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Re: [FYI] Rundfunkgebuehr ab 2005 auch fuer Computer



On Tue, Oct 16, 2001 at 12:56:48PM +0200, Helmut Springer wrote:
> On Tue 2001-10-16 (12:51), Holger Veit wrote:
> > Wer sagt denn, dass sich der Bildungsauftrag gerade im OeR
> > manifestieren muesse? Bloss weil historisch einige Pfruendegenies
> 
> Niemand.  Das Konstrukt als solches erschien diesem Zweck dienlich
> und tut es mE durchaus immer noch.  Alternativen?

Es ist doch gerade die Argumentationslinie von mir, dass dieses Konstrukt
es doch mittlerweile laengst nicht mehr tut. Als Beispiel moegen die
zahllosen pseudowissenschaftlichen Magazinsendungen der Privatsender
dienen (Galileo, Welt der Wunder, etc.), die aber augenscheinlich doch
ihre Zielgruppen finden. Allein: es ist nicht diejenige Art von Mensch,
die der "aufgeklaerte" Intellektuelle gerne sehen moechte, weil er es
besser weiss, was "gut" oder "richtig" ist.

> > oder gar negiert, dass das tatsaechliche Interesse der
> > Restbevoelkerung beileibe nicht darin besteht, sich diesen Kanon
> > als Kultur oder Bildung aufdraengen zu lassen, weil sie laengst
> > ein eigenes Modell ihres individuellen Lebens fuer sich gefunden
> > haben; eines, welches (leider) nicht oder nur marginal, aus
> > anspruchsvoller Literatur, E-Musik und avantgardistischer Kunst,
> > sondern aus Seifenopern, seichtem Gedudel und MTV-Clips besteht.
> 
> Tja, und dann gibt es zB in einer solchen Kultur aufwachsende, die
> trotzdem nicht dort enden (wollen).  Uebrigens redest hier Du von
> "Kanon", andere von Informationsbreite oder -freiheit oder Offenheit
> von Medien fuer Nicht-mainstream.

Weil der Begriff der Informationsfreiheit hier in diesen Kreisen implizit
mit einem bestimmten Kanon gleichgesetzt wird, nach dem Schema: die
Tagesschau der OeR ist neutral und gut, die reisserischen Infortainment-
Sendungen der Privaten seien schlecht. So sehr ich diesem Argument 
persoenlich auch zustimmen moechte - und wie Du moechte ich eben nicht
in einer Welt leben, wo das einzige Informationsmedium die Bildzeitung
ist - will ich mir dennoch nicht anmassen, meinen persoenlichen "Kanon"
als alleinige Wahrheit fuer alle anzusehen. Genausowenig bin ich daher 
der Ansicht, dass mein Kanon - oder auch der eines anderen - in besonderer
Weise geschuetzt und zwangsfinanziert werden soll. 

Ich halte es fuer Bloedsinn, da eine Schwarz-Weissmalerei zu betreiben, 
dass mit einem Verschwinden der OeR (weil sie aufgrund des Wegfalls der 
Gebuehren nicht mehr ueberlebensfaehig sind - seien - sie werden sich
bei Resourcenmangel dann schleunigst geeignet anpassen), ploetzlich nur 
noch Bildzeitungsniveau auf der Mattscheibe vorhanden sein wuerde. 

Beispiel: Printmedien - es gibt massenhaft Yellow-Press-Muell, und auch
irgendwelche taz-Blaetter, die permanent am Tropf haengen, aber man 
findet durchaus auch das teure Hochglanzmagazin fuer moderne Kunst. 
Das ist teurer, aber scheint Abnehmer zu finden. Und irgendwann mag das
Blatt sich genausowenig mehr wie die taz zu rentieren, dann wird es
eingestellt. Es gibt kein Gesetz, dass irgendwas ewig zu existieren habe,
so leid es mir dann als betroffenem Leser auch erscheinen mag.

Beispiel 2: Internet: mag sein, dass 99,9999% eine Weizenbaumsche
Muellhalde ist, aber wieso sollte gerade ich dann in meinem Bookmarks 
genau die 0.0001% wertvollen Links haben? Natuerlich habe ich ich da Muell,
was nichts anderes heisst, dass die Kategorisierung als Muell lediglich
subjektiv ist und als generelle Wertung (als Kanon) nicht taugt. Warum
sollte ich als nach meinem subjektiven Selbstverstaendnis als 
"Intellektueller" nicht auch Gameshows im Fernsehen ansehen? Es gibt da
kein Schwarz-Weiss - Dein Schwarz kann bei mir Weiss sein.

