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heise: EU-Kommission will Patentschutz fuer Software



Stefan Krempl hat uns diesmal auf dem Heise-Newsticker einige Beachtung
zukommen lassen und die Leser auch sonst ganz informiert.

Dennoch seien mir Korrekturen und Ergänzungen zu ein paar Punkten erlaubt.

> EU-Kommission will Patentschutz für Software
>
> Die Europäische Kommission glaubt einen Weg gefunden zu haben, den
> umstrittenen Artikel 52 der Europäischen Patentübereinkunft beibehalten zu

Europäisches Patentübereinkommen

> können und trotzdem Softwarepatente möglich zu machen. Bislang sind
> offiziell nach dem Patentabkommen "Computerprogramme als solche" nur

Korrekt wäre:

   Demnach gehören "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" ... "als
   solche" ... nicht zu den "patentfähigen Erfindungen".

Eine semantische Einheit namens "Computerprogramme als solche" gibt es im
EPÜ nicht.  Zur grammatisch-lexikalischen Analyse von "als solche" ist
immer wieder der Artikel

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-koenig01/

zu empfehlen.

> urheberrechtlich, aber nicht durch Patente zu schützen. In einem am
> heutigen Mittwoch nach langem Tauziehen[1] verabschiedeten
> Richtlinienentwurf[2] schlägt die Kommission nun vor,
> computerimplementierte Erfindungen patentierbar zu machen.

Der Begriff "computerimplementierte Erfindungen" gehört in
Anführungsstriche.  Oder ist das etwa ein normaler Sprachgebrauch, wie in
der Autor für eine einigermaßen unmissverständliche Kommunikation
verwenden würde?  Es handelt sich hier um eine erst kürzlich ausgegebene
Kampfparole des EPA, bei der schon das Wort Programm ist. Es geht darum,
alle computer-implementierten (oder bessergesagt: in Computer-Jargon
sprachlich eingekleideten) Organisations- und Rechenregeln als
patentfähige Erfindungen zu betrachten und die Frage der Patentfähigkeit
ganz abzuschaffen, wie mit dem EU-RiLi-Vorschlag auch geschehen ist.

> Als Kernvoraussetzung müssen diese aber den "Stand der Technik" in
> ihrem Gebiet so erweitern, dass der Beitrag "für eine fachkundige
> Person nicht nahe liegend ist". Daneben sind die üblichen
> Basiskriterien der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der
> gewerblichen Anwendbarkeit zu erfüllen.

Nicht richtig:  die EU/BSA schlägt vor, alle "Kernvoraussetzungen" für die
Patentfähigkeit abzuschaffen.  Die "technische Erfindung" gibt es nicht
mehr, ihr Erbe lebt aber angeblich im Rahmen der Prüfung auf
"erfinderische Tätigkeit" weiter.  Was aus bereits erklärten Gründen aber
bedeutungsloser politischer Bluff ist.

> Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein[3] will mit dem Dreh Gewissheit für
> die "Milliarden-Euro-schwere Softwareindustrie" schaffen, "was patentierbar
> ist und was nicht". Auch sein jahrelanger Gegenspieler im Streit um die
> Softwarepatente, der Kommissar für Fragen der Informationsgesellschaft
> Erkki Liikanen[4], kann mit dem Vorschlag nun leben: Er glaubt zumindest,
> dass damit der "Umfang und die Qualität von Patenten auf einem vertretbaren
> Niveau zu halten" ist.

"sei" wäre besser:  der Glaube ist offensichtlich unbegründet. Der
RiLi-Entwurf enthält nicht den geringsten Ansatz zu einer Eingrenzung oder
qualitativen Besserung der bereits längst auf US-Niveau (und z.T.
darunter) befindlichen EPA-Patente.

> Gleichziehen will die EU vor allem mit der bereits seit Jahren
> praktizierten Patentierung von Software in den USA und in Japan. Außerdem
> soll die Richtlinie die von Gerichten bislang vorangetriebenen
> De-facto-Entscheidungen zu IT-Patenten rechtlich wieder einholen und in
> festgezurrte Bahnen lenken.

"Soll" --- das stimmt, auch wenn dieses Ziel nicht erreicht wird.

> Scharfe Kritik an dem Richtlinienentwurf kommt vom Förderverein für eine
> freie informationelle Infrastruktur (FFII[5]), der auf seiner Website ein
> "Gruselkabinett[6]" bereits rechtlich nicht einwandfreier Softwarepatente

Es gibt keine rechtlich einwandfreien Softwarepatente.

> des Europäischen Patentamts[7] pflegt. Die Kommission will nach Auffassung
> des FFII-Lobbyisten Hartmut Pilch[8] mit dem Vorschlag die rund 30.000
> "gegen den Buchstaben und den Geist der geltenden Gesetze" erlassenen
> Patente für Computer-implementierbare Organisations- und Rechenregeln
> legalisieren.

> Auf Europa sieht Pilch nun eine Patentinflation wie in den USA zukommen,
> die dort zu abstrusen Fällen wie dem Anspruch der British Telecom auf ein

Solche abstrusen Fälle sind beim EPA längst an der Tagesordnung.  Die
Inflation kann vielleicht nicht mehr viel weiter gehen.  Die Frage ist
nur, ob wir das alles anerkennen und befolgen oder vielleicht lieber die
alten Regeln bestätigen wollen.  Auch der RiLi-Entwurf sagt ja, dass außer
dem BGH bislang kein nationales Gericht die hierfür nötige
EPA-Gehorsamkeit aufgebracht hat.  Und auch der BGH kann wieder auf den
Boden des Rechts zurückgeholt werden.

