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Re: Kontrollverlust



Patrick meinte am 18.11.01 im Brett /ML/FITUG
zum Thema "Re: Kontrollverlust":

[öffentlich/privat]
> Nein, eben nicht. Es handelt sich bei P2P, wie bei vielen
> anderen Internet-Diensten, um eine grundlegend neue Form der
> Kommunikation, die Du mit diesem Raster nicht erfasst.

Das ist es ja gerade, was ich bestreite. Man kann die "alten" Kategorien
durchaus anwenden, man muss nur genau hinsehen.

Andererseits könnte man ja mal genauer benennen, was denn das "grundlegend  
Neue" an dieser Form der Kommunikation sein soll, und weshalb die  
Antinomie von öffentlich und privat nicht mehr sinnvoll sein soll. Dabei  
könnte man insbesondere die sozialen Praxen, die sich in der Nutzung von  
P2P-Technologie herausbilden, genauer in den Blick nehmen.

Wer kommuniziert/"tauscht" was warum mit wem?
Mal zwei Thesen dazu: Bei der getauschten Musik geht es einzig und allein  
drum, die Kohle zu sparen, bei den Pornos unterschiedlicher Perversitäts- 
Kategorie darum, sozial gefahrlos - und das heißt insbesondere  
unbeobachtet - an diese zu gelangen. Mit Politik hat das nichts zu tun.  
Mag sein, dass sich da was geändert hat, es ist schon mindestens ein Jahr  
her, dass ich mal einen Gnutella-Client angeworfen hatte.

> Nur weil viele Leute einen Dienst benutzen, entsteht keine
> Öffentlichkeit.

Richtig. In der massenhaften Nutzung des Telefons stellt sich keine  
Öffentlichkeit her. Auch bei einer massenhaften Nutzung des WWW durch  
Abruf von einzelnen, unterschiedlichen WWW-Seiten ist dies nicht der Fall  
- weshalb man auch "das WWW" nicht als Massenmedium bezeichnen kann.  
Öffentlichkeit entsteht aber dort, wo massenhaft gleiche Inhalte rezipiert  
(aktiv abgefragt oder passiv empfangen) werden. Das ist z.B. evident beim  
Fernsehen, aber auch bei besonders gut besuchten Webseiten der Fall. Aus  
meiner Sicht ist es sinnvoll, nicht die massenhafte Nutzung des Dienstes,  
sondern die massenhafte Nutzung von gleichen Inhalten als notwendiges  
Kriterium für Öffentlichkeit anzusehen. Übertragen auf den Dienst Email  
bedeutet dies: Kommunizieren zehn Leute untereinander jeweils verschiedene  
Inhalte, dann ist das klassische Individualkommunikation. Kommunizieren  
sie jedoch gleiche Inhalte, wie das etwa bei Mailinglisten der Fall ist,  
so entsteht Öffentlichkeit. Aus dem Kollektiv der von einander nicht  
wissenden Email-Nutzer wird eine Gruppe von Mailinglisten-Teilnehmern, die  
etwas gemeinsam haben: Öffentlichkeit ist unter ihnen und durch sie  
entstanden, die verteilten Aufmerksamkeiten werden gebündelt, Autoren  
bekommen ein Publikum. Nebenbei gesagt ist das emanzipatorische  
Versprechen der Mailingliste, jeder könne mitmachen, nicht wirklich  
einzulösen. Wenn wirklich jeder was schreibt, dann wird das jedem zuviel -  
es bedarf also einer ausgewogenen Aufmerksamkeitsbündelung.

> Wenn ich meinem Privatvergnügen nachgehe und

Mit dieser Einordnung als Privatvergnügen nimmst Du das, was Du begründen  
wolltest bereits vorweg. Heraus kommt dabei die Tautologie - "privat ist  
privat!"

> 60er Jahre Garagenpunk übers Netz suche,

Da wird es nun interessant: getauscht wird offenbar Musik, und zwar  
"alte", bereits veröffentlichte Musik, nicht etwa Neues,  
Selbstkomponiertes, Gesampeltes. Kann dieses System überhaupt beim Tausch  
von neuer, d.h. gerade solcher Musik, die bisher nicht veröffentlicht war,  
funktionieren? Kann Veröffentlichung mit kurzer Publishing-Pipeline  
überhaupt funktionieren, oder ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Ich würde P2P-Filesharing-Systeme eher als parasitäres Phänomen  
bezeichnen, weil sie nicht selber eine Öffentlichkeit herstellen können,  
in dem Sinne, dass sie Musiker bekannt machen. Sie müssen stattdessen auf  
eine zuvor existierende Öffentlichkeit in Form einer allgemeinen  
Bekanntheit von bestimmten Musikgruppen / Genres zurückgreifen.

> merken das
> allenfalls jene Leute, von denen ich das beziehe. Das wäre
> öffentlich? Nein. Das ist eine Ausdehnung des Privaten.

Ich sehe es in der Tat auch als einen Versuch der Ausdehnung des Privaten.  
Das ist aber nicht ein emergentes Phänomen, das sich halt - à la  
unsichtbare Hand - einfach so ereignet, und dem man sich gefälligst  
anzupassen hat. Im Gegenteil, hinter der Ausdehnung des Privaten stecken  
Interessen, private Kontrollwünsche. Insofern ist das durchaus ein  
emanzipatorisches Anliegen: Wir wollen selber entscheiden, es soll kein  
störender Dritter (Händler) mehr bestimmen, was wir hören und was nicht.  
Überhaupt stören die anderen - insbesondere die Gesellschaft, die  
Öffentlichkeit, die immer alles reguliert haben will. Dabei wird  
übersehen, dass sich das Private nur durch das Öffentliche konstituiert -  
und umgekehrt. Wenn das Private total ist, wenn wir uns nicht mehr mit  
Gesellschaft rumschlagen müssen, dann befinden wir uns eigentlich schon im  
Paradies.


Gruß,
Mario
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