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Neue Erkenntnisse zur Softwarepatente-Anhörung im Bundestag (fwd)



---------- Forwarded message ----------
Date: Sun, 13 Jan 2002 18:08:38 +0100 (CET)
From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
To: neues@ffii.org
Subject: Neue Erkenntnisse zur Softwarepatente-Anhörung im Bundestag

Unter

	http://swpat.ffii.org/penmi/bundestag-2001/

findet sich jetzt das Protokoll des Bundestags-Expertengespräches
"Softwarepatente und OpenSource" von 2001-06-21.

Diese Diskussion ist bislang einzigartig darin, dass, anders als bei den
Studien des BMWi, auch die bislang tabuisierte Möglichkeit einer Rückkehr zur
Rechtsprechung der 70er und 80er Jahre zur Diskussion gestellt wird.  Der
Gesprächsleiter Jörg Tauss spricht gar von der Frage des "BGH, wenn der sich
so wirr entwickelt, nein, so weise entwickelt".  Diese Grenzübertretung
beanstandet MPI-Patentrechtler Schiuma sofort mit drohendem Unterton, und
Tauss weicht zurück -- er hat ja nichts gesagt.  Ob Tauss wohl gewusst hat,
was Schiuma-Kollege und Swpat-Mitstreiter Nack zu ebenjenem BGH-Beschluss
sagt, den Schiuma im Bundestag als Orientierungspunkt künftiger Gesetzgebung
anpreist?

Unter

         Zum BGH-Beschluss "Sprachanalyseeinrichtung": Sind jetzt
         computerimplementierte Geschäftsmethoden patentfähig?
	 http://swpat.ffii.org/stidi/papri/grur-nack01/

resümiert Nack treffend: "Das dogmatische Chaos ist nicht mehr zu überbieten".

Das Eis scheint nun gebrochen, und die Patentinflations-Legitimierer haben
außer dem Beharren auf der Autorität gewisser Gerichtsentscheidungen offenbar
kein Argument zu bieten.  Diesen Eindruck erwecken sie jedenfalls in dem
Bundestags-Protokoll.  Auf MdB Mayers Frage nach volkswirtschaftlichen
Forschungen, welche den volkswirtschaftlichen Nutzen von Softwarepatenten
aufzeigen, muss Schiuma passen und verweist auf den Wirtschaftswissenschaftler
Probst, der wiederum erklärt, dass er trotz intensiver Suche nach
volkswirtschaftlichen Argumenten für Swpat nicht fündig geworden sei.

Pikant ist auch, dass MdB Kelber vorsichtig die Legitimation von Frau Bremer,
im Namen der Bitkom-Unternehmen für die Legalisierung des "Status-Quo der
Rechtsprechung" zu plädieren, in Frage stellt.

Frau Bremer wirkt wie einer verängstigten Schülerin, die in aller Eile ein
paar Antworten auf die Fragen des Bundestages zusammenschreiben musste und
dazu ihren Verbandskollegen und Amtsvorgänger PA Teufel
(IBM-Patentabteilungsleiter) um Nachhilfe bat.  Ihre Texte wirken wie
halbverstandene Einflüsterung (nicht des Teufels sondern eines anerkannten
Patentgurus, der viel zu den Dammbrüchen beim BGH beigetragen hat, so auch
zuletzt im Oktober 2001 zur Autorisierung von Computerprogramm-Ansprüchen).
Insbesondere halbverstanden scheinen folgende Ausführungen von Frau Bremer:

  Weil Sie auch noch einmal auf diese Studien kamen: Da würde ich gerne, wenn
  eine Möglichkeit für uns besteht, auch noch etwas nachreichen, wenn wir da
  etwas haben. Da sage ich ganz ehrlich, da muss ich auch noch
  recherchieren. Ich möchte nur, weil es eine konkrete Frage war, auch noch
  einmal auf diese Studie eingehen, die hier ja als maßgeblich genannt wurde. Da
  möchte ich noch einmal zu bedenken geben, dass eigentlich in diesen Studien in
  Bezug auf die R&D-Kosten keine wirklich sachgerechte Maßzahl genommen
  wird. Denn es ist nicht ausschlaggebend, was da für Kosten entstehen, anders
  gesagt, das hängt nicht davon ab, wieviel Patente beantragt worden sind. Man
  kann das hier nicht ins Verhältnis setzen. Die R&D-Kosten hängen vielmehr von
  anderen Dingen ab, wie den wirtschaftlichen Faktoren in einem Unternehmen, der
  Frage, wie geht es dem Unternehmen - da können Flauten der Grund dafür sein,
  dass eben gerade weniger Ausgaben entstehen. Das hat jetzt nicht zwangsläufig
  etwas damit zu tun, dass hier weniger oder mehr Patente angemeldet worden
  sind. Das ist nicht unbedingt so ins Verhältnis zu setzen.