> Patent für Hyperlinks[9] geführt hat. Als Triebfeder der Entwicklung hat
> der FFII eine hauptsächlich von Patentanwälten großer Konzerne angeführte
> Glaubensgemeinde ausgemacht. Völlig hinweggesetzt habe sich die Kommission
> dagegen über die rund 100.000 Unterzeichner der sich gegen Softwarepatente
> aussprechenden Petition[10] der Allianz Eurolinux[11].
>
> Bei der Auswertung[12] der im Oktober 2000 gestarteten Sondierung zu Fragen
> der Ausweitung des Patentschutzes auf Computerprogramme habe die Kommission
> zudem nur die Stimmen industrienaher Verbände gehört und die alternativen
> Meinungen unterschlagen.

So etwas habe ich nicht gesagt und würde ich auch nie sagen.
Eurolinux *ist* ein "industrienaher Verband" und auch zahlreiche andere
"industrienahe Verbände" haben sich gegen Softwarepatente ausgesprochen.

> Besonders beunruhigt hat die Eurolinux-Vertreter
> dabei eine seit Tagen im Netz kursierende Vorabversion[13] des offiziellen
> Richtlinienentwurfs, der im Autorenfeld des Word-Dokuments den Namen des
> Europa-Lobbyisten des amerikanischen Softwareverbands BSA[14], Francisco
> Mingorance, verrät.
>
> Die Kommission verweist dagegen darauf, dass sie gerade einer Übernahme der
> häufig kritisierten US-Praxis, selbst Geschäftsmethoden zu patentieren, mit
> der Technik-Klausel einen Riegel vorschieben will. Auch die deutsche
> Rechtsprechung, die unter anderem mit den Fällen "Automatische
> Absatzsteuerung" und "Sprachanalyseeinrichtung" in Patentkreisen auf sich
> aufmerksam gemacht hat, wird kritisiert, da sie Erfindungen mit einem
> Beitrag "nichttechnischer Art" für schützenswert erachtet habe.

Es geht hier mehr um Probleme der Rechtssystematik, wie sie Ralf Nack, der
auch zitiert wird, in seinem Artikel

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-nack00/

analysiert, als um eine wirkliche Verhinderung irgendwelcher Patente.

> Eine wichtige Sicherungsklausel stelle zudem Artikel 5 des Vorschlags dar.
> Darin erhält die Kommission den Auftrag, dem Europäischen Parlament binnen
> drei Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie darüber zu berichten, wie
> sich Patente auf computerimplementierte Erfindungen auf die
> Innovationstätigkeit auswirken.

Für volkswirtschaftliche Wirkungen haben sich die Brüsseler
Patentgesetzgeber bisher nicht interessiert, und wer sich ein Bild von der
zu erwartenden Qualität ihres kommenden Erfolgsberichts machen will, lese
den Erfolgsbericht über die Genpatentierung an den Hochschulen, den wir
hier kürzlich vorstellten. Dort reichte das "Argument", gewisse Kreise
hätten mit Patenten großen Umsatz gemacht, um das ganze als
volkswirtschaftlich sinnvoll darzustellen.

> Allerdings müssen der Europäische Rat sowie
> das Parlament dem Entwurf zuvor zustimmen, was angesichts der hitzigen
> Debatte um (Software-)Patente nicht ganz ohne Änderungswünsche über die
> Bühne gehen dürfte. (Stefan Krempl) / (anw[15]/c't)

Es geht um eine "milliardenschwere" Branche, wie Bolkesteins
BSA-Ghostwriter meint, und um deren Eigentumsordnung.  Nach dem Willen der
EU-Kommission soll der Schöpfer eines kreativen Textgewebes aus 1000 mehr
oder weniger trivialen Algorithmen, von denen 950 schon vor 20 Jahren
bekannt waren, 2 davon für teures Geld zum Patent anmelden und für 48
davon um Lizenz bitten, um sein eigenes Werk benutzen zu dürfen.  Im
Tausch für das Recht auf Leben wird er auch die 2 eigenen Patente an die
mächtigsten Konkurrenten lizenzieren, die auf diese Weise auch noch die
verfrühte Herausgabe des produktiven Ideen-Eigentums (Betriebsgeheimnis)
kleiner Softwerker erzwingt.  Es findet eine großangelegter
gesetzeswidriger Diebstahl geistigen Eigentums statt.  Der Dieb sitzt an
den Schaltstellen der gesetzgebenden Gewalt.  Die größten
Softwarepiraten, gegen die BSA hätte vorgehen müssen, sitzen in München
und Brüssel --- und bei BSA selber, in Form von Patentanwälten, die
offenbar der Politik des BSA-Zahlmeisters Microsoft zuarbeiten.

> URL dieses Artikels:
>  http://www.heise.de/newsticker/data/anw-20.02.02-005/
>
> Links in diesem Artikel:
>  [1] http://www.heise.de/newsticker/data/chr-20.10.00-004/
>  [2] http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/indprop/com02-92de.pdf
>  [3] http://europa.eu.int/comm/commissioners/bolkestein/cv_en.htm
>  [4] http://europa.eu.int/comm/commissioners/liikanen/index_en.htm
>  [5] http://www.ffii.de/
>  [6] http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/index.de.html
>  [7] http://www.european-patent-office.org/
>  [8] http://www.ffii.org/~phm/indexde.html
>  [9] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-17.12.00-001/
>  [10] http://www.heise.de/newsticker/data/odi-16.06.00-003/
>  [11] http://petition.eurolinux.org/
>  [12] http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/indprop/softpatanalyse.htm
>  [13] http://petition.eurolinux.org/pr/proposal.doc
>  [14] http://www.bsa.org/europe/policy/
>  [15] mailto:anw@ct.heise.de

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Hartmut Pilch                   http://offen.ffii.org/ffii/Members/phm/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
100K Stimmen 300 Firmen gegen Logikpatente:  http://www.noepatents.org/



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