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Grundkurs Technizität
- To: apfeiffer@beetz.com
- Subject: Grundkurs Technizität
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Fri, 8 Jun 2001 17:43:22 +0200 (CEST)
- Cc: debate@fitug.de, swpat@ffii.org
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
PA APfeiffer antwortete Xuan:
> >Dies ist reinste Logik, die unabhängig von Naturphänomenen gilt.
> Sehe ich anders: RSA ist ein menschgemachtes Artefakt, das einer
> Implementierung bedarf und das mit Mathe aus einem nachweisbaren A
> ein nachweisbares B macht.
Im
Lehrbuch des Patentrechts
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/krasser86/
lasen Sie dazu:
Vom Programm zu unterscheiden ist der ihm stets zugrundeliegende
Algorithmus als Rechen- oder Organisationsregel, deren schematische
Befolgung die Lösung gleichgelagerter Aufgaben erlaubt. Ihm fehlt
laut BGH der technische Charakter, wenn, wie meist (wegen Ausnahmen
vgl. unten 5), die durch ihn gegebene Problemlösung fertig ist,
ohne des Einsatzes beherrschbarer Naturkräfte außerhalb der
menschlichen Verstandestätigkeit zu bedürfen. Die Rechen- oder
Organisationsregel wird nicht dadurch zu einer technischen, dass
bei ihrer praktischen Ausführung technische Mittel eingesetzt
werden, selbst wenn eine maschinelle Ausführung als zweckmäßig oder
allein sinnvoll erscheint oder sogar mit Hilfe der DVA ein
Herstellungs- oder Bearbeitungsvorgang mit bekanten
Steuerungsmitteln direkt beeinflusst wird. Vielmehr muss die
^^^^^^^^^^^^^^^^^
Verwendung technischer Mittel Bestandteil der Problemlösung sein;
^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
dafür genügt nicht, dass sie in steter Verknüpfung mit den zur
Durchführung zweckmäßig erscheinenden Mitteln dargestellt ist;
allgemein entscheidet nicht die sprachliche Einkleidung sondern der
sachliche Gehalt der beanspruchten Lehre, also die Frage, auf
welchem Gebiet ihr erfinderischer Kern liegt. Dabei genügt es
nicht, dass die Anwendungsergebnisse technisch (oder technisch
verwertbar) sind; auch wird ein Rechenverfahren nicht dadurch zu
einem technischen, dass es ein bisher benutztes technisches
Verfahren überflüssig macht.
Durch diesen Technikbegriff gelang es den Gerichten bis 1986 und
darüber hinaus, das Gesetz widerspruchsfrei und, soweit ich sehen
kann, sachgerecht auszulegen.
Wenn Sie das "anders sehen" wollen, müssen Sie begründen, welche
Probleme Sie in dem oben geschilderten Technikbegriff des EPÜ erkennen
und inwiefern Sie diese mit Ihrer neuen Sichtweise besser lösen.
Wenn Sie auf die Forderung des BGH verzichten, die Verwendung
technischer Mittel müsse Bestandteil der Problemlösung sein, entsteht
die Situation, vor der der
Dispositionsprogramm-Beschluss
http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bgh-dispo76/
warnt und die Sie in Kraßers Lehrbuch noch ausführlicher beschrieben
finden:
Einerseits eröffnen Sie "wesentlichen geistigen Leistungen von hohem
wirtschaftlichem Wert" den Zugang zur Patentierbarkeit, der politisch
erwünscht sein mag oder auch nicht.
Andererseits geben Sie den Technikbegriff auf, weiten die
Patentierbarkeit auf einen unübersehbar weiten Bereich aus und reden
einer gesetzeswidrigen Rechtsprechungspraxis das Wort.
Mit den Worten des Lehrbuchs:
Die Begrenzung des Patentschutzes auf das Gebiet der Technik hat
zur Folge, dass wesentliche geistige Leistungen von hohem
wirtschaftlichem Wert unberücksichtigt bleiben.
So pflegen das Erarbeiten des Lösungsprinzips, das einem
Computerprogramm zugrundeliegt, seine Umsetzung in Programmvorstufe
wie Ablaufplan oder Datenflussplan und schließlich das
maschinenlesbare Programm selbst beträchtlichen Aufwand zu
erfordern. ...
Der BGH lehnt es freilich ab, auf das Erfordernis des technischen
Charakters zu verzichten.
Es bilde das einzig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber
anderen eistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz
weder vorgesehen noch geeignet sei. Das PatG sei nicht als
Auffangbecken für den Schutz aller sonst nicht begünstigten
geistigen Leistungen, sondern als Spezialgesetz für den Schutz
eines umgrenzten Kreises geistiger Leistungen gedacht.
Durch Ausehnung des Technikbegriffs den Anwendungsbereich des
Patentschutzes zu erweitern, hält der BGH ebenfalls nicht für
richtig.
Werde zu den Naturkräften, deren planmäßiger Einsatz die Technik
kennzeichnet, auch die menschliche Verstandestätigkeit als solche
gerechnet, so müsse -- bei kausaler Übersehbarkeit -- jede
Anweisung zu planmäßigem Handeln als technisch angesehen werden.
Damit werde der Patentschutz geistigen Leistungen eröffnet, deren
Wesen und Begrenzung nicht zu erkennen und nicht zu übersehen sei.
Auch im Schrifttum wird auf die Abgrenzungsfunktion des
Erfordernisses technischen Charakters hingewiesen.
Im Falle seiner Lockerung werde Schritt für Schritt allen Lehren
für verstandesmäßige Tätigkeit der Patentschutz eröffnet; hiergegen
bestünden Bedenken insbesondere wegen der Freihaltebedürfnisse in
Bezug auf Arbeitsergebnisse und Methoden der Betriebswirtschaft
(für Management, Organisation, Rechnungswesen, Finanzierung,
Werbung, Marketing usw.), die von allen Wirtschaftsunternehmen
benötigt würden, und auf Algborithmen, wie sie Computerprogrammen
zugrundeliegen. ([116]Kolle 1977)
Auf der anderen Seite wird eine Überprüfung des Ausschlusses
nichttechnischer Handlungsanweisungen verlangt, da er vorwiegend
historisch bedingt und nicht mehr zeitgemäß sei. ([117]Beier 1972,
Wertenson GRUR 1972, 60ff und vgl auch A. Troller, Ist der
immaterialgüterrechtliche "Numerus clausus" der Rechtsobjekte
gerecht? in: Jus et Lex, Festgabe für M. Gutzwiller, Basel 1959, S.
769-786 (772ff, 780))
Für das geltende Recht wird es bei der vom BGH bekräftigten
Begrenzung des Patentschutzes auf technische Erfindungen sein
Bewenden haben müssen. Neben der ausdrücklichen Regelung in §1 Abs
2 PatG und Art 52 Abs 2 EPÜ erlaubt es auch die bestehende
institutionelle und organisatorische Ausgestaltung des
Patentwesens, die durchweg auf das Gebiet der Technik zugeschnitten
ist, nicht, hierüber durch richterliche Rechtsfortbildung
hinauszugehen.
Eine gesetzgeberische Fortentwicklung hätte jedenfalls daran
festzuhalten, dass Ausschlussrechte von nicht übersehbarer
Tragweite vermieden werden müssen; mindestens Entdeckungen,
wissenschaftlichen Theorien und mathematischen Methoden müsste
deshalb der Patentschutz verschlossen bleiben.
--
Hartmut Pilch http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation: http://swpat.ffii.org/
79100 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/