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patentanwaltlicher Technikfrust und gutachterliche Luegen



> Die von Ihnen unten verfolgte Diskussion ist m. E. eine andere
> Baustelle (ich nenne sie "Technizität allgemein") als die bisher
> insbes. mit Herrn Pilch geführte (die ich "Technikdefinitionsfrust"
> nennen will). Verstehe ich Sie richtig, daß Sie die Definiererei nicht
> vorrangig interessiert? Dann hätten wir etwas gemeinsam.

Dass Sie beim Nachvollziehen der bekannten Technik-Definitionen Frust
empfinden, kann ich verstehen.

> Ihr Vorgehen bzw. Beispiel unten geht, wenn ich es richtig verstehe,
> an der Patentpraxis vorbei, oder zumindest weiß ich nicht, wie ich es
> auf die Patentpraxis lesen soll. Soweit sich in einer Patentanmeldung
> die Fragen der Technizität, der Neuheit und der erfinderischen
> Tätigkeit stellen, sind diese alle in Ansehen des Patentanspruches 1
> zu beantworten, weil der definiert, was patentiert werden soll.

Falsch.
Man lese das "Lehrbuch des Patentrechts"

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/krasser86/

Patentanspruch 1 ist moeglicherweise schlecht formuliert.
Als Patentpruefer muss ich hinter die "sprachliche Einkleidung" blicken
und die in Anspruch 1 enthaltene technische Lehre herausschaelen, bevor
ich etwas beurteilen kann.

> Wie würde Ihr Anspruch 1 des Beispiels unten lauten? Vielleicht "1.
> Kfz mit einem Sitz rechts und/oder hinten" oder "1. Verfahren zur
> Benutzung eines Kfz, bei dem sich ein Insasse hinten und/oder rechts
> hinsetzt". Diese Ansprüche wären auf Technizität UND Neuheit UND
> erfinderische Tätigkeit zu prüfen. M. E. wäre ein sachgerechtes
> Ergebnis: Beide Versionen haben technischen Gehalt (erstere sicher
> (Anm. für Herrn Pilch: auch wenn das in der Garage stehende Auto keine
> Materie wandelt), letztere etwas fraglich (Anm. für Herrn Pilch:
> zumindest aber nach der ffii-Definition müßte es technisch sein, denn
> beim Hinsetzen wird Materie gewandelt, indem die Sitzpolster etwas
> einsinken, was mein Steiß als vorteilhaft empfindet)), aber sterben
> würden beide Anspruchsversionen jedenfalls an mangelnder Neuheit.
> Fazit: Die unterschiedlichen Fragen werden durchaus sequentiell
> geprüft, aber immer in Ansehen desselben Gegenstandes, nämlich dem des
> Anspruches 1.

Es muss ein und die gleiche Lehre sowohl auf Technizitaet als auch auf
Neuheit und Nichtnaheliegen geprueft werden.

> Vielleicht meinen Sie folgendes: In einem Patentanspruch 1 stehen
> Merkmale A und B drin. A wird zur Begründung der Technizität
> herangezogen, ist aber ein alter Hut, während B zur Begründung der
> erfinderischen Tätigkeit genommen wird, ist aber untechnisch. Im
> gestrigen Beispiel wäre evtl. A der naturkräftig ratternde
> 0-8-15-Computer , B die Formel "2+2=4" (womit man zwar VERSUCHEN kann,
> Erfindungshöhe zu begründen, damit aber SCHIFFBRUCH erleiden wird,
> weil 2+2=4 bekannt ist, auch als im Rechner implementiert).

A kann nicht zur Begruendung der Technizitaet herangezogen werden, wenn es
nicht gleichzeitig neu und nichtnaheliegend ist.

So wird es im Lehrbuch des Patentrechts von Krasser, im PatG-Kommentar von
Benkard sowie in zahlreichen Urteilen von BGH und BPatG sowie im
Schrifttum erklaert.

Dass inzwischen das EPA und der BGH davon abweichen, brauchen Sie uns
nicht gesondert zu erklaeren.  EPA und BGH tun damit etwas, was nach
Krassers glasklarem und konsistentem Erklaerungssystem als ungesetzlich
(im Rahmen der geltenden Gesetze nicht zulaessig) definiert wird.  Das EPA
gab dies auch indirekt dadurch zu, dass es eine Gesetzesaenderung
forderte.

Es kann vorkommen, dass Gerichte Gesetz verletzen und dass eine auf
gesetzeswidrige Urteile gegruendete Praxis einreisst.  In diesem Falle ist
diese Praxis unsystematisch, und es gibt dafuer viele einander
widersprchende Erklaerungen.  Ihre ist eine davon.  Andere liefern
Tauchert, Melullis, Schmidtchen, Schar, Horns und zahlreiche andere
Schreiber.  Die meisten Theorien dieser Schreiber sind konsistenter als
die des Herrn Pfeiffer, der sich hier wohl ein Forum relativ
rechtsunkundiger Informatiker aussucht, um idiosynkratische Theorien
loszuwerden, die niemanden interessieren.

Fuer dieses Forum waere es allenfalls von Interesse, wenn jemand erklaeren
koennte, warum die Lehre von Krasser 1986 / Benkard 1988 / Kolle 1977 usw
das Gesetz unzureichend erklaeren oder sonstige Unzulaenglichkeiten
aufweisen koennten.  Bisherige Versuche, dies zu behaupten, blieben immer
sehr nebuloes.  So sprach Horns im Lutterbeck-Gutachten von einem
"gewandelten Erfindungsbegriff" und aeusserte mit anderen zusammen die
Befuerchtung, dem Patentwesen koennten zu viele wirtschaftlich bedeutende
Neuerungen durch die Lappen gehen.  Dieses Argument ist aber uralt: seit
spaetestens 1959 aktenkundig.  Krasser erklaert 1986 ausfuehrlich, warum
es nicht als Rechtfertigung fuer eine Aufweichung des
Technik/Erfindungsbegriffs akzeptiert werden kann.  Die damalige Weisheit
hat sich seitdem durch neuere Erfahrungen nur noch bestaetigt und
verstaerkt.  Der Frust mit dem Technikbegriff hat immer nur zugenommen.
Er liegt aber nicht in etwaiger Unschaerfe dieses Begriffs begruendet
sondern in dem fuer gewisse Patentanwaelte (und vielleicht manche
patentgeile Firmen) unangenehmen praktischen Auswirkungen.

Ich kann nur immer wieder energisch gegen die Versuche von interessierter
Seite protestieren, uns im Vertrauen darauf, dass wir kein Lehrbuch
des Patentrechts gelesen haben, einen Baeren aufzubinden.

Was Sie und andere betreiben, ist pure Desinformation.  Ein Missbrauch von
Experten-Autoritaet, und in Faellen wo, wie etwa bei PA BEtten geschehen,
diese Experten-Autoritaet durch vom Staat bezahlte Gutachten angefragt
wird, in hohem Masse kriminell.  Ob das strafbar ist, kann ich leider
mangels StGB-Kenntnissen nicht beurteilen, aber irgendwie muss es das m.E.
sein.  Zumindest ist es Missachtung des Gerichts.  Irgendwo hoert das
Rotzbengel-Benehmen auf, welches man sich auf Mailinglisten und in
Patentbewegungs-Kongretationen vielleicht noch leisten zu koennen glaubt.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
79100 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/