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Brief von Tauss an Däubler-Gmelin
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- Subject: Brief von Tauss an Däubler-Gmelin
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Thu, 14 Mar 2002 12:43:28 +0100
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Tauss 2002-03-12: Deutschland muss EUK/BSA-Vorschlag und EPA-Praxis
zurückweisen
Der Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses Neue Medien bittet
seine Parteikollegin Bundesjustitzministerin Däubler-Gmelin, dem
Brüsseler Vorschlag, Programmlogik patentierbar zu machen, eine ähnlich
klare Absage zu erteilen wie Frau Däubler-Gmelin es im November 2000
gegenüber den Plänen der Patentlobby tat, die "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen" von der Liste der Nicht-Erfindungen im
Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) zu streichen. Tauss fordert
eine Unterstützung der Position Frankreichs und zählt auch das BMWi
zum Kreis derer, die dieser Position zuneigen. Grundsätzlich hält
Tauss eine Klärung der Grenzen der Patentierbarkeit auf EU-Ebene
für sinnvoll. Der vorliegende Entwurf ziele aber darauf ab,
im Sinne des EPA "lästige Debatten zu beenden" und so die vom EPA
verursachten Probleme weiter zu verschlimmern, statt sie zu lösen.
A. Der Brief
B. Weitere Lektüre
A. Der Brief
JÖRG TAUSS
MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES
VORSITZENDER UNTERAUSSCHUSS NEUE MEDIEN
Jörg Tauss, MdB * Unter den Linden 50 * 11011 Berlin
An die
Bundesministerin für Justiz
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
Bundesministerium für Justiz
- Postaustausch -
Berlin, den 12. März 2002
Softwarepatente Richtlinienentwurf der EU-Kommission
Sehr geehrte Frau Ministerin,
die EU-Kommission hat am 20. Februar 2002 den lange erwarteten
Richtlinienentwurf zur Patentierbarkeit von Software beschlossen. Wie
Sie wissen, ist diese Frage in den vergangenen Monaten und Jahren sehr
kontrovers diskutiert worden. So hat auch der Unterausschuss Neue
Medien gemeinsam mit dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am
21. Juni 2001 ein öffentliches Expertengespräch durchgeführt, um sich
hinsichtlich der Chancen und Risiken einer Erweiterung der
Patentierbarkeit von Software zu informieren. Die kritischen
Ergebnisse habe ich kursorisch zusammenfassen lassen und dem
Vorsitzenden des Rechtsausschusses zur Verfügung gestellt (Anlage).
Ebenso hat sich die Enquete-Kommission "Globalisierung der
Weltwirtschaft Herausforderungen und Antworten" mit dem Problem der
zunehmenden Monopolisierung des Wissens befasst und ausdrücklich vor
den negativen Auswirklungen etwa einer zu engen Auslegung der
TRIPS-Bestimmungen gewarnt. Hier wurden als negatives Beispiel neben
der Gesundheits-, Landwirtschafts- und der Ernährungspolitik
insbesondere eben auch der Softwarebereich angeführt.
In dieser Angelegenheit hatten Sie sich auf der Konferenz zum
europäischen Patentübereinkommen im November 2000 zurecht gegen eine
voreilige Änderung des Art. 52 EPÜ ausgesprochen. Mit dem von der
EU-Kommission nach langem internen Streit zwischen den
Generaldirektionen Binnenmarkt, Wettbewerb und
Informationsgesellschaft beschlossenen Richtlinienvorschlag (KOM
(2002) 92end.) gewinnt die Debatte nun wieder an Dynamik. Ohne den
Vorschlag an dieser Stelle im Detail bewerten zu wollen, so lässt er
doch zahlreiche Fragen offen. Zumindest irritierend ist es aber, dass
der beschlossene Text in den entscheidenden Punkten wortgleich mit
einem bereits länger kursierenden Entwurf ist, als dessen Autor ein
Jurist der Business Software Alliance (BSA) gilt. Die BSA wiederum ist
ein Interessenverband der großen Softwarehersteller allen voran
Microsoft, der sich bisher weniger mit Patentrecht, als vielmehr mit
der internationalen Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen
beschäftigt hat. Wieso sich die EU-Kommission den Vorschlag eines
Interessenverbandes zu eigen macht, sei dahingestellt. Politisch
stehen für mich aber weiterhin folgende Fragen im Vordergrund:
* Eine Übernahme des amerikanischen Softwarepatentsystems ist auch
aufgrund der bisherigen negativen Erfahrungen in den USA
abzulehnen. Ein europäischer Weg in der Softwarepatentpolitik
erscheint nicht nur möglich, sondern auch angebracht und wird
offensichtlich auch in Brüssel verfolgt.
