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Re: Grundkurs Technizität vs. Archäologie



Ihre Äußerung unten ist nicht Grundkurs, sondern, etwas vergröbert ausgedrückt, Archäologie.
Natürlich weiß ich, daß der BGH die unten zitierte Rechtsprechung hatte. Kraßer zitiert sie in
seinem Buch aus 1986. Mir ist dies alles bewußt. In einem heute verfaßten Buch werden andere
Urteile zitiert und Meinungen vertreten, ich zitiere 'mal aus Schult, 5. Auflage (1994):

ƒ 1, Rdn. 26:
Technizität setzt die "planmäßige Benutzung von Naturkräften [voraus], die im weitesten Sinne zu
verstehen sind; dazu zählen auch biologische Kräfte, nicht aber die menschliche
Verstandestätigkeit ..."

ƒ 1; Rdn. 28:
"Lehre aus technischen und nichttechnischen Merkmalen ist vom Patentschutz nicht ausgeschlossen
.. Entscheidend ist der Gesamtcharakter der Erfindung. Dabei kommt es nicht auf eine Gewichtung
der technischen und nichttechnischen Merkmale an ... es darf nicht der technische Kern der Lehre
isoliert gewertet werden ... Zur Anerkennung der technischen Natur reicht es nicht aus, daß die
Verwendung technischer Mittel zweckmäßig oder sinnvoll ist, sie muß vielmehr notwendig sein ..."

Wenn Sie den aktuellen Status (in Form eines kleinen Kurses ...) darlegen wollen, dann sollten Sie
(1) Ihre Nase in einigermaßen frisches Schrifttum stecken,
(2) dort jeweils ALLES lesen, und
(3) wissen, wie das Gelesene, egal ob alt oder neu, zu verstehen ist.
Warum tun Sie das nicht? Von jemandem, der sich als Kursleiter geriertm kann man das verlangen.
Zumindest (1) und (2) müßte doch gehen, oder? Es bleibt ihnen doch dann immer noch unbenommen,
sich etwas anderes zu wünschen.

Aber Ihr Grundproblem verstehe ich: Sie MÜSSEN das Recht als auf Ihrer Seite stehend darstellen,
denn dadurch bekommen Sie einen gewaltigen Legitimitätsschub. Ansonsten würde man ja den
Unterschied zu einem banalen Lobbyisten nicht wahrnehmen.

AP
-------- Original Message --------
Subject: Grundkurs Technizität (8-JUN-2001 19:00)
From:    phm@a2e.de
To:      apfeiffer@beetz.com

PA APfeiffer antwortete Xuan:

> >Dies ist reinste Logik, die unabhängig von Naturphänomenen gilt.

> Sehe ich anders: RSA ist ein menschgemachtes Artefakt, das einer
> Implementierung bedarf und das mit Mathe aus einem nachweisbaren A
> ein nachweisbares B macht.

Im

        Lehrbuch des Patentrechts
        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/krasser86/

lasen Sie dazu:

     Vom Programm zu unterscheiden ist der ihm stets zugrundeliegende
     Algorithmus als Rechen- oder Organisationsregel, deren schematische
     Befolgung die Lösung gleichgelagerter Aufgaben erlaubt. Ihm fehlt
     laut BGH der technische Charakter, wenn, wie meist (wegen Ausnahmen
     vgl. unten 5), die durch ihn gegebene Problemlösung fertig ist,
     ohne des Einsatzes beherrschbarer Naturkräfte außerhalb der
     menschlichen Verstandestätigkeit zu bedürfen. Die Rechen- oder
     Organisationsregel wird nicht dadurch zu einer technischen, dass
     bei ihrer praktischen Ausführung technische Mittel eingesetzt
     werden, selbst wenn eine maschinelle Ausführung als zweckmäßig oder
     allein sinnvoll erscheint oder sogar mit Hilfe der DVA ein
     Herstellungs- oder Bearbeitungsvorgang mit bekanten
     Steuerungsmitteln direkt beeinflusst wird. Vielmehr muss die
                                                ^^^^^^^^^^^^^^^^^
     Verwendung technischer Mittel Bestandteil der Problemlösung sein;
     ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
     dafür genügt nicht, dass sie in steter Verknüpfung mit den zur
     Durchführung zweckmäßig erscheinenden Mitteln dargestellt ist;
     allgemein entscheidet nicht die sprachliche Einkleidung sondern der
     sachliche Gehalt der beanspruchten Lehre, also die Frage, auf
     welchem Gebiet ihr erfinderischer Kern liegt. Dabei genügt es
     nicht, dass die Anwendungsergebnisse technisch (oder technisch
     verwertbar) sind; auch wird ein Rechenverfahren nicht dadurch zu
     einem technischen, dass es ein bisher benutztes technisches
     Verfahren überflüssig macht.

Durch diesen Technikbegriff gelang es den Gerichten bis 1986 und
darüber hinaus, das Gesetz widerspruchsfrei und, soweit ich sehen
kann, sachgerecht auszulegen.

