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Re: Moderation



Sehr geehrter Herr Türpe,
(Hallo Frau Karay)

At 21:47 22.08.01 +0200, you wrote:
>Johann Bizer schrieb:
>
> > (Einige Beiträge in diesem fitug-Forum mit dem Tenor "Ich bin das Volk-
> > sollen die doch zu mir kommen") lassen erkennen, dass selbst jüngere
> > Nutzerkulturen lieber konservativ innerhalb ihres Jägerzauns mit den
> > Pantoffeln an den Füssen sitzen bleiben. So genau will man es dann doch
> > nicht wissen. Überspitzt formuliert könnte man diese Haltung auch als
> > "virtuelles Privatisieren" bezeichnen.
>(...)
> > Im übrigen bin ich gespannt, wann ich Ihre ersten Beiträge im Forum finde.
> > Manchmal muss man einfach den Punkt finden, zu dem man aufhört über die
> > Sache formal zu reden, man muss sie inhaltlich voran bringen.
>
>Mit solchen Sätzen läßt sich trefflich Kritik unterdrücken,

Das ist doch bodenloser Unsinn. Während Kollege Schaaf ein paar Beiträge 
vorher herausgefunden hat, dass ich etwas als Moderation bezeichne, was in 
seinem Sinn - und er meint auch im Sinne Ihrer Liste - keine Moderation 
sei, wärmen Sie nun wieder diesen "Unterdrückungs-Käse" auf.
Kurz: Erst Lesen - dann Schreiben. - gilt für Mailinglisten ebenso wie für 
Webforen. ;-)

Jetzt setzen Sie doch mal diesen Hut von den verfolgten Unterdrückten ab.
Der Widerspruch zwischen "Wir sind das Volk" (zugegeben immerhin "einer" 
aus dem Volk) und
Ihrem "Unterdrückungsgestus" geht doch völlig an der Sache vorbei. Das sind 
doch

>weil sie
>den Kritikern -- und zwar jedem einzelnen -- einen Schwarzen Peter zu-
>schieben, welcher sich nur schwer auf glaubwürdige Weise wieder los-
>werden läßt. Das ist freilich auch schon alles, denn am Problem geht
>das haarscharf vorbei.

Nein - es trifft aus meiner Sicht das Problem genau.
Teilnehmer dieser Liste sind der Ansicht, wenn die MdB etwas von Ihnen 
wollten,
mögen diese doch bitte zu Ihnen kommen - also Ihre Kommunikationsrituale 
übernehmen und Ihre Sprache lernen.

Mit einem gewissen Recht können Sie auf die Authentizität Ihrer 
Diskussionskultur stolz sein - aber
warum meinen Sie, dass sich alle anderen auf diese formal und inhaltlich 
einlassen müssen ?

Genau dies ist das Problem, das ich mit dem Argument vom "virtuellen 
Privatisieren" bezeichnet habe.


>Zur Erinnerung: Am Anfang dieser Debatte, die inzwischen weitgehend
>auf einen Nebenschauplatz abgedriftet ist, stand eine Beobachtung sta-
>tistischer Natur -- kein Schwein beteiligt sich an dem, was eine "neue
>Ära der Transparenz einläuten" [1] sollte. Wer daran ernstlich etwas
>ändern möchte, kommt mit rhetorischen Aufforderungen an Diskussionsgeg-
>ner nicht weiter; Ursachenforschung ist angesagt. Schließlich ist der
>Souverän zu einigen Millionen online, so daß ein paar pantoffelfüßige
>Verweigerer kaum für die mangelnde Resonanz ausschlaggebend sein können.
>Zumal von einem generellen Desinteresse des Netzvolkes am Diskutieren
>schlechthin wie auch am speziellen Thema keine Rede sein kann.


Ja- gut dass Sie zu dem Ausgangspunkt zurückkommen.

Mögliche Gründe habe ich selbst bereit benannt  - andere haben sind in 
dieser Debatte hinzugekommen (noch mal vielen Dank).
* Technische Unzulänglichkeiten wie
++ Performance
++ Quickplace mit Java (übrigens aber nicht das Forum)
++ Schlechtes Design
++ Unübersichtlichkeit
++ Falsche Form (spezielle in Ihrer Liste wird usenet/mailinglist etc. 
favorisiert etc.)
++ Fehlende Offenheit der Themen (ein Einwand, mit dem ich mich im Forum 
mehrfach auseinandergesetzt habe)
++ Misstrauen gegenüber Moderator

Aber: Aus meiner Sicht ist ein Urteil hierüber noch viel zufrüh.
Das Forum läuft gerade mal fünf Wochen und das in der Sommerpause des 
Parlaments.