* Die bisherige, bereits rechtlich strittige Patentierungspolitik
des EPA, ist zu evaluieren und unrechtmäßig erteilte Patente sind
zu widerrufen. In diesem Zusammenhang von der "Herstellung der
Rechtssicherheit auf Grundlage des Status Quo" zu sprechen, wie es
der Richtlinienvorschlag tut, erscheint zumindest
klärungsbedürftig. Um es klar zu sagen: Das EPA hat bereits eine
Unmenge fraglicher Patente erteilt, die nicht ohne Prüfung mit
einem Federstrich im Nachhinein legalisiert werden dürfen. Auf
Basis einer Fehlentwicklung Rechtssicherheit herstellen zu wollen,
nur um lästige Debatten zu beenden, erscheint mir nicht als ein
angemessenes Vorgehen.
* Eine freie Patentierbarkeit von Software entzieht alternativen
Entwicklungskonzepten die Grundlage, insbesondere Open
Source-Software wie die wirtschaftlich erfolgreiche
Serversoftware Apache oder das Betriebssystem Linux wäre in der
jetzigen Form nicht mehr möglich (offenbar ist der Umweg über
Brüssel ein guter Weg, um sich als weltweiter Monopolist seiner
ärgsten Widersacher zu entledigen). Wir können nicht einerseits
den Einsatz von Open Source-Software fordern und fördern, die auch
hinsichtlich der zunehmend wichtigen Sicherheits- wie
Kostenaspekte gerade für den öffentlichen Bereich attraktiv sind,
andererseits diese insbesondere europäische Entwicklung durch
freie Patentierbarkeit unmöglich machen und amerikanischen
Unternehmen das Feld überlassen.
Die Patentierbarkeit von Software ist eine Kernfrage der künftigen
Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft, da die
Bedeutung sowohl elektronischer Information und Kommunikation, als
auch der IT-Infrastruktur weiter zunehmen wird. Lassen wir es weiter
zu, dass entscheidende Schnittstellen dieser Infrastruktur zunehmend
monopolisiert und der allgemeinen gesellschaftlichen Verfügbarkeit
entzogen werden, müssen wir uns nicht wundern, wenn in weiten Teilen
naturgemäß rendite-orientierte Entscheidungen amerikanischer
Unternehmen die Möglichkeits- und Entwicklungsbedingungen auch der
europäischen Wissens- und Informationsgesellschaft wie -industrie
bestimmen. Erster Hinweise auf die Auswirkungen können bereits
beobachtet werden, hier möchte ich nur drei Beispiele kurz anführen:
so ist natürlich in den USA eine Klage anhängig, in der es um die
Verwendung von Hyperlinks geht, dem beinahe wichtigsten
Navigationsprinzip im Internet. Dieses verletze Patente, so die
Klägerin, die sie an diesem Verfahren halte Lizenzgebühren für jeden
Mausklick im Netz an ein einziges Unternehmen? In einem zweiten
Verfahren werden patentrechtliche Ansprüche an dem Prinzip erhoben,
Kopien digitaler Güter aus dem Internet herunterzuladen. Bei jedem
dieser Downloads, etwa eines Musikstücks oder Programms, wären
Gebühren an ein einzelnes Unternehmen fällig, nur weil es als erstes
ein Verfahren patentieren ließ, welches viele Personen parallel
ersonnen haben und das bisher milliardenfach frei eingesetzt wurde.