Wenn Sie das "anders sehen" wollen, müssen Sie begründen, welche
Probleme Sie in dem oben geschilderten Technikbegriff des EPÜ erkennen
und inwiefern Sie diese mit Ihrer neuen Sichtweise besser lösen.

Wenn Sie auf die Forderung des BGH verzichten, die Verwendung
technischer Mittel müsse Bestandteil der Problemlösung sein, entsteht
die Situation, vor der der

        Dispositionsprogramm-Beschluss
        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bgh-dispo76/

warnt und die Sie in Kraßers Lehrbuch noch ausführlicher beschrieben
finden:

Einerseits eröffnen Sie "wesentlichen geistigen Leistungen von hohem
wirtschaftlichem Wert" den Zugang zur Patentierbarkeit, der politisch
erwünscht sein mag oder auch nicht.

Andererseits geben Sie den Technikbegriff auf, weiten die
Patentierbarkeit auf einen unübersehbar weiten Bereich aus und reden
einer gesetzeswidrigen Rechtsprechungspraxis das Wort.

Mit den Worten des Lehrbuchs:

     Die Begrenzung des Patentschutzes auf das Gebiet der Technik hat
     zur Folge, dass wesentliche geistige Leistungen von hohem
     wirtschaftlichem Wert unberücksichtigt bleiben.

     So pflegen das Erarbeiten des Lösungsprinzips, das einem
     Computerprogramm zugrundeliegt, seine Umsetzung in Programmvorstufe
     wie Ablaufplan oder Datenflussplan und schließlich das
     maschinenlesbare Programm selbst beträchtlichen Aufwand zu
     erfordern. ...

     Der BGH lehnt es freilich ab, auf das Erfordernis des technischen
     Charakters zu verzichten.

     Es bilde das einzig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber
     anderen eistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz
     weder vorgesehen noch geeignet sei. Das PatG sei nicht als
     Auffangbecken für den Schutz aller sonst nicht begünstigten
     geistigen Leistungen, sondern als Spezialgesetz für den Schutz
     eines umgrenzten Kreises geistiger Leistungen gedacht.

     Durch Ausehnung des Technikbegriffs den Anwendungsbereich des
     Patentschutzes zu erweitern, hält der BGH ebenfalls nicht für
     richtig.

     Werde zu den Naturkräften, deren planmäßiger Einsatz die Technik
     kennzeichnet, auch die menschliche Verstandestätigkeit als solche
     gerechnet, so müsse -- bei kausaler Übersehbarkeit -- jede
     Anweisung zu planmäßigem Handeln als technisch angesehen werden.
     Damit werde der Patentschutz geistigen Leistungen eröffnet, deren
     Wesen und Begrenzung nicht zu erkennen und nicht zu übersehen sei.

     Auch im Schrifttum wird auf die Abgrenzungsfunktion des
     Erfordernisses technischen Charakters hingewiesen.

     Im Falle seiner Lockerung werde Schritt für Schritt allen Lehren
     für verstandesmäßige Tätigkeit der Patentschutz eröffnet; hiergegen
     bestünden Bedenken insbesondere wegen der Freihaltebedürfnisse in
     Bezug auf Arbeitsergebnisse und Methoden der Betriebswirtschaft
     (für Management, Organisation, Rechnungswesen, Finanzierung,
     Werbung, Marketing usw.), die von allen Wirtschaftsunternehmen
     benötigt würden, und auf Algborithmen, wie sie Computerprogrammen
     zugrundeliegen. ([116]Kolle 1977)

     Auf der anderen Seite wird eine Überprüfung des Ausschlusses
     nichttechnischer Handlungsanweisungen verlangt, da er vorwiegend
     historisch bedingt und nicht mehr zeitgemäß sei. ([117]Beier 1972,
     Wertenson GRUR 1972, 60ff und vgl auch A. Troller, Ist der
     immaterialgüterrechtliche "Numerus clausus" der Rechtsobjekte
     gerecht? in: Jus et Lex, Festgabe für M. Gutzwiller, Basel 1959, S.
     769-786 (772ff, 780))

     Für das geltende Recht wird es bei der vom BGH bekräftigten
     Begrenzung des Patentschutzes auf technische Erfindungen sein
     Bewenden haben müssen. Neben der ausdrücklichen Regelung in ƒ1 Abs
     2 PatG und Art 52 Abs 2 EPÜ erlaubt es auch die bestehende
     institutionelle und organisatorische Ausgestaltung des
     Patentwesens, die durchweg auf das Gebiet der Technik zugeschnitten
     ist, nicht, hierüber durch richterliche Rechtsfortbildung
     hinauszugehen.

     Eine gesetzgeberische Fortentwicklung hätte jedenfalls daran
     festzuhalten, dass Ausschlussrechte von nicht übersehbarer
     Tragweite vermieden werden müssen; mindestens Entdeckungen,
     wissenschaftlichen Theorien und mathematischen Methoden müsste
     deshalb der Patentschutz verschlossen bleiben.


--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
79100 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/

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