>Daß ausgerechnet die Newsgroups des Usenet als Gegenentwurf angeführt
>wurden, kommt nicht von ungefähr und ist auch nicht in erster Linie man-
>gelndem Verständnis für das Zeitbudget unserer Abgeordneten geschuldet.
>Das Usenet ist vielmehr eines der prominentesten funktionsfähigen Kommu-
>nikationskonzepte im Netz, funktionsfähig nicht nur in technischer Hin-
>sicht. Dort diskutieren tatsächlich Menschen miteinander, Tag für Tag,
>seit vielen Jahren schon. Weitere Beispiele lassen sich anführen, etwa
>die Diskussionsforen des Heise-Verlags [2] oder die amerikanische Site
>Slashdot [3], beide aus Sicht eines Usenet-Puristen "böse", aber den-
>noch gut besucht und intensiv genutzt.

Ich fühle mich mit dem Verdikt "Usenet-Puristen", der diese foren als 
"böse" ansieht,  nicht angesprochen. Das stimmt definitiv nicht. Bitte 
lesen Sie meine Auseinandersetzung mit Herrn Heiko Recktenwald nach. Ich 
hatte auf seine Frage das Konzept gegenüber bereits erläutert.
Aus meiner Sicht übersehen Sie, dass die von Ihnen 
benannten  Diskussionsforen geeignet sind für Menschen einer homogenen 
Diskussionskultur. Das hat auch etwas mit den dahinter liegenden 
Kundenbindungsstrategien (bspw. bei Heise) zu tun. Wenn so etwas beim 
Bundestag aufgehängt ist,
dann sieht das schon etwas anders aus. Wir können uns kein "communication 
devide" leisten.


>(...) So unbe-
>rechtigt ist die Frage also nicht, warum es denn so ein seltsames Web-
>forum sein muß.

Natürlich nicht - meine Diskussionsbeiträge in dieser Liste zeigen ja wohl 
hinreichend,
dass ich versuche, von Ihrer Perspektive und Ihren Erfahrungen zu lernen.
(ein anderes Problem, dass ich aber nur andeuten kann, ist das der Umsetzung.
In komplexen Strukturen mit zahlreichen Zuständigkeiten


>Hier geht es
>nicht einfach darum, eine Maschine bedienbar zu machen oder Informa-
>tionen bereitszustellen, sondern darum, die Interaktion zwischen meh-
>reren Benutzern zu erleichtern und zu fördern.

Zustimmung - Euer Ehren.

>Heißt übersetzt und angewandt: Wenn Bürgerbeteiligung gewünscht ist,
>sind die Bürger der Maßstab und nur sie. Insofern treffen die oben
>zitierten Sätze denn doch den Kern des Problems. Von Einzelnen ausge-
>sprochen und auf sich selbst bezogen mag die Forderung unverschämt
>erscheinen, aber wenn man erfolgreich sein will statt nur Kritik mit
>rhetorischen Kunstgriffen abzuwehren, kommt man um sie nicht herum.


>Mag sein, daß "man sich als Bürger auch ein Stück weit auf die Arbeit
>des Parlaments einlassen muss", aber zentraler Ansatz für solch ein
>Projekt taugt diese Forderung kaum. Sicher ist auch die Anbindung an
>die Strukturen des Bundestages und die Arbeitsweise der Abgeordneten
>wichtig, aber die Rollen sind doch durchaus klar verteilt. Es ist die
>verdammte Pflicht eines Volksvertreters, sich ein Bild von den Mei-
>nungen und Ansichten der Vertretenen zu machen.

Nett gepredigt, Herr Türpe. Und jetzt drohen Sie bestimmt gleich mit 
Liebesentzug.



>Es genügt eben nicht als "Benefit", als Vorteil oder Nutzen, daß da
>irgendwie der Bundestag mitmacht. Dies ist ein schwacher, ein sehr
>schwacher Motivator, dessen alleinige Wirkung selbst bei technischer
>Perfektion äußerst beschränkt bliebe. An Abgeordnete schreiben kann
>man schließlich auch ganz ohne Internet;

Natürlich - aber es liest halt sonst keiner.

