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EPA-Richter: Technik = praktische wiederholbare Lösung



Unsere Seite über die Gesetzeswidrigkeiten und inneren
Widersprüchlichkeiten der neueren eurpäischen Patentrechtsprechung

        http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/

wurde überarbeitet, mit neuen Verweisen bereichert und mit einer
englischen Übersetzung versehen.  Besonders interessant fand ich den
Artikel des EPA-Richters Mark Schar, auf den unten verwiesen wird.
Schar liefert die einzige einigermaßen systematische und
widerspruchsfreie Doktrin, die bisher aus dem EPA-Umfeld zum
Technikbegriff vorgeschlagen wurde.  Diese Doktrin bejaht aber
explizit das, was längst EPA-Praxis ist: Patentierbarkeit von allem
menschengemachten unter der Sonne, bis hin zu Organisationsmethoden
und Textstrukturen.  Technisch ist nach Schar "jede wiederholbare
praktische Lösung".  Zwar ist Schars Argumentation gegen die alte
naturkräftebezogene BGH-Doktrin sehr ärmlich, aber immerhin ist sein
neues System sorgfältig aufgebaut und in sich stimmig.  Ferner stimmt
es mit der Praxis des EPA überein und schenkt uns diesbezüglich reinen
Wein ein.  Das kann man von den derzeit aus Brüssel und Berlin
durchsickernden Entwürfen und Leitgedanken nicht sagen.

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                    Patentjurisprudenz auf Schlitterkurs
                                      
Grenzenlose Patentierbarkeit oder Beschränkung auf angewandte Naturwissenschaft?

   Bisher sind Computerprograme in Europa nicht patentierbar, was nicht
   ausschließt, dass eine patentfähiges technisches Verfahren auch
   programmgesteuert ablaufen kann. Dieses Verfahren muss jedoch auf
   neuen Erkenntnissen über kausale Wirkungszusammenhänge von
   Naturkräften beruhen und eine Lösung eines industriellen Problems
   darstellen. Der Bereich der reinen Vernunft, d.h. des Rechnens,
   Abstrahierens und Programmierens, soll nach dem Willen des
   Gesetzgebers von Patentansprüchen frei bleiben. In seinem wegweisenden
   Urteil "Dispositionsprogramm" von 1976 stellt der Bundesgerichtshof
   fest, dass eine Ausdehnung des Patentwesens in diesen Bereich
   grundlegende Freiheitsrechte bedrohen würde und gleichzeitig dem
   Fortschritt der davon betroffenen Disziplinen nicht unbedingt
   förderlich wäre. Neuere Erkenntnisse der Wirtschafts- und
   Informationswissenschaften bestärken diese weise und klare
   Grenzziehung des Gesetzgebers und ihre systematische Auslegung durch
   die höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen seit 1976, die
   letztlich in den heute noch gültigen Prüfungsrichtlinien und
   Gesetzeskommentaren ihren Niederschlag fanden und im August 2000 noch
   einmal eindrücklich [35]vom Bundespatentgericht bestätigt wurden.
   
   Gleichzeitig gibt es seit den 70er Jahren eine zunehmend
   einflussreiche Gruppe von Patentjuristen, die eine grundsätzliche
   Beschränkung des Patentwesens auf die "Welt der Dinge" mit dem Hinweis
   ablehnen, dadurch müsse das Patentwesen den Anschluss an zunehmend
   bedeutende Bereiche des Wirtschaftslebens verlieren. Unter dem
   Einfluss dieser Denkweise verfielen die Patentierbarkeitsstandards
   Stück um Stück. Zunächst wurde Steuerungslogik im Bereich der
   Mikroelektronik patentiert, und die ehemals verpönten
   Funktionsansprüche (d.h. Beanspruchung abstrakter Funktionalitäten
   unabhängig von einer naturkräftegebundenen Implementationsweise)
   wurden zur Regel. Allmählich schien die vom Gesetz geforderte
   "Diskriminierung gegen Computerprogramme" nicht mehr zeitgemäß zu
   sein. Firmen wie Siemens und IBM investierten viel Geld und Zeit, um
   die "gegenüber den Neuen Technologien unaufgeschlossene" Denkweise der
   Patentämter durch Grundsatzurteile des BGH in Bewegung zu bringen.
   Über das Vehikel der Informationsverarbeitung drang das Patentwesen
   dann schließlich in alle wirtschaftlich interessanten Vorgänge unseres
   Lebens vor. Die gesamte Liste der Patentierbarkeitsausschlüsse in Art
   52 EPÜ, von der Mathematik bis zu den "Verfahren für geschäftliche
   Tätigkeit" und der "Wiedergabe von Information", wurde zur Makulatur.
   Für die heutigen Rechtsprechungspraxis des Europäischen Patentamtes
   ist es belanglos, ob ein begehrter Patentierungsgegenstand auf dieser
   Liste steht oder nicht. Selbst wörtliche Ansprüche auf "ein
   Computerprogramm, dadurch gekennzeichnet dass ..." werden seit 1997
   vom EPA akzeptiert.
   
