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Re: Gesetzesauslegung vs "Rechtsfortbildung"



> Tom Vogt antwortete auf PA Pfeiffer:
> > >> und RSA ist wohl nicht eisenimplementierbar, wohl
> > >> aber softwareimplementierbar.
> > >Das ist nun voellig falsch. RSA ist auf jeden Fall
> > >silizium-implementierbar (als Schaltung) und damit
> > >sogar eisenimplementierbar (als mechanische Rechenmaschine).
> >
> > Dann müßte es doch zweifelsohne patentierbar sein, oder? Sie sind liberaler als ich mich dies
> > getraut hätte :-)
>
> aber genau das ist die frage: *was* wird denn nun patentiert? der RSA
> /Algorithmus/ ? - das, werden selbst sie zugeben muessen, ist
> unzulaessig, weil reine mathematik (die 3 formeln sind hier schon ein
> paarmal gepostet worden).

Herr Pfeiffer wird da sicherlich nichts zugeben.
Bedeutende mathematische Entwicklungen wie RSR oder wie die
Karmarkar-Methode werden regelmaessig dadurch patentiert, dass man
Ansprueche auf diverse "eisenimplementierte" oder
"softwareimplementierte" Anwendungen formuliert.
Dadurch entstehen dann Patente mit 100 Anspruechen, z.B.

1 Geraet und System zur Zuweisung von Flugpersonal an Fluglinien, ...
2 Geraet und System zur Erdoelraffinierung, ..
3 Geraet und System zur optimalen Kombination von Nahrungsmittel, ...
- ...
100 Geraet und System zur Wegeplanung von reisenden Verkaeufern, ...

Wenn man nicht mehr danach fragt, worin eigentlich der neue und
erfinderische Kern liegt, kann man auf diese Weise Methoden beliebiger
Abstraktheit beanspruchen.  Denn eine konkrete Verkoerperung
(Implementation) gibt es immer dort, wo diese Methoden reale Probleme
loesen.  Und die Menge der moeglichen Konkretisierungen ist unbegrenzt in
Zahl und Vielfalt.

Wie das Karmarkar-Beispiel (und viele andere Swpat-Beispiele) zeigt,
haengt in solchen Faellen die beanspruchte Implementierung nicht mehr mit
der erfinderischen Leistung zusammen.  Zwischen dem abstrakten Algorithmus
und den Implementierungs-Anspruechen liegt keine Erfindungshoehe.

Viele Theoretiker haben darauf hingewiesen, dass es nur zwei konsistente
Loesungen diese Problems gibt:

(a) Man laesst abstrakte Ideen (mathematische Algorithmen) generell zur
    Patentierung zu und verzichtet auf die Forderung nach
    Eingrenzung auf bestimmte konkrete Verkoerperungen.
(b) Man begrenzt die Patentierbarkeit auf Ideen, die neue
    Erkenntnisse ueber Naturkraefte-Kausalitaeten enthalten und daher
    von vorneherein auf konkrete Verkoerperungen bezogen sind.

In beiden Faellen entfaellt als Konsequenz das Raesonnieren ueber
"xxx-implementierbare Erfindungen".

Das ist sowieso nur symptomatisch fuer einen Missbrauch:  es sollte das
beansprucht werden, was wirklich erfunden wurde und nicht etwa irgendeine
paragraphenkonforme Einkleidung ("Implementation").  Die Regeln hierfuer
hat der BGH im Urteil "Dispositionsprogramm" klar formuliert, s.

	Kolle-Artikel 1977
	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77/

> > Jede technische Lehre auf Papier oder einer Festplatte ist abstrakt und bedarf einer konkreten
> > Implementierung, sei es durch geformte Eisenteile oder durch geschriebene software in einem
> > Rechner. Die Unterscheidung zwischen Abstrakt und Konkret hilft nicht, denn alles, was nicht
> > gegenständlich ist, ist abstrakt. Z. B. können Sie mit der abstrakten Beschreibung "Gartenschlauch
> > mit höchstens 15 mm Innendurchmesser und mindestens 20 mm Außendurchmesser" kein Wasser zu Ihren
> > Geranien befördern. Nur der konkrete Gartenschlauch kann das, und der kann dann auch sehr
> > unterschiedlich sein und trotzdem immer die obige Definition erfüllen (die, nebenbei, mangels
> > erfinderischer Tätigkeit bestimmt nicht patentiert würde).
>
> eben. der hersteller eines gartenschlauches erhaelt aber sein patent
> auf seinen bestimmten gartenschlauch, nicht auf jede methode des
> wassertransports mittels hohlkoerpern.