Es wird, ohne einen fremdbestimmten (sogenannten) Grundversorgungskanon
(das, was *man* wissen und sehen *muss*, frei nach Schwanitz) schwerer
werden, sich nach seinem persoenlichen Anspruch und Gusto geeignet zu
informieren, und es mag teurer werden. Andererseits zahle ich bereits 
jetzt nicht unerheblich in Form von Lebenszeit fuer mein Beduerfnis, 
Buecher und andere Printwerke zu konsumieren. Der Grossteil der
Bevoelkerung ist augenscheinlich mit dem bislang gebotenen Programm
der Privaten zufrieden. Ein italienisches Berlusconi-Schreckgespenst
tangiert mich insoweit nicht sonderlich, weil ich nicht der Illusion
nachhaenge, die Welt oder die Bevoelkerung verbessern zu wollen; ich
habe genug damit zu tun, mein Leben so zu gestalten, wie ich es mir
vorstelle. Oder brutal im Sinne der Evolution gesprochen: egal, ob
die Seifenopern gucken oder hochgeistige Philosophie verschlingen -
voegeln tun sie trotzdem. Letztlich bringt das die Population weiter,
so banal das leider sein mag.

> > So be it then: "das Volk" moechte Gameshows, Tittitainment,
> > Banalitaeten und martialische Sportarten gegen Mitternacht. *)
> 
> Mag im Schnitt durchaus sein.  Alle erstmal darauf zu beschraenken
> ist betoniert die Spaltung der Gesellschaft in Fuehrung und Vieh.

Nochmal, die Spaltung existiert seit jeher und das wird sich auch nie
aendern. Noch schlimmer fuer die eindimensionalen Denker einer existierenden
Kluft zwischen zwei Gruppen: die Bevoelkerung ist N-dimensional, es
existieren unzaehlige Kategorien, die durch eine "Spalte" voneinander
getrennt sind. Es ist lediglich in gewissen Gruppen modisch, 
"digitale Kluefte" oder "Bildungsabgruende" oder andere Trennlinien
zu identifizieren, die es - warum eigentlich - zu ueberwinden gilt.

Was bitte ist in diesem Zusammenhang dann Fuehrung und Vieh? Bin ich das
"Vieh" des Baeckers, weil ich nie die Spalte ueberwunden habe, die die
Gesellschaft in die Gruppe derer teilt, die Brot backen koennen, und
derjenigen, die es nicht koennen? Warum muss denn jeder Brot backen
koennen? 

Die vergleichbare Frage, warum denn jeder eine bestimmte Grundversorgung
(und dann noch durch eine voellig politisch durchdrungene Meinungsmacher-
einrichtung) haben soll, ist bislang nicht beantwortet worden. Beliebige
Wahlfreiheit ist eine Illusion, die habe ich nicht und Du auch nicht
(oder koenntest Du mit allen oeffentlich zugaenglichen Quellen sagen,
was denn wirklich derzeit in Afghanistan passiert? Ich kann es nicht).
Unsere Resourcen sensorischer, aber auch zeitlicher Art, sind begrenzt,
so dass wir filtern muessen. Das muessen wir so oder so - dann aber
richtig, ohne fuer vorgekautes Gedankengut bezahlen zu muessen, welches
wir dann ohnehin erst genauso aufwendig in unser Weltbild einfuegen
muessen wie die anderen unverdauten oder unverdaulichen Billiginformationen.

> Aber Du bist sicher sicher, in der richtigen[tm] Klasse zu sein   8)
Sozio-Schmus. Es gibt unzaehlige Kategorisierungen, bei denen ich
nicht in der "richtigen" Klasse bin. Ich bin z.B. ein Paradebeispiel
an Unsportlichkeit. Konsequenterweise sollten dafuer jetzt alle eine
Extra-Abgabe (ueber die Steuern hinaus) leisten, dass mehr Turnhallen 
gebaut werden, oder? Zu dumm, selbst wenn jedes zweite Haus eine
Turnhalle waere, wuerde mich das nicht von der Couch und der Chipstuete
weglocken.

Holger

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