>So ist etwa den erfolgreichen Many-to-many-Kommunikationsmedien im Netz
>gemein, daß sie fortwährend neue Anregungen und Anknüpfungspunkte bie-
>ten. Ob Usenet, Heise oder Slashdot, wer jeden Tag reinschaut findet
>jeden Tag Neues, und dieses Neue springt ihn förmlich an, gleich auf
>der Einstiegsseite bzw. nach dem Start der Software. Damit werden re-
>gelmäßige Besuche attraktiv, denn wer täglich reinschaut, wird nie
>enttäuscht und muß auch nicht viel Zeit aufwenden, um sich zumindest
>einen groben Überblick zu verschaffen. Und wer etwas gelesen hat, kann
>darauf dann unmitelbar re- agieren, was die Hemmschwelle verringert und
>das Äußern von Gedanken insgesamt einfacher macht, weil ein klarer Be-
>zug gegeben ist. Zudem verstärkt jede Reaktion die anfängliche Anregung,
>weil sie ihrerseits Reaktionen provozieren kann. Das bedeutet abger kei-
>neswegs, daß man mit ein wenig Text einen Selbstläufer generieren kann,
>denn irgendwann werden Threads uninteressant oder auch einfach unüber-
>sichtlich.  Spätestens dann ist eine neue Anregung nötig. Im Usenet
>funktioniert das aufgrund der Nutzerzahl und wegen der Regel, daß Fo-
>ren nur für bereits stattfindende Diskussionen eingerichtet werden. Bei
>Heise und Slashdot werden aktuelle Nachrichten und Artikel als Aufhänger
>und Anregung benutzt.

Volle Zustimmung. Die von Ihnen genannten Foren sind die Graswurzel der 
elektronischen Willensbildung von unten. Das Projet e@demokratie will 
hierzu kein Ersatz sein.
Es verfolgt ein anderes Ziel vor dem Hintergrund eines Problems, dass die 
von Ihnen genannten Foren nicht lösen können - nämlich den Link zwischen 
verschiedenen Diskussionskulturen.

Wenn es bspw. darum geht die eine "Diskussionskultur BTag" mit der
Diskussionskultur Ihres Forums zu verlinken, dann fällt Ihnen auch nicht 
mehr ein als
von der "Pflicht des Abgeordneten" (s.o.) zu reden. Sie unterschätzen, dass 
auch MdB bei begrenztem Zeitbudget in festen Wahrnehmungsritualen der 
klassischen Medien stecken.
Möglicherweise kann das Webforum und der Moderator hier eine 
Brückenfunktion anbieten?

Die Überlegung der "Aufhänger" versuchen wir mit den Themen.
Diese werden mit der Befassung des BTages mit laufenden Gesetzgebungsvorhaben
entscheidungsnäher.


>Im Projekt E-Demokratie hingegen finden sich verstaubte Grußworte der
>Bundestagsfraktionen und direkt beantworten kann man sie ebensowenig
>wie jene Texte, die als Diskussionsanregung gedacht sind.

Ja, das ist wirklich ärgerlich.

Johann Bizer
Dr. Johann Bizer
E-Mail: bizer@elektronische-demokratie.de	

Moderator des Informations- und Kommunikationsangebotes 
http://www.elektronische-demokratie.de	
des Unterausschusses „Neue Medien“ des Deutschen Bundestages .

Das Angebot ist Gegenstand eines von der Universität Frankfurt am Main 
unter der wissenschaftlichen Projektleitung von Dr. Johann Bizer 
durchgeführten Forschungsprojekts. Untersucht und erprobt werden die 
Möglichkeiten,  Bürger und Bürgerinnen an der thematischen Arbeit des 
Parlaments zu beteiligen. Thematisch steht die Modernisierung des 
Informationsrechts im Mittelpunkt.

Wiss. Assistent am Institut für Öffentliches Recht
Universität Frankfurt am Main
http://www.jura.uni-frankfurt.de/bizer/	
Senckenberganlage 31
D-.60054 Frankfurt
069/798 22 777

Mitherausgeber DuD (Datenschutz und Datensicherheit)
http://www.dud.de