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Kontrollverlust (War: Re: heise online: Bundsweit einheitliche Kontr)



kris meinte am 14.11.01 im Brett /ML/FITUG zum Thema "Re: heise online:  
Bundsweit einheitliche Kontrolle des Internet geford":

> Wir stellen ungeahnte, schnellere, billigere, direktere und
> absolut unmittelbare Kommunikationsmoeglichkeiten fuer jedermann
> zur Verfuegung.

Ich verstehe nicht, wie "absolut unmittelbar" gemeint ist. Ist das in dem  
Sinne zu verstehen, dass es kein Medium (in der Mitte Stehendes,  
Vermittelndes) mehr gibt, also eine wahrhaft unbehinderte face-2-face- 
Kommunikation? Oder ist es sogar noch eine Stufe paradiesischer gedacht?

> Buerger haben mbit/sec zu ihrer eigenen Verfuegung und koennen
> nach belieben Information mit anderen Buergern austauschen.

Das ist medien-technologisch nichts Neues, denn massenhafte  
Individualkommunikation war mit dem Telefon auch schon möglich. OK, es ist  
verbilligt und automatisierbar geworden. Spannend wird es aber doch erst  
dort, wo Öffentlichkeit entsteht, d.h. genau an dem Punkt, an dem die  
Ebene der Individualkommunikation verlassen wird, also auch und gerade  
dort, wo massenhaft gleiche, d.h. nicht-individualisierte Inhalte  
abgefragt werden (meinetwegen Grateful Dead, immer dasselbe Lied, eben  
gerade nicht gesampelt). Erst dann entstehen auch die Regulierungswünsche,  
eben weil es um ein allgemeines, d.h. relevantes Phänomen geht.

> Publishing-Pipeline unter 2.  Das bedeutet: am Datentausch sind
> unter Umstaenden sogar _gar_ _keine_ Personen mehr beteiligt. Es
> ist zum Teil nur noch Infrastruktur, die da arbeitet und
> akkumuliert, die a la Radio.MP3 oder FreeNet Tag und Nacht Daten
> auf der lokalen Platte ansammelt, durchsieht, bewertet und
> ablegt.
>
> Natuerlich zerbrechen dabei die Kontroll- und Steuerungskonzepte
> der staatlichen Medienaufsicht jenseits jeder Reparatur, da alle
> diese Konzepte am Mittler ansetzen. Aber es gibt nicht nur keine
> Mittler mehr, es gibt teilweise noch nicht einmal mehr
> Teilnehmer. Mit dem Aufkommen von mehr Agententechnologie wird
> das sicher noch extremer werden.

Du meinst, es gäbe kein zurechnungsfähiges Handlungssubjekt mehr? Das hört  
sich ja fast so spassig an, wie die Argumentation des Parksünders, der  
einem Richter klarzumachen versucht, dass die Verantwortung für's Parken
im Halteverbot beim Auto liegt. :-)

Mit dem Rechtsstaat ist dieses Verständnis von durch Technik emergierenden  
rechtswidrigen Zuständen bzw. "Handlungen" sicher nicht vereinbar, da hast  
Du schon Recht. Ich habe allerdings mit Blick auf massenhaft falsch  
parkende Autos (die ich wohlgemerkt nicht mit Bots vergleichen möchte)  
eine leise Ahnung, welches Verständnis sich durchsetzen wird. "Get real",  
sagt man, glaube ich.

Außerdem hört der Computer die MP3s ja (noch) nicht selber. Oder macht das  
Deiner etwa schon? Hat er denn wenigstens Spass dabei?
Mal Spass beiseite - derjenige, der den Hörspass hat, wird sich schon  
finden lassen. Und der Richter wird verständnislos den Kopf schütteln,  
wenn der MP3-Fan sagt, sein Bot habe ihm diese Musik vorgeschlagen,  
heruntergeladen und vorgespielt, er sei also willentlich gewissermaßen an  
überhaupt nichts beteiligt ....

> Ich bin inzwischen soweit, dass mich das nicht mehr juckt.

Wo ist dieser Planet, auf dem Du Dich befindest?

> deppenkompatibel millonenfach replizieren laesst. Und das ist
> auch gut so - digitale Strukturverstaerker at its best.

Es kommt immer darauf an, wozu man diese einsetzt. Willenlose  
Strukturverstärkung haben wir doch mit dem globalen Markt schon genug.

> Man muss sich nur die mentale Ausgeglichenheit goennen, dabei
> nicht auszurasten. Schliesslich ist nicht die Nazipropagangda im
> Netz das Problem. Die Nazis sind es. Schliesslich sind es nicht
> die Kinderpornos im Netz, die Kindern gefaehrden, sondern der
> reale Akt des Missbrauches bei ihrer Herstellung ist es.

Soso, mentale Ausgeglichenheit beim Angucken von Kinderpornos - sind ja  
'nur' Bilder, die mit der Realität wirklich absolut überhaupt gar nichts  
zu tun haben ...

Also die Haltung einer fundamentalistischen Toleranz ist problematisch.

Schon mal überlegt, dass Nazis nicht als solche geboren werden? Wie werden  
eigentlich Nazis zu Nazis? Es liegt sicher nicht ausschließlich an  
Propaganda, aber es muss auch etwas damit zu tun haben, oder? Wie kommst  
Du darauf, dass Propaganda über's Netz weniger problematisch ist, als  
anders zugängliche? Und das gerade in Anbetracht der Tatsache, dass das  
Netz eine immer größere Bedeutung gewinnt.

> Nebenbei bemerkt: Es grenzt schon fast an Zynismus, diese realen
> Akte der Ungerechtigkeit durch operative Hektik in der
> virtuellen Welt heilen zu wollen.

Die virtuelle Welt ist eben Teil der realen Welt. Was daran zynisch sein  
soll, bleibt unklar. Die virtuelle Welt ist - nach meinem Verständnis -  
nicht eine abgehobene, wenngleich diese Tendenz dem Geistigen inhärent  
ist. Vgl. dazu Kampers Anschlüsse an Flusser, ganz aktuell von Telepolis  
veröffentlicht:

    Der reine Geist in seiner Absolutheit und Selbstbezüglichkeit ist
    luziferischer Natur, ein böser Gott, der die Folgen seiner Allmacht zu
    erleiden hat und insofern völlig unfähig ist zu leben und zu sterben.
    Das hat die Schlange im Paradies gemeint: "Ihr werdet sein wie Gott!"
    ... "Ihr wisst, aber ihr wisst nicht, was ihr wisst. Ihr seid ins
    Wissen eingesperrt auf immer und ewig, unfähig zu jeder Veränderung,
    Veranderung. Eure Erkenntnis ist längst schon ein Gefängnis."

hier weiter: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11122/1.html


Letztenendes bleibt die virtuelle Welt leibvermittelt.
- Was man ja eigentlich schon an der Hochkonjunktur des Pornographischen  
hätte erkennen können. Nein, mein Computer guckt sich die Bilder nicht  
selber an ;-)

vgl. dazu auch http://www.heise.de/tp/deutsch/kunst/lit/7825/1.html


Gruß,
Mario
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