Die selben Argumentationsversuche findet man auch in der

  EU-Konsultationsantwort des europäischen Dachverbandes EICTA
  http://swpat.ffii.org/vreji/papri/eukonsult00/eicta/

in dem BITKOM Mitglied ist.  BITKOM verzichtete mangels Einigkeit unter den
Mitgliedesfirmen auf eine eigene Konsultationseingabe, aber die
BITKOM-Patentfraktion wusste sich offenbar durch den Umweg über EICTA zu
helfen.  Die obigen Argumente gegen

	 Bessen & Maskin
	 http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bessenmaskin00/

wurden zuerst von PA Teufel auf zahlreichen Veranstaltungen vorgebracht und
sind sein persönliches Anliegen.  Indem Frau Bremer dies auf ihre Weise
vorträgt, schießt sie ein Eigentor: sie weist darauf hin, dass zwischen der
zahl der beantragten Patente und der Höhe der getätigten F&E-Investitionen
kein erkennbarer Zusammenhang besteht.  Auf nicht mehr hatten auch Bessen und
Maskin in ihrer Studie eingangs hingewiesen, und der Rest der Studie
beschäftigt sich mit einem spieltheoretischen Modell, welches diese Befunde
erklären soll und von Frau Bremer nicht kritisiert wird.

Noch mehr gerät Bremer ins Schwimmen, wenn sie auf eine Frage des MdB Otto
antwortet, der wissen wollte, ob nicht das Urheberrecht ebenso große
Rechtsunsicherheit wie das Patentrecht erzeugt, da ja niemand wissen könne, ob
sein Werk nicht Urheberrechte eines anderen verletze.  Diese Frage ist
erfrischend naiv, genau das, was man für ein FAQ braucht und was andere MdBs
vermutlich nicht zu fragen wagten.  Was einem MdB erlaubt ist, steht der
Vertreterin der deutschen Informationswirtschaft weniger gut an:

  Und dann wollte ich auch gern noch auf das von Herrn Otto angesprochene
  Thema "Problematik des Urheberrechts bei OpenSource" eingehen. Selbst wenn
  wir es absolut herunterfahren würden, hätten wir in der Tat das Problem,
  dass man die Urheberrechte ja auch wahren muss und man ein erheblich
  größeres Problem hat, diese zu recherchieren. Selbst wenn wir hier jetzt
  nicht so eine radikale Form, die ja etwas unwahrscheinlich ist, fahren
  würden, sondern einen Mittelweg gehen: Es wird immer einen Teil Patente
  geben, und auch da haben wir im OpenSource-Bereich erhebliche Probleme, das
  nachzuvollziehen. Das heißt, es ist nicht nur ein Problem, wenn es Patente
  gibt, sondern wir haben das Problem der Verletzungsgefahr auch, wenn es
  keine Ausweitung der Patente gäbe.

Sokrates machte aus der Not des Nichtwissens eine Tugend.  Auch Bitkom sollte
genügend anzapfbare Wissensreserven haben, deren Diskussion Frau Bremer moderieren
könnte.  Aber auch moderieren und diskutieren muss man können.  Wer das kann,
ist meistens auch nicht mehr unwissend.  Der Teufels-Kreis schließt sich.

An der sokratischen Tugend des "Ich weiß, dass ich nichts weiß" fehlt es
leider sogar an den Universitäten.  Romane wie "Weißer Jahrgang", "Der Campus"
etc wissen ein Lied zu singen von der dort schon sprichwörtlichen
Schaumschlägerei.  MdB Mayer beanstandete daher bei der Anhörung zu Recht den
Gebrauch überflüssig prätentiöser Begriffe.  Leider antwortet Lutterbeck mit
Spott:

  Entschuldigung, Herr Dr. Mayer, dass ich Fremdwörter benutzt
  habe. Normalerweise ist Kriterium für Papiere von mir, für viele jedenfalls,
  dass meine Frau sie versteht, und sie ist nicht vom Fach. Entschuldigung.

