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Gefahren durch Haager Uebereinkommen



http://swpat.ffii.org/cnino/haag016/indexde.html
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          Gefahren durch Ausweitung des Haager Übereinkommens auf
                           Immaterialgüterrechte

    Am 6. Juni 2001 beginnt in Den Haag eine neue Verhandlungsrunde zur
      Erweiterung des Haager Übereinkommens, welches die Vollstreckung
     ausländischer Urteile in bestimmten Bereichen erlaubt und regelt.
        Einem dem FFII vorliegenden aktuellen Entwurf zufolge sollen
         Angelegenheiten des Wirtschaftsrechts und insbesondere der
     Immaterialgüterrechte (Patent-, Urheber-, Markenrecht) nun in den
     Bereich des Haager Übereinkommens mit aufgenommen werden. Der FFII
   fordert, Informationsdelikte ebenso wie das Seerecht weiterhin aus dem
               Bereich des Haager Übereinkommens auszusparen.


FFII gegen Ausweitung des Haager Übereinkommens auf Informationsdelikte

   Am 6. Juni beginnt in Den Haag eine neue Verhandlungsrunde zur
   Erweiterung des Haager Übereinkommens, welches die Vollstreckung
   ausländischer Urteile in bestimmten Bereichen erlaubt und regelt.

   Einem dem FFII vorliegenden aktuellen Entwurf zufolge sollen
   Angelegenheiten des Wirtschaftsrechts und insbesondere der
   Immaterialgüterrechte (Patent-, Urheber-, Markenrecht) nun in den
   Bereich des Haager Übereinkommens mit aufgenommen werden.

   Falls dieser Entwurf verabschiedet wird, könnten z.B. europäische
   Internet-Händler zu Schadensersatz wegen Verletzung amerikanischer
   Geschäftsverfahrens-Patente verklagt werden. Z.B. könnte ein
   europäische Fluggesellschaft wegen Verwendung des Innenpunktverfahrens
   der linearen Programmierung bei der Anordnung ihrer Flugpläne, wegen
   Verkaufs von Flugscheinen per Internet, wegen Bestellung mit nur einem
   Mausklick o.ä. (in Europa nicht erteilte US-Patente von AT&T,
   Priceline und Amazon) verklagt werden. Es wäre ihr dann vielleicht
   noch immer möglich, den Klagen dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie
   ihre Flugpläne nicht in englischer Sprache anbietet, Flugverbindungen
   in die USA streicht und ihr WWW-Angebot unergonomisch programmiert.
   Außerdem könnten Schrankenbestimmungen nach Art 28 des Übereinkommens
   erlauben, dass bestimmte Typen exorbitanter amerikanischer
   Schadensersatzforderungen "im Interesse der öffentlichen Ordnung" hier
   nicht vollstreckt werden. Dennoch spricht wenig dafür, einer solchen
   Ausdehnung amerikanischer Internet-Patente auf die ganze Welt
   zuzustimmen.

   Der FFII fordert daher, den Bereich des Internet, der
   Informationsdelikte und der Immaterialgüterrechte bis auf weiteres aus
   dem Haager Übereinkommen auszuschließen, ebenso wie heute der Bereich
   des Seerechts ausgeschlossen ist und bleibt. Hartmut Pilch, derzeit
   Vorsitzender des FFII, meint dazu:

     Information kennt keine territorialen Grenzen und lässt sich daher
     schwer durch eine Vielfalt konkurrierender Rechtssysteme in den
     Griff kriegen. Bisher wirkt die Konkurrenz verschiedener
     Territorien als Anreiz, den Umgang mit Informationen zu
     liberalisieren. Das beschneidet gelegentlich die nationale
     Souveränität, wie etwa die Schwierigkeiten deutscher Behörden bei
     der Strafverfolgung volksverhetzender Internetangebote in den USA
     zeigen. Doch an dem grundsätzlichen Problem würde auch das Haager
     Abkommen nichts ändern. Es würde lediglich den Liberalisierungssog
     durch einen Zensursog ersetzen. Statt eines Zugzwangs hin zu
     grenzenloser Informationsfreiheit entstünde eine Zugzwang hin zu
     grenzenloser Zensur.

     Die Patentinflation verdankt schon jetzt einen Teil ihrer Dynamik
     einem Schneeballsystem, welches denjenigen belohnt, der als erstes
     die Patentierbarkeitskriterien lockert. Das Haager Übereinkommen
     würde nach dem nun zur Debatte stehenden Entwurf diese Dynamik
     erheblich verstärken. Man stelle sich vor, der Wettbewerb um
     Billigflaggen oder Steueroasen hielte auch im Patentwesen Einzug
     und Länder wie Liberia, Panama, Liechtenstein usw könnten der Welt
     die Marschrichtung diktieren und andere in Zugzwang setzen. Es geht
     auch nicht an, das Internet zunächst in Rechtsunsicherheit zu
     stürzen und dann später von Fall zu Fall durch "Ausnahmeregelungen
     im Interesse der öffentlichen Ordnung" (Art 28 des Entwurfes)
     nachzubessern. Diese Rechtsunsicherheit träfe nämlich normale
     Personen, wie z.B. Entwickler freier Software, die sich solche
     Risiken nicht leisten können.

   Es bestehen darüber hinaus Bedenken darüber, inwieweit es überhaupt
   mit Grundprinzipien der Volkssouveränität vereinbar sein kann, die
   Anwendung unterschiedlicher Rechtsprechungen auf ein und die selbe
   Person zuzulassen.

   Xuân Baldauf, Internet-Unternehmer in Leipzig, gibt zu bedenken:

     Rechtsprechung in einem Land basiert auf Gesetzen, und zwar auf
     denen, die in diesem Land erlassen wurden. Das ist gut so, und
     erforderlich aus dem Demokratieprinzip. Da in jedem Land andere
     Gesetze gelten, unterliegen Personen je nach Land unterschiedlichen
     Rechtssystemen.

