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Re: GUI-Patentkrieg Adobe ./ Macromedia



Ich schrieb:

> Laut http://www.adobe.com/adobefacts/pdfs/patent_5546528.pdf lautet
> der Hauptanspruch des Adobe-Patents:
> 
>         A method for combining on a computer display an additional set
>         of information into a group of multiple sets of information
>         needed on a recurring basis, comprising the steps of:
> 
>          establishing an area on the computer display in which the
>          group of multiple sets of information is to be displayed, the
>          area having a size which is less than the entire area of the
>          computer display;
> 
>          providing within the area a plurality of selection
>          indicators, one associated with a corresponding one of the
>          multiple sets of information; and
> 
>          selecting a second of the multiple sets of information from
>          the group for display within the area by activating a
>          selection indicator associated with a corresponding one of
>          the multiple sets of information, whereby the second of the
>          multiple sets of information is substituted within the area
>          of the display for the first set of information; and
> 
>          combining the additional set of information, displayed in a
>          different area of the display from the established area, into
>          the group of multiple sets of information so that the
>          additional sets of information may be selected in the same
>          manner as the other sets of information in the group.        

Das EPA hat das Patent mit genau dem gleichen Hauptanspruch am
2001-08-06 mit Priorität 1994-06-23 erteilt.  Als Zielstaaten sind DE
FR GB IT SE genannt.  Neben dem Hauptanspruch gibt es weitere 7
davon abhängige Unteransprüche, die allesamt Verfahren betreffen, also
das Verfahren nach dem Hauptanspruch mit leichten Variationen.
Erstaunlicherweise fehlt ein Anspruch auf ein
"Computerprogrammprodukt" oder ein "Computerprogramm".

Besonders ärgerlich an diesem Patent ist, dass es eine
Benutzeroberflächenidee betrifft und damit genau das durchsetzt, was
zuvor auf dem Wege des Benutzeroberflächenurheberrechts vor Gerichten
nicht durchgesetzt werden konnte.  Die US-Gerichte verweigerten in
diesen Fällen (Borland v. Microsoft, Apple v. Lotus) nicht etwa das
Urheberrecht, weil sie an der erforderlichen Schöpfungshöhe
zweifelten, sondern weil sie der Auffassung waren, dass
Benutzeroberflächen besonders schnell zu einem norm-ähnlichen
Allgemeingut werden und dass ihre Nachahmung legitim und wünschenswert
ist.  Erst durch Einführung von Softwarepatenten ist es gelungen, die
Balance zwischen Urheber und Allgemeinheit, die im traditionellen
Urheberrecht verankert war, auszuhebeln.  Das Patentrecht weist die für
diesen Zweck nötige Unflexibilität auf, da es aus einem anderen
Bereich (technischen Erfindungen) kommt.  Indem man es auf logische 
Ideen ausdehnt, kann man den Gegensatz zwischen Idee und individueller
Schöpfung, der im Urheberrecht über lange Zeit herausgearbeitet wurde, 
mit einem Handstreich aufheben.  Jetzt haben wir die Regel:

        Wenn es mit dem Urheberrecht nicht geht, versuch's mit dem
        Patentrecht.

Die 

        FAQ von Adobe 
        http://www.adobe.com/adobefacts/faq.html

drückt es schön aus:

 Q12: What is the difference between patent and copyright litigation? 

  A: Patents protect inventions. Copyrights protect the expression of
    ideas. 

Offenbar wird hier "inventions" und "ideas" austauschbar verwendet.
Von Technik und industrieller Anwendung keine Spur.  Auch beim EPA
werden diese Worte nur noch zu Zwecken des Etikettenschwindels
drangehängt.

 Q15: What is so unique about the Adobe tabbed palette patent? 

 A: Before this invention, the screen was cluttered with several palettes, 
    making it difficult for the user to efficiently use the workspace for design 
    purposes. This invention was a significant leap forward for customers' 
    productivity, creativity and personalization of the interface. 

Auch hier wird klar, dass die innovatorische Leistung darin besteht,
die Paletten hintereinander zu verstecken.  Die Innovation besteht
also im Erkennen der geometrischen Möglichkeiten der Raumaufteilung.
Eine typische "Anweisung an den menschlichen Geist", deren
"technischer Effekt" bei der Umsetzung auf einem Bildschirm sich von
selbst aus dem Stand der Technik ergibt und daher nicht zur "Erfindung"
gehört.

Sicherlich ist das alles wenig innovativ und wahrscheinlich auch nicht
neu.  Aber darin liegt nicht das Problem.  Das Problem ist, dass über
die Patent-Hintertür das Urheberrecht und die ihm innewohnende Balance
zwischen geistigem Eigentum und öffentlichem Freiraum ausgehebelt
wird.  Diese Aushebelung gründet sich wie immer auf lächerliche
Rabulistik und Verachtung der Rechtsstaatlichkeit.  EPA-Präsident Ingo
Kober ist nicht der einzige, der bedenkenlos Recht, Gesetz und Logik 
dem Zeitgeist zu opfern bereit ist, der momentan gerade durch seinen
Machtapparat weht.  Aber an jedem Tag, an dem Leute wie Kober im
Sattel sitzen, müssen wir als Bürger einer Bananenrepublik mit etwas
mehr Scham als sonst in den Spiegel blicken.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/ 
90000 Stimmen gegen Logikpatente:            http://www.noepatents.org/