   Allerdings sind die auf dieser Grundlage gewährten Patente von
   ungewissem Wert. Unabhängige Gerichte wie der berühmte 17. Senat des
   Bundespatentgerichtes finden regelmäßig Widersprüche in der
   Argumentation des EPA und des BGH und weisen Ansprüche auf
   Computerprogramme oder Logikinnovationen zurück. Auch bei den
   nationalen Gerichten in anderen Ländern gibt es solche Reibungen oder
   Unabwägbarkeiten. Daher ist der Patentrechtlergemeinde sehr daran
   gelegen, das Europäische Patentübereinkommen zu ändern oder mithilfe
   neuer Gesetzgebung beiseite zu drängen. Nachdem das Projekt einer
   EPÜ-Änderung im November 2000 am öffentlichen Widerstand gescheitert
   ist, steht als nächstes eine Europäische "Richtlinie über die
   Patentierbarkeit von rechnerimplementierbaren Erfindungen" an, bei der
   es eigentlich darum geht, die [36]gegenwärtige Praxis des EPA, Patente
   auf implementationsunabhängige Rechenprobleme zu erteilen, in
   Paragraphen zu gießen. Unter dem Namen der "Harmonisierung" und
   "Beseitigung von Rechtsunsicherheiten" soll die wackelige Grundlage,
   auf der sich die Rechtsprechung des EPA derzeit bewegt, stabilisiert
   werden. Bisherige Entwürfe der EU-Patentjuristen zeigen jedoch, dass
   dadurch bestenfalls die Widersprüche zwischen Rechtsprechung und
   Gesetz, nicht jedoch die inneren Widersprüchliche der EPA-Judikatur
   aufgehoben würden.
   
Weitere Lektüre

   -> [37]Thomas Winischhofers Seite über Patente und [38]Juristische
          Dissertation von Thomas Winischhofer: Computersoftware und
          Patentrecht:
          Nach Untersuchung zahlreicher richtungsweisender EPA-Urteile
          über die Patentierbarkeit von Programmlogik erklärt
          Winischhofer, dass diese Urteile höchst fragwürdig und
          widersprüchlich sind. Es bestehen nicht nur widersprüche zum
          Gesetz sondern auch Widersprüche zwischen den verschiedenen
          Urteilen. Winischhofer fasst zusammen:
          
	    Das EPA selbst hat bisher keinerlei Systematik entwickelt. Selbst
	    die ausführlich diskutierte Entscheidung
	    "Computerprogrammprodukt/IBM" greift auf verschiedene Einzelfälle
	    zurück. Die Judikatur des EPA erscheint sohin von Kasuistik
	    geprägt, eine Definition des erforderlichen "technischen Effektes"
	    bleibt selbst die zuletzt genannte Entscheidung schuldig - dies
	    obwohl das EPA, wie bereits erwähnt, gedenkt seine Rechtsprechung
	    künftig an dieser Entscheidung auszurichten.
     