Freilich distanziert sich MdB Mayer auch von den "Auffassungen und vor allem
der Art ... des Herrn Pilch", betont aber wie auch andere, dass unsere
Initiative es war, die ihnen die Tragweite des Problems bewusst machte.

Sehr gewissenhaft auf sein Fachgebiet beschränkt äußert sich der Patentprüfer
Dr. Kiesewetter-Köbinger.  Recht reizvoll ist sein Dialog mit Tauss, in dem er
betont, er spreche nicht für das DPMA.  Eigentlich eine überflüssige
Bescheidenheit, die aber ein ebenso deutliches Licht auf die derzeitigen
Noch-Tabus wirft wie der Dialog Tauss-Schiuma über den "Versprecher" von der
"wirren" BGH-Rechtsprechung der letzten Jahre.

Uns fehlen noch Übersetzungen, mindestens in Englisch und Französisch.  Wir
bitten um Mithilfe.  Das Dokument ist es wert.

Den Abgeordneten des Bundestagsausschusses Neue Medien, allen voran Herrn
Tauss und Herrn Dr. Mayer, sei für diese in bislang einzigartiger Weise
unerschrocken an das Thema herangehende Anhörung gedankt.  Die Europäische
Kommission hat trotz einer nominellen Konsultation derartiges bisher nicht
geleistet und kann es vielleicht auch gar nicht leisten.

Umso mehr sollte der Bundestag dieses Thema in die Hand nehmen und erst dann
die europäische Kommission mit Harmonisierung beauftragen, wenn man sich auf
nationaler Ebene zumindest darüber einig geworden ist, was man will.
Insbesondere könnte der Bundestag von der Bundesregierung folgendes fordern:

(1) Hinwirkung auf Aufhebung der soeben erlassenen Prüfungsrichtlinien des
    EPA, in denen dieses die Beschlüsse der Technischen Beschwerdekammern seit
    1998 und damit die direkte Patentierung von Informationsgegenständen
    verbindlich macht.  Dies kann die Bundesregierung als kontrollierende
    Behörde des EPA leicht erreichen.
(2) Anstrengung eines Normenkontrollverfahrens beim Bundesverfasssungsgericht
    mit dem Ziel, festzustellen, in wie weit der BGH befugt ist, die Grenzen
    der Patentierbarkeit auszudehnen.  Hierbei sollte Dritten die Möglichkeit
    geschaffen werden, als "amicus curiae" o.ä. in das Verfahren einzugreifen.
(3) Erarbeitung einer klaren Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Thema
    als Voraussetzung jedes "Harmonisierungs"-Auftrages an die Europäische
    Kommission.  Insbesondere muss die bisher unter Verschluss gehaltene
    Stellungnahme der Bundesregierung veröffentlicht und korrigiert werden, in
    der die Bundesregierung sich für die Festschreibung der EPA-Praxis
    eingesetzt haben soll (laut Auswertungsbericht der EU-Kommission).
    Es muss klar Stellung zu folgenden Fragen bezogen werden:

    (a) Der BGH erlaubt, im Gefolge des EPA, seit Oktober 2001 Ansprüche auf
        Informationsgegenstände ("Computerprogrammprodukt", "Computerprogramm",
        "Datenstruktur").  Ist die Bundesregierung bereit, diese Praxis zu
        unterbinden?
    (b) Der BGH erlaubt, im Gefolge des EPA, seit 1992 die Patentierung von
        Lehren, die keine neue Erkenntnis über das Wirken von Naturkräften
        beinhalten und nicht mehr als eine computer-implementierbare
        Organisations- und Rechenregel (Programm für
        Datenverarbeitungsanlagen) darstellen.  Ist die Bundesregierung
        bereit, diese Praxis zu unterbinden?

Vielleicht kann auch noch auf anderem Wege klar gemacht werden, dass nicht
die Technischen Beschwerdekammern des EPA sondern die Verfassungsordnungen
der im Verwaltungsrat des EPA vertretenen Regierungen die oberste Instanz
in Fragen der Patentierbarkeit sind und das die Folgsamkeit des BGH
gegenüber dem EPA ebenso ein Versagen darstellt wie die Versuche der
Bundesregierung, den schwarzen Peter an die europäische Kommission
abzuschieben.

-- 
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
100.000 Stimmen gegen Logikpatente:          http://www.noepatents.org/


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