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Gefahren durch Haager Uebereinkommen
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- Subject: Gefahren durch Haager Uebereinkommen
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Tue, 5 Jun 2001 14:47:08 +0200 (CEST)
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Gefahren durch Ausweitung des Haager Übereinkommens auf
Immaterialgüterrechte
Am 6. Juni 2001 beginnt in Den Haag eine neue Verhandlungsrunde zur
Erweiterung des Haager Übereinkommens, welches die Vollstreckung
ausländischer Urteile in bestimmten Bereichen erlaubt und regelt.
Einem dem FFII vorliegenden aktuellen Entwurf zufolge sollen
Angelegenheiten des Wirtschaftsrechts und insbesondere der
Immaterialgüterrechte (Patent-, Urheber-, Markenrecht) nun in den
Bereich des Haager Übereinkommens mit aufgenommen werden. Der FFII
fordert, Informationsdelikte ebenso wie das Seerecht weiterhin aus dem
Bereich des Haager Übereinkommens auszusparen.
FFII gegen Ausweitung des Haager Übereinkommens auf Informationsdelikte
Am 6. Juni beginnt in Den Haag eine neue Verhandlungsrunde zur
Erweiterung des Haager Übereinkommens, welches die Vollstreckung
ausländischer Urteile in bestimmten Bereichen erlaubt und regelt.
Einem dem FFII vorliegenden aktuellen Entwurf zufolge sollen
Angelegenheiten des Wirtschaftsrechts und insbesondere der
Immaterialgüterrechte (Patent-, Urheber-, Markenrecht) nun in den
Bereich des Haager Übereinkommens mit aufgenommen werden.
Falls dieser Entwurf verabschiedet wird, könnten z.B. europäische
Internet-Händler zu Schadensersatz wegen Verletzung amerikanischer
Geschäftsverfahrens-Patente verklagt werden. Z.B. könnte ein
europäische Fluggesellschaft wegen Verwendung des Innenpunktverfahrens
der linearen Programmierung bei der Anordnung ihrer Flugpläne, wegen
Verkaufs von Flugscheinen per Internet, wegen Bestellung mit nur einem
Mausklick o.ä. (in Europa nicht erteilte US-Patente von AT&T,
Priceline und Amazon) verklagt werden. Es wäre ihr dann vielleicht
noch immer möglich, den Klagen dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie
ihre Flugpläne nicht in englischer Sprache anbietet, Flugverbindungen
in die USA streicht und ihr WWW-Angebot unergonomisch programmiert.
Außerdem könnten Schrankenbestimmungen nach Art 28 des Übereinkommens
erlauben, dass bestimmte Typen exorbitanter amerikanischer
Schadensersatzforderungen "im Interesse der öffentlichen Ordnung" hier
nicht vollstreckt werden. Dennoch spricht wenig dafür, einer solchen
Ausdehnung amerikanischer Internet-Patente auf die ganze Welt
zuzustimmen.
Der FFII fordert daher, den Bereich des Internet, der
Informationsdelikte und der Immaterialgüterrechte bis auf weiteres aus
dem Haager Übereinkommen auszuschließen, ebenso wie heute der Bereich
des Seerechts ausgeschlossen ist und bleibt. Hartmut Pilch, derzeit
Vorsitzender des FFII, meint dazu:
Information kennt keine territorialen Grenzen und lässt sich daher
schwer durch eine Vielfalt konkurrierender Rechtssysteme in den
Griff kriegen. Bisher wirkt die Konkurrenz verschiedener
Territorien als Anreiz, den Umgang mit Informationen zu
liberalisieren. Das beschneidet gelegentlich die nationale
Souveränität, wie etwa die Schwierigkeiten deutscher Behörden bei
der Strafverfolgung volksverhetzender Internetangebote in den USA
zeigen. Doch an dem grundsätzlichen Problem würde auch das Haager
Abkommen nichts ändern. Es würde lediglich den Liberalisierungssog
durch einen Zensursog ersetzen. Statt eines Zugzwangs hin zu
grenzenloser Informationsfreiheit entstünde eine Zugzwang hin zu
grenzenloser Zensur.
Die Patentinflation verdankt schon jetzt einen Teil ihrer Dynamik
einem Schneeballsystem, welches denjenigen belohnt, der als erstes
die Patentierbarkeitskriterien lockert. Das Haager Übereinkommen
würde nach dem nun zur Debatte stehenden Entwurf diese Dynamik
erheblich verstärken. Man stelle sich vor, der Wettbewerb um
Billigflaggen oder Steueroasen hielte auch im Patentwesen Einzug
und Länder wie Liberia, Panama, Liechtenstein usw könnten der Welt
die Marschrichtung diktieren und andere in Zugzwang setzen. Es geht
auch nicht an, das Internet zunächst in Rechtsunsicherheit zu
stürzen und dann später von Fall zu Fall durch "Ausnahmeregelungen
im Interesse der öffentlichen Ordnung" (Art 28 des Entwurfes)
nachzubessern. Diese Rechtsunsicherheit träfe nämlich normale
Personen, wie z.B. Entwickler freier Software, die sich solche
Risiken nicht leisten können.
Es bestehen darüber hinaus Bedenken darüber, inwieweit es überhaupt
mit Grundprinzipien der Volkssouveränität vereinbar sein kann, die
Anwendung unterschiedlicher Rechtsprechungen auf ein und die selbe
Person zuzulassen.