   -> [39]Mark Schar 1998: What is Technical?:
          Ein EPA-Richter schlägt eine systematische Neudefinition für
          den Technikbegriff vor, der von der EPA-Rechtsprechung seit ca
          1986 in unsystematischer Weise Schritt für Schritt verändert
          worden war. Schar schlägt vor, dass jede praktische und
          wiederholbare Lösung als technisch zu betrachten sei und daher
          patentfähig sein müsse. Diese Definition stimmt mit der Praxis
          des EPA überein, und sie bedeutet, dass alle Rechnerprogramme
          sowie alle programmierten oder sonstwie in die Praxis
          umgesetzten mathematischen Verfahren, Geschäftsverfahren,
          Spiele und Datenstrukturen patentfähig sind. Natürlich nicht in
          als solche = als Gedankenkonstrukte im menschlichen Hirn,
          sondern nur in ihrer praktisch verwertbaren Form. Schar weist
          ausdrücklich Doktrinen des BGH von 1966-81 zurück, wonach eine
          technische Erfindung uns neues Wissen über
          Wirkungszusammenhänge von Naturkräften lehren musste. Zur
          Begründung dieser Zurückweisung führt er an, dass einige alte
          Schriften von 1900 merkwürdig altmodische und möglicherweise
          politisch unkorrekte Formulierungen enthalten. Diese Begründung
          dürfte genügen, um die Leser des Journal of World Intellectual
          Property zu überzeugen.
          
   -> [40]Gert Kolle: Technik, Datenverarbeitung und Patentrecht --
          Bermerkungen zur Dispositionsprogramm - Entscheidung des
          Bundesgerichtshofs:
          Gert Kolle, heute Bürokrat im Europäischen Patentamt, war in
          den 70er Jahren der maßgebliche Rechtstheoretiker in der Frage
          der Patentierbarkeit von Computerprogrammen. Er agierte als
          wissenschaftlicher Referent und Berichterstatter der deutschen
          Delegation bei verschiedenen Patentgesetzgebungskonferenzen der
          70er Jahre, bemühte sich stets um einen unparteiischen
          wissenschaftlichen Standpunkt fernab jeglicher "ideologischer
          Versteinerung", in der die beiden Fronten schon damals
          aufeinanderprallten. Im vorliegenden GRUR-Artikel von 1977
          erklärt er, warum Computerprogramme nicht als "technisch" im
          Sinne des Patentrechts gelten können und warum eine "naiv oder
          bewusst" herbeigeführte "Lockerung des Technikbegriffs" zu
          unerhörten Sperrwirkungen und unverantwortbaren
          Machtanhäufungen führen würde. Laut Kolle muss es daher ein
          "Niemandsland des Geistigen Eigentums" geben, und Algorithmen
          sollten "vergesellschaftet" werden. Ein wegen seiner Tiefe und
          Klarheit sehr empfehlenswerter Artikel, der nach über 20 Jahren
          kaum etwas von seiner Aktualität verloren hat.
          
   -> [41]Dr. Swen Kiesewetter-Köbinger: Über die Patentprüfung von
          Programmen für Datenverarbeitungsanlagen:
          Ein Prüfer am Deutschen Patentamt nimmt die Ungesetzlichkeiten
          und Ungereimtheiten der aktuellen Softwarepatentierungspraxis
          unter die Lupe -- brilliante und profunde Analyse vom November
          2000. Wir haben auch eine [42]englische Übersetzung
          angefertigt.
          
   -> [43]Lamy Droit Informatique:
          Standardnachschlagewerk des Computerrechts. Erklärt, wie das
          EPA schrittweise das Recht verbogen hat und von welch
          ungewisser Gültigkeit die auf diese Weise erteilten
          Softwarepatente sind.
          
   -> [44]Gesetzesregel über den Erfindungsbegriff im Europäischen
          Patentwesen und seine Auslegung unter besonderer
          Berücksichtigung der Programme für Datenverarbeitungsanlagen:
          Es bedürfte nur weniger Worte, um begriffsstutzigen
          Patentjuristen zu erklären, wie Art 52 EPÜ / §1 PatG zu
          verstehen ist. Dieser Eurolinux-Entwurf einer EU-Richtlinie hat
          bequem auf einer DIN-A4-Seite Platz. Die Vertreter der
          [45]Patentbewegung hingegen reden in langen Traktaten von
          "Klärung" und "Harmonisierung" und erzeugen dabei mit jeder
          Zeile ein Stück mehr Begriffsverwirrung und dissonanzträchtige
          Unschärfe.
          
