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Re: Grober Konsens



Hi,

On Tue, 28 Aug 2001, Hauke Moeller wrote:

> Um mal Recktenwald-mäßig ein Gedankenbröckchen in die Runde
> zu werfen:
>
> Jede Rechtsordnung beruht letztlich auf einem »groben Konsens«
> über ihre Gültigkeit.

dieser Gedanke ist in der tat nicht neu. Was aber passierte bisher mit
Gruppen, die diese Gültigkeit einer bestimmten Ordnung in Frage stellten ?
so passiert mit den amerikanischen Bürgerkrieg, dem Französischen oder
auch der (naja, wollen wir sie mal so nennen) deutschen Revolution 1918/19
?! Viele waren erfolgreich, viele haben dafür bluten müssen.

Stets war die Praxis des "rechts" fern vom genannten ideal eines breiten
Konsens.

Beispiel:

Töten ist unrecht. Punkt. Aber: die Todesstrafe wird von großen Teilen der
Bevölkerung als "rechtens" empfunden, rein subjektiv natürlich. Die
Möglichkeit eines juristischen Fehlurteils wird garnicht in Erwägung
gezogen.

Das Rechtsgefühl war sicherlich auch bei vielen (ich sage klar: nicht
allen) Beschäftigten der Staatsorgane der DDR "Staatskonform".

Anders als in mittelalterlichen Gesellschaften, wo ungeschriebenes Recht
galt, also jeder nach seinem eigenen Rechtsgefühl vorging und bei
streitigkeiten der stärkste, der landbesitzer also, entschied, sind wir in
unserer Informationsgesellschaft heute verpflichtet, zwei unterschiedliche
rechtsbewusstsein mit uns herzutragen.

Beispiel:

Wenn ich einen Apfel klaue, dann habe ich ein Unrechtsbewußtsein. Ich habe
jemandem einen Gegenstand geklaut, der sein Überleben gesichert hätte.
Wenn ich diesen Apfel verkaufe/esse, dann tue ich damit demjenigen den
Schaden an, den dieser Apfel - von mir aus 1,29 DM - wert war.

Wenn ich Software kaufe, dann habe ich ein rechtsbewußtsein, daß diese
software mir gehört. folglich habe ich kein unrechtsbewußtsein, wenn ich
diese kopiere. wieso auch - es ist ja meine software.

etc.pp.

(Im Kapitalismus ist selbst Beispiel eins nichtig, wo Tonnen von
Lebensmitteln vernichtet werden, um den Profit zu erhalten während
Menschen sterben... (=>Grapes of Wrath, J.Steinbeck) )

Das eine ist unser gefühl. Es ist der kulturkreis, in dem wir aufgewachsen
sind, in dem wir leben. Die Erziehung gibt jedem ein Wertesystem mit,
auf dem dieses Rechtsgefühl basiert.

Das andere ist geschriebenes Recht. Es war mal ein Versuch, die
Strukturen, die bestanden, einheitlich und objektiv festzuhalten um
persönliche entscheidungen und willkürherrschaft zu vermeiden. Das war
positiv. Heute ist verbrieftes Recht eher der Versuch, der Gesellschaft
Strukturen aufzulegen, die eine bestimmte Gruppe - seien es Menschen,
Firmen, Staaten etc. - stärkt oder schwächt.

Dies unterscheidet sich grundlegend vom ersten. Das Erste erlaubte den
Menschen koexistenz, wirtschaft, wachstum, entwicklung - das Zweite
verhindert selbiges. (=> Patentrechte, DMCA, Kopierschutz,
Softwarelizenzen etc.)

Früher war Recht da, um friedliche Koexistenz zu sichern. Und selbst die
Landherren - wenn sie nicht komplett schwachsinnig waren - haben die
Steuern so hoch gemacht, daß sie den Schutz der Bauern sichern konnten,
nicht höher - das wäre ja ein Schnitt ins eigene Fleisch. Auch damals gabs
Volksaufstände. (==> Falls ich rhabarber spreche, korrigiere mich jemand
;)

> Die Hauptprobleme des Gesellschaftsvertrags:

(...)