Xuân Baldauf, Internet-Unternehmer in Leipzig, gibt zu bedenken:
Rechtsprechung in einem Land basiert auf Gesetzen, und zwar auf
denen, die in diesem Land erlassen wurden. Das ist gut so, und
erforderlich aus dem Demokratieprinzip. Da in jedem Land andere
Gesetze gelten, unterliegen Personen je nach Land unterschiedlichen
Rechtssystemen.
Ist nun jede Person in ihrem Heimatland nach jedem möglichen
ausländischen Recht verklagbar, so ist das größte
Rechtsunsicherheit für den Angeklagten. Denn während ein Kläger
sich das Rechtssystem aussuchen kann, in dem er klagt (das geht
besonders gut bei multinationalen Konzernen), muss der Beklagte die
Urteile ausländischer Gerichte annehmen.
Da viele Gesetzesregeln als Rechtseinschränkungen und nicht als
Rechtserweiterungen formuliert sind, wird sich ein Angeklagter
schlecht auf eine ausdrückliche Berechtigung im Rechtssystem seines
Heimatlandes berufen können, während ein Kläger sich leicht auf ein
Rechtseinschränkung im Rechtssystem des Kläger-Landes berufen kann.
Aus diesem Grund werden wahrscheinlich die jeweils schärfsten
Bestimmungen angwendet, die verschiedene Rechtssysteme für ein und
denselben Fall vorsehen.
Die Grundgesetz-Regel Art. 2 Abs. 1 "Alle Menschen sind vor dem
Gesetz gleich." erfordert, dass Rechtssysteme für jeden
anzuwendenden Fall in sich widerspruchsfrei sind. Durch die
Verschmelzung vieler Rechtssysteme in ein einziges entstehen
Widersprüche, und zwar genau dort, wo sich die Rechtssysteme
unterscheiden. Aus diesem Grund dürfte das Haager Übereinkommen
verfassungswidrig sein.
Außerdem verstößt die Anwendung ausländischen Rechts auf
inländische Personen gegen das Demokratie-Prinzip aus GG Art. 20
Abs. 2 "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.", denn die ausgeübte
Staatsgewalt geht dann nicht mehr vom Volk aus, das den Staat
konstitutiert, sondern von einem fremden Staat. Dies wäre
verfassungswidrige Aufgabe und Auslieferung von Demokratie.
Auch Tom Vogt, Systemanalytiker bei einem großen deutschen
Telekommunikationsunternehmen, meint:
Ich halte dieses Abkommen für schlicht verfassungswidrig, da der
demokratische Prozess ausgehebelt wird. Es gelten für den Bürger
plötzlich Gesetze, an denen er keinerlei demokratische
Mitwirkmöglichkeit hatte. Zweitens kommt im Resultat eine de-facto
Auslieferung heraus (unter ausländische Gerichtsbarkeit, auch wenn
die Vollstreckung dann im Inland stattfindet), was gegen Art. 16 GG
verstößt.
Voraussetzung dieser Befürchtungen ist, dass mehrere Rechtsräume
gleichzeitig gelten können oder Uneinigkeit darüber besteht, welcher
Rechtsraum gelten soll. Dies ist insbesondere im Bereich der
Informationsdelikte in hohem Maße der Fall.
Gespräche mit Rechtspolitikern in Deutschland
Bisher haben wir mit dem BMJ und einigen Abgeordneten hierüber
gesprochen. In den zuständigen Regierungskreisen scheint die Ansicht
vorzuherrschen, der vorgeschlagene Art 28 eröffne genug Spielraum, um
gravierende Nachteile zu vermeiden. Zugleich meint man, die
Verhandlungen würden sich noch einige Jahre hinziehen.
Es besteht offenbar die Gefahr, dass unsere Politiker die Probleme
unterschätzen. Verträge wie das Hager Übereinkommen werden im übrigen
von Juristen ausgearbeitet, und für die Juristenzunft ist
Rechtsunsicherheit weniger ein Problem als eine Einkommensquelle. Wenn
nicht eine laute öffentliche Reaktion hörbar ist, werden die Skeptiker
innerhalb der Verhandlungsrunde vielleicht eher ruhig bleiben.
Es ist auch zu bedenken, dass durch die Aussicht auf ein solches
Abkommen schon jetzt ein Zugzwang hin zu diesem Abkommen entsteht.
Denn auch wenn nur ein Teil der Staaten das Abkommen unterzeichnet,
wird es auf die ganze Welt eine Sogwirkung entfalten. Politik wird
häufiger durch solche Sogwirkungen und "Sachzwänge" als durch aktive
und bewusste Willensbildung bestimmt.
Weitere Lektüre
* [33]Dokumentation von cptech.org (amerikanische
Verbraucherschutzorganisation)
* [34]Analyse von Cptech.org
* [35]Mitglieder der Verhandlungsrunde
* [36]Informationen des US-Patentamtes
* [37]FFII-Nachricht 2000-12-16: Weltweiter Enteignungswettbewerb
durch Haager Übereinkommen?
* [38]Diskussionsverteiler über Wirtschaftsrecht und das Haager
Übereinkommen
* [39]Eurolinux-Seite zum Haager Übereinkommen
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Verweise
33. http://www.cptech.org/ecom/jurisdiction/hague.html
34. http://www.cptech.org/ecom/jurisdiction/whatyoushouldknow.html
35. http://www.hcch.net/e/members.html
36. http://www.uspto.gov/web/offices/com/sol/notices/prdrconjud.html
37. http://swpat.ffii.org/vreji/minra/ffii.org/archive/mails/neues/2000/Dec/0002.html
38. http://lists.essential.org/mailman/admin/hague-jur-commercial-law/
39. http://petition.eurolinux.org/hague/index.html