   -> [46]Arno Körber: Patentschutz aus der Sicht eines Großunternehmens:
          Der Patentchef von Siemens erklärt, wie seine Abteilung aktiv
          zur "Rechtsfortbildung" beigetragen hat, um die Praxis des
          deutschen Patentamtes dem Stand der (im globalen
          Geschäftsumfeld maßgeblichen) amerikanischen Rechtsprechung
          anzupassen.
          
   -> [47]Mellulis 1998: Zur Patentierbarkeit von Programmen fuer
          DV-Anlagen:
          Der Softwarepatent-Experte des BGH erklärt am Beispiel
          Microsoft, warum Softwarepatente wirtschaftspolitisch erwünscht
          sein müssen, und zeigt Wege auf, wie man sie trotz Gesetzeslage
          einführen kann. Er führt aus, dass der Gesetzgeber nur
          untechnische Gegenstände vom Patentschutz habe ausschließen
          wollen, und dass Computerprogramme technisch seien. Diesen
          Widerspruch löst Melullis, indem er eine Entität namens
          "Computerprogramm als solches" konstruiert und ihr die
          Bedeutung "Computerprogramm im menschlichen Hirn" zuweist.
          Kollege Tauchert vom Deutschen Patentamt hingegen plädiert für
          "Sourcecode". Egal, Hauptsache die Worte des Gesetzgebers
          werden dadurch belanglos.
          
   -> [48]Politische Ökonomie des Patentwesens: die Mechanismen der
          Patentinflation:
          In den letzten 200 Jahren hat sich das Patentsystem
          kontinuierlich ausgeweitet. Diese Expansion ist nicht das
          Ergebnis einer planmäßigen Wirtschaftspolitik sondern vielmehr
          eines selbstverstärkenden Mechanimsusses, den man etwa der
          Geldwert-Inflation oder dem Rüstungswettlauf vergleichen kann.
          Dieser Artikel analysiert die Mechanismen der Patentinflation,
          verfolgt ihre Entwicklung und fragt nach möglichen Auswegen.
          
   -> [49]J.P. Smets: Software Useright: Solving Inconsistencies of
          Software Patents:
          Dieser Artikel zeigt allerlei rechtliche und praktische
          Widersprüchlichkeiten der Softwarepatentierung auf.
          
   -> [50]The Impact of Granting Patents for Information Innovations:
          Diesem Bericht des Nationalen Forschungsrats der Vereinigten
          Staaten zufolge wurden Softwarepatente (Patente auf
          Informationsinnovationen) durch Gerichtsurteile ohne
          gesetzgeberische Rückendeckung eingeführt, und es scheint
          zweifelhaft ob die Ergebnisse dieser Rechtsprechungspraxis im
          Einklang mit den erklärten Zielen der amerikanischen Verfassung
          stehen, wonach das Patentrecht sich aus seinem Beitrag zum
          "Fortschritt der Wissenschaft und der nützlichen Künste"
          legitimiert. Das 1981 eingerichtete höchste Berufungsgericht
          auf Bundesebene (CAFC) hat das Patentsystem in "unerforschte
          Gewässer" geführt, und die Erfahrung der Softwarebranche mit
          dem Patentsystem deutet darauf hin, dass dies eine mehr als
          zweifelhafte Entscheidung war, die nach einer grundlegenden
          Revision durch den Gesetzgeber schreit.
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    http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/indexde.html
    2000-12 [51]SWPAT-AG des FFII
    
Verweise

  35. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bpatg17w6998/indexde.html
  36. http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/index.de.html
  37. http://www.webit.com/tw/patent.shtml
  38. http://swpat.ffii.org/vreji/prina/drtw.pdf
  39. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/jwip-schar98/indexen.html
  40. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77/indexde.html
  41. http://swpat.ffii.org/vreji/prina/patpruef.pdf
  42. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/patpruef/indexen.html
  43. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/lamy98/indexfr.html
  44. http://swpat.ffii.org/stidi/eurili/indexde.html
  45. http://swpat.ffii.org/stidi/lijda/indexde.html
  46. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/boch97-koerber/indexde.html
  47. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-mellu98/indexde.html
  48. http://swpat.ffii.org/stidi/tisna/indexde.html
  49. http://www.freepatents.org/adapt/useright/
  50. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/digidilem00/indexen.html
  51. mailto:swpatag@ffii.org?subject=http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/indexde.html