     Ist nun jede Person in ihrem Heimatland nach jedem möglichen
     ausländischen Recht verklagbar, so ist das größte
     Rechtsunsicherheit für den Angeklagten. Denn während ein Kläger
     sich das Rechtssystem aussuchen kann, in dem er klagt (das geht
     besonders gut bei multinationalen Konzernen), muss der Beklagte die
     Urteile ausländischer Gerichte annehmen.

     Da viele Gesetzesregeln als Rechtseinschränkungen und nicht als
     Rechtserweiterungen formuliert sind, wird sich ein Angeklagter
     schlecht auf eine ausdrückliche Berechtigung im Rechtssystem seines
     Heimatlandes berufen können, während ein Kläger sich leicht auf ein
     Rechtseinschränkung im Rechtssystem des Kläger-Landes berufen kann.
     Aus diesem Grund werden wahrscheinlich die jeweils schärfsten
     Bestimmungen angwendet, die verschiedene Rechtssysteme für ein und
     denselben Fall vorsehen.

     Die Grundgesetz-Regel Art. 2 Abs. 1 "Alle Menschen sind vor dem
     Gesetz gleich." erfordert, dass Rechtssysteme für jeden
     anzuwendenden Fall in sich widerspruchsfrei sind. Durch die
     Verschmelzung vieler Rechtssysteme in ein einziges entstehen
     Widersprüche, und zwar genau dort, wo sich die Rechtssysteme
     unterscheiden. Aus diesem Grund dürfte das Haager Übereinkommen
     verfassungswidrig sein.

     Außerdem verstößt die Anwendung ausländischen Rechts auf
     inländische Personen gegen das Demokratie-Prinzip aus GG Art. 20
     Abs. 2 "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.", denn die ausgeübte
     Staatsgewalt geht dann nicht mehr vom Volk aus, das den Staat
     konstitutiert, sondern von einem fremden Staat. Dies wäre
     verfassungswidrige Aufgabe und Auslieferung von Demokratie.

   Auch Tom Vogt, Systemanalytiker bei einem großen deutschen
   Telekommunikationsunternehmen, meint:

     Ich halte dieses Abkommen für schlicht verfassungswidrig, da der
     demokratische Prozess ausgehebelt wird. Es gelten für den Bürger
     plötzlich Gesetze, an denen er keinerlei demokratische
     Mitwirkmöglichkeit hatte. Zweitens kommt im Resultat eine de-facto
     Auslieferung heraus (unter ausländische Gerichtsbarkeit, auch wenn
     die Vollstreckung dann im Inland stattfindet), was gegen Art. 16 GG
     verstößt.

   Voraussetzung dieser Befürchtungen ist, dass mehrere Rechtsräume
   gleichzeitig gelten können oder Uneinigkeit darüber besteht, welcher
   Rechtsraum gelten soll. Dies ist insbesondere im Bereich der
   Informationsdelikte in hohem Maße der Fall.

Gespräche mit Rechtspolitikern in Deutschland

   Bisher haben wir mit dem BMJ und einigen Abgeordneten hierüber
   gesprochen. In den zuständigen Regierungskreisen scheint die Ansicht
   vorzuherrschen, der vorgeschlagene Art 28 eröffne genug Spielraum, um
   gravierende Nachteile zu vermeiden. Zugleich meint man, die
   Verhandlungen würden sich noch einige Jahre hinziehen.

   Es besteht offenbar die Gefahr, dass unsere Politiker die Probleme
   unterschätzen. Verträge wie das Hager Übereinkommen werden im übrigen
   von Juristen ausgearbeitet, und für die Juristenzunft ist
   Rechtsunsicherheit weniger ein Problem als eine Einkommensquelle. Wenn
   nicht eine laute öffentliche Reaktion hörbar ist, werden die Skeptiker
   innerhalb der Verhandlungsrunde vielleicht eher ruhig bleiben.

   Es ist auch zu bedenken, dass durch die Aussicht auf ein solches
   Abkommen schon jetzt ein Zugzwang hin zu diesem Abkommen entsteht.
   Denn auch wenn nur ein Teil der Staaten das Abkommen unterzeichnet,
   wird es auf die ganze Welt eine Sogwirkung entfalten. Politik wird
   häufiger durch solche Sogwirkungen und "Sachzwänge" als durch aktive
   und bewusste Willensbildung bestimmt.

Weitere Lektüre

     * [33]Dokumentation von cptech.org (amerikanische
       Verbraucherschutzorganisation)
     * [34]Analyse von Cptech.org
     * [35]Mitglieder der Verhandlungsrunde
     * [36]Informationen des US-Patentamtes
     * [37]FFII-Nachricht 2000-12-16: Weltweiter Enteignungswettbewerb
       durch Haager Übereinkommen?
     * [38]Diskussionsverteiler über Wirtschaftsrecht und das Haager
       Übereinkommen
     * [39]Eurolinux-Seite zum Haager Übereinkommen
     _________________________________________________________________

Verweise

  33. http://www.cptech.org/ecom/jurisdiction/hague.html
  34. http://www.cptech.org/ecom/jurisdiction/whatyoushouldknow.html
  35. http://www.hcch.net/e/members.html
  36. http://www.uspto.gov/web/offices/com/sol/notices/prdrconjud.html
  37. http://swpat.ffii.org/vreji/minra/ffii.org/archive/mails/neues/2000/Dec/0002.html
  38. http://lists.essential.org/mailman/admin/hague-jur-commercial-law/
  39. http://petition.eurolinux.org/hague/index.html