Naja, ein Vertrag sagt aus, was passiert, wenn man sich nicht an ihn hält,
wer darüber zu wachen hat, daß sich die beteiligten parteien an ihn halten
und wer die parteien sind. Wäre unser Recht in einer Volksbefragung
entstanden und würden sämtliche Gesetze vom Bürger entschiden (->
schweiz), dann läßt sich das auch als Gesellschaftsvertrag darlegen. (=>
Basisdemokratie).

> - Davon abgesehen: Es gibt Individuen, die die Rechtsordnung nicht
>   akzeptieren. Man kann unterstellen, daß sie auch den fiktiven
>   Gesellschaftsvertrag nicht mit abgeschlossen hätten. Wie
>   rechtfertigt sich der Anspruch, daß auch diese sich an das Recht
>   halten?

Ursprünglich hatten Sie die Wahl, aus dem Staate auszuwandern, sich ein
Fleckchen Erde zu suchen, ihren eigenen Staat zu gründen und glücklich zu
werden. (=> Amerika ;)

Leider Leider gibt es die möglichkeit heute nicht mehr (=> Sealand) oder
nur begrenzt. BTW: wer legt zusammen, um eine Insel zu kaufen und ein
_echt_unabhängiges_echt_soziales_echt_funktionierendes Staatssystem
aufzubauen ? <g>

> - Schließlich: Ein Vertrag ist eine verbindliche
>   Vereinbarung. Verbindlich sind Verträge, wenn eine Rechtsordnung
>   ihre Verbindlichkeit vorschreibt. Woher kommt die Verbindlichkeit
>   des ersten Vertrages?

siehe oben.

> akzeptiert wird. Zum Beispiel sehen heutige Rechtsordnungen eine höchste
> Gerichtsinstanz vor, die keiner weiteren Rechtsaufsicht
> unterliegt. Das funktioniert nur, wenn das höchste Gericht das Recht
> als gültig ansieht (oder wenigstens nicht allzu offen mißachtet).

Auch das ist nicht ganz wahr, denn die Regierung ist nicht gezwungen, sich
an die Entscheidungen des BGH zu halten (=> Siehe Marihuanaurteil von
1994, http://www.kimwillkiffen.de/content/prozess/index.htm)

> Die Positivität des Rechts ruht daher in letzter Linie immer aus der
> Ü b e r z e u g u n g von seiner Gültigkeit. Auf dieses rein
> subjektive Element baut sich die ganze Rechtsordnung auf. Das ergibt
> sich als notwendige Folge der Erkenntnis, daß das Recht in uns steckt,
> eine Funktion der menschlichen Gemeinschaft ist und daher auf rein
> psychologischen Elementen ruhen muß¹)

genau. Daher muß ja der Versuch, Gesetze durchzudrücken, die gegen das
Gefühlsmäßige Recht der Bevölkerung verstossen eigentlich dem Tode geweiht
sein. Ist er aber nicht !? Warum ? Weil die Gesetze heute nicht mehr dem
psychologischen Rechtsbewußtsein entspringen. Diese Felder sind sowieso
weitgehend abgedeckt. Sie entspringen eher einer profitorientierten
Phantasie, die so virtuell ist, daß sie sich dem Verständnis des Großteils
der Bevölkerung entschwindet. Ein Bildleser interessiert sich wenig für
die Hintergründe. ;)

>   verurteilt wurden, schwerlich als Recht empfunden. [...] Der Jurist
>   allerdings kann mit diesem Widerstreit nicht rechnen, solange er sich
>   auf einen geringen Kreis von Personen und vereinzelte Fälle
>   beschränkt. [...]«

Wer bestimmt, wie gering der Kreis sein darf ? Ist eine Absolute Mehrheit
ausreichend ?

> Jellinek arbeitet also (in der berühmten »Inquisitions-Fußnote«) mit
> der Formulierung von der Ȇberzeugung des Durchschnittes eines
> Volkes«. M.E. trifft »grober Konsens« deutlich besser, worauf es
> ankommt. Wer hat diesen Begriff eigentlich aufgebracht? Ist er im Netz
> entstanden, oder ist er dort nur »zu Blüte gebracht« worden? Gibt es
> brauchbare soziologische Abhandlungen über das Phänomen?

würde ich davon ausgehen. www.google.com befragt ?

> Hauke

Grüße,

Djenia <-- mal wieder was bei fitug gepostet ;)