Lizenz zu bestimmen. Leute, denen die Lizenz entzogen wurde, können enteignet werden, so steht es in RBerG.§1a.(4). Viele Leute hatten damals in Rechtsfragen beraten, aber nicht längst jeder wurde enteignet. Aus der Menge der Leute wurden nur Juden und für das System unbequeme herausgepickt und auf diese Weise fertig gemacht. (Es ist übrigens ein Skandal, dass dieses Gesetz noch heute gilt, aber dies ist nicht unser Thema.) Gleiches würde Software-Entwickler erwarten, aber weniger von Seiten des Staates, sondern von Software-Patent-Verwertungs-Gesellschaften. Hat man etwas gegen Herrn XY und möchte ihn einschüchtern, so beauftragt man eine Verwertungsgesellschaft gegen Geld, gezielt zu recherchieren, gegen welche Patente Herr XY verstößt. Manche Leute nennen diese Praktiken juristischen Terrorismus. Diese Formen des Terrorismus halte ich für sehr bedenklich für meine Sicht auf die Demokratie. Es sollte durch eine Studie wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass diese Art des juristischen Terrorismus mit einer zukünftig EU-weiten Regelung möglich oder nicht möglich ist. Werden Software-Patente der Zukunft in der heutigen, gesetzeswidrigen Praxis erteilt, sodass sich das Patent, wenn auch auf einen abstrakten, auf einen technischen Effekt bezieht, so würde nicht nur die Gruppe der Software-Entwickler erpressbar sein, sondern alle, die Software generell nutzen, denn wenn überhaupt, dann bei den Nutzern, entsteht der technische Effekt. Dies würde die Erpressbarkeit aller Privatpersonen und Branchen, die Computer-Technologie und damit Software nutzen, bedeuten. Mag man einen privaten User damit ärgern können, könnten auf diese Weise ganze Firmen auch außerhalb der Computer-Branche terrorisiert werden. Ist laut dem Ergebnis einer Studie ein so gearteter Terror nicht auszuschließen, wäre, wenn dennoch die offizielle Einführung von Software-Patente beschlossen werden würde, zu prüfen, in wie weit öffentliche wie private Institutionen dadurch erpressbar wären. Allein eine Nutzungs-Lizenz für eine Software zu besitzen heißt nicht, dass die bei der Ausführung der Software entstehenden technischen Effekte nicht patentiert sind oder Ansprüche solcher Patente durch die Nutzungs-Lizenz abgegolten sind.

Herr Weber-Cludius, Sie sehen, es gibt höchst bedenkliche Auswirkungen von Software-Patenten wissenschaftlich zu untersuchen. Da ich annehme, dass die in Auftrag gegebene Studie nicht die Beantwortung der Fragen der oben angesprochenen Themen fordert, bitte ich Sie, im Rahmen dieser oder einer anderen Studie diese Themen behandeln und diese Fragen begründet beantworten zu lassen. Nur wenn diese Fragen beantwortet sind, kann ich davon ausgehen, dass eine Regierung oder EU-Kommission nicht blauäugig, sondern vorsätzlich und mit gutem Gewissen über Software-Patente und ihre Zukunft entscheidet. Ich hoffe, dass die antizipierte Wissens- und Technologie-Gesellschaft sich durch Monopole auf Wissen und Technologie nicht selbst behindert und Software-Entwickler schaffen können, ohne nach jeder geschriebenen Zeile überprüfen zu müssen, welche der tausenden Patente denn dadurch verletzt werden könnte.

In diesem Sinne,

Xuân Baldauf - selbständiger, kommerzieller Software-Entwickler.
 

P.S.: Falls diese Fragen begründet beantwortet werden, würde ich mich über die Antwort sehr freuen.

weber-cludius@bmwi.bund.de wrote:

Angesichts der jüngsten Beiträge unter der Überschrift 'Generaldirektion
Binnenmarkt forciert Swpat' auf dieser Liste sehe ich mich veranlasst, für
das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie folgendes
klarzustellen:

1. Im Gegensatz zu den in diesem Forum aufgestellten Behauptungen sind die
Beratungen in Brüssel (Kommission und EU-Mitgliedstaaten) zum
Richtlinienvorhaben der Kommission keineswegs bereits abgeschlossen, sondern
befinden sich erst in der Anfangsphase. Es besteht unter einer Mehrheit der
Mitgliedstaaten Einvernehmen, dass die Kommission einen Richtlinienvorschlag
vorbereiten sollte. In der Frage, auf welcher konkreten Grundlage eine
Harmonisierung der Patentierungspraxis im Bereich von softwarebezogenen
Erfindungen erfolgen soll, ist noch keine Festlegung erfolgt.

2. Wir erwarten, dass die Auswertung des Konsultationsverfahrens bis Ende
dieses Monats abgeschlossen sein wird. Die Ergebnisse werden im Internet
veröffentlicht. Es ist üblich, dass einem Vorschlag der (gesamten)
Kommission zunächst interne Konsultationen mit allen inhaltlich betroffenen
Dienststellen der Kommission vorangehen. Diese können erst nach Vorliegen
der Konsultationsergebnisse aufgenommen werden.

3. Die Bundesregierung sieht in dieser wichtigen und komplexen Frage noch
erheblichen Prüfbedarf. Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie jüngst das in diesem Forum ebenfalls schon des
öfteren zitierte Forschungsgutachten zu den mikro- und makroökonomischen
Implikationen der Patentierbarkeit von Softwareinnovationen in Auftrag
gegeben. Wir erhoffen uns aus dieser Studie - die im Übrigen unseres Wissens
nach bislang die einzige zu diesem Thema ist, die eine umfassende empirische
Erhebung beinhaltet -  wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über
Innovations- und Investitionsstrategien sowie den daraus resultierenden
Innovationsschutzbedürfnissen unterschiedlichster Unternehmen, die auf dem
Gebiet der Softwareentwicklung tätig sind. Vornehmliches Ziel ist, Aussagen
darüber zu gewinnen, ob die bestehende Patentierungspraxis den
Erfordernissen der modernen Informationsgesellschaft entspricht.

4. Auch wenn in Brüssel schneller Handlungsbedarf im Hinblick auf eine
Harmonisierung des Patentschutzes für Softwareinnovationen gesehen wird,
werden wir die Ergebnisse der Studie, die wir für Juli 2001 erwarten, in die
inhaltliche Debatte auf EU-Ebene einbringen können.

Swantje Weber-Cludius
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Referat VI A 4 (Patentpolitik)
D-11019 Berlin
Tel.: (++49) 30.20 14 - 72 50
Fax:  (++49) 30.20 14 - 50 72 50
E-Mail: weber-cludius@bmwi.bund.de
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Swpat mailing list
Swpat@ffii.org
http://ffii.org/mailman/listinfo/swpat