Diese Antwort greift zu kurz.  Es geht hier nicht um die Anspruchsbreite.
Selbstverstaendlich koennten Patente auf "jede Methode des
Wassertransports mittels Hohlkoerpern" erteilt werden, wenn diese Praxis
neu waere und noch kein Techniker je zu vor bemerkt haette, dass Wasser
der Schwerkraft unterliegt.

Anders waere es, wenn die Wirkung der Schwerkraft auf Wasser schon bekannt
waere (was sie wohl seit mesopotamisch-aegyptischen Zeiten ist) und jemand
lediglich eine Rechenregel (z.B. Karmarkar-Algorithmus oder die Idee des
Transportierens selbst) beansprucht, die auf ein bereits bekanntes
abstraktes Modell der Bewaesserung anwendbar ist.  Hier hat der BGH in den
70er Jahren folgenden Denkansatz formuliert:

  "Der neue, nicht naehliegende Gehalt der Erfindung betrifft in diesem
   Falle nicht deren technischen Aspekt, sondern ergibt sich aus dem
   Algorithmus, der als Problemloesung schon fertig ist, bevor bei seiner
   Ausfuehrung das Feld der Technik betreten wird."
   (s. Bernhard/Krasser, Lehrbuch des Patentrechts, Aufl.4 1985 S. 95)

Diesen begrifflich und praktisch hervorragend bewaehrten Doktrinen unserer
Gerichte braeuchten wir eigentlich kaum etwas hinzuzufuegen.  Es ergeben
sich hoechstens Schwierigkeiten bei der Anwendung auf Faelle wie das
Antiblockiersystem von 1978/80, bei der BPatG und BGH zu unterschiedlichen
Ergebnissen kamen.  Solche Faelle rufen vielleicht nach noch weiterer
Verfeinerung.  Zu einer solchen verfeinernden Klaerung sind aber die
heutigen Bruesseler Patentjuristen kaum in der Lage, und diese Aufgabe
muss man auch nicht unbedingt dem Gesetzgeber aufbuerden.  BGH und BPatG
wuerden das auch heute richtig leisten, wenn die institutionelle Balance
wiederhergestellt wuerde.

Kaum jemand wird leugnen koennen, dass die alte BGH/BPatG-Doktrin

(a) weniger Unsicherheiten bezueglich der Grenzen der Patentierbarkeit
    aufwirft als die heutige stark schwankende Praxis des EPA
(b) eine widerspruchsarme und sinnvolle Interpretation von Art 52 EPUe
    erlaubt (waehrend die neuere EPA-Praxis dazu gefuehrt hat, dass das
    EPA selber den Art 52 EPUe nur noch als eine reformbeduerftige Altlast
    sehen kann, s. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/jwip-schar98/)
(c) in ihrer Wirkung einem damals wie heute breiten wirtschaftpolitischen
    Konsens entspricht (waehrend die EPA-Praxis vor allem breite und triviale
    Swpat-Ansprueche en masse produziert hat)

Die ermuedend wiederholsame Debattiererei mit Patentanwaelten hatte wohl
den einen Vorteil, dass wir in diesen Einsichten gefestigt wurden.  Denn
serioese Gegenargumente sind nicht gekommen.  Fuer uns stellen sich also
nur noch ein paar feinere Fragen (u.a. Konsultationsfragen
http://swpat.ffii.org/stidi/) sowie die Aufgabe, aus unseren Erkenntnissen
die richtigen Konsequenzen fuer das unmittelbare Handeln zu ziehen.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Pflege statt Pluenderung der Informationsallmende: http://www.ffii.org/
77800 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/