Und drittens schließlich ist erst in diesen Tagen ein Rechtstreit in
den USA nach 3 Jahren außergerichtlich beigelegt worden, der 1999
zwischen zwei Unternehmen um das sogenannte One-Click-Patent
entbrannte. Hier wurde ein Verfahren patentiert, mit dem Kunden eines
Online-Shops ein aktuell angezeigtes Produkt mit nur einem einzigen
Mausklick bestellen konnten. Im Umkehrschluss verlangte die
Patentinhaberin nunmehr, dass bei der Konkurrenz mindestens zwei
Klicks notwendig sein müssen, um den Patentanspruch nicht zu verletzen
wieder ist der innovative Fortschritt mehr als fragwürdig und der
Kampf um geringste Wettbewerbsvorteile mehr als offensichtlich. Die
Analogien zur Biopatentdebatte sind offenkundig, auch hier ist nämlich
die Frage zu stellen, welchen außerordentlichen gesellschaftlichen
Beitrag die Innovationen der Unternehmen geleistet haben, die ein
derart folgenreiches und langfristiges Verwertungsmonopol
rechtfertigen könnten. Die EU-Kommission drückt sich um eine Antwort
auf diese im Grunde politische Frage: was soll eigentlich patentierbar
sein und was geht aus welchen Gründen zu weit? Bis heute gibt es keine
Antwort darauf, ob etwa die drei beschriebenen amerikanischen Patente
nun auch in Europa möglich sein sollen, oder eben nicht. Das EPA,
darauf möchte ich mit Nachdruck ein weiteres mal hinweisen, hat
mittlerweile mehrere Tausend Patente erteilt, deren Erfindungshöhe
sich kaum positiv von den zitierten Beispielen abhebt und daher mehr
als fraglich ist.
Die EU-Kommission geht der Kernfrage in der Debatte um die
Patentierbarkeit von Software gegenwärtig aus dem Weg. Sie lautet
nämlich, ob und inwiefern Software nach den allgemeinen
patentrechtlichen Grundsätzen tatsächlich eine Erfindung darstellen
kann und auch tatsächlich dem Bereich dem Technik, auf den das
Patentrecht begrenzt ist, zuzuordnen ist. Erfindungen im Sinne einer
signifikanten Erweiterung gesellschaftlichen Könnens resp. ihrer
technischen Problemlösungskapazitäten sind nicht bereits durch die
handwerklich auch noch so gelungene Anwendung bestehenden Wissens und
bestehender Verfahren gegeben, sie dürfen vielmehr selbst für
fachkundige Personen nicht naheliegend sein. Technik im Sinne einer
Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte
zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges (so der BGH) bedarf
offenbar des physikalischen Bezuges. Dieser ist aber in der Dualität
von Software/Hardware in der IT-Welt nicht ohne weiteres gegeben, war
es doch gerade die Neumann'sche Universalmaschine (die wir heute
Computer nennen), die beide Bereiche voneinander unabhängig machte und
eigenständige Entwicklungslinien ermöglichte. Jedes Programm (als
algorithmisierte Logik) läuft auf jedem Rechner (als physikalisches
Substrat der logischen Manipulationen), gleich welche
Programmiersprache verwendet wird oder welcher Prozessor die Befehle
abarbeitet es ist eben eine logikoffene universale Rechenmaschine.
Software ist daher eher einer handwerklichen Tätigkeit vergleichbar
und folgt als textbasiertes Medium eher logischen Regeln als
naturgesetzlichen Verfahren. Die Richtlinie verlangt von den
Mitgliedstaaten in Artikel 3 nun aber, so-genannte
computerimplementierte Erfindungen als Teil der Technologie
auszufassen und spricht sich damit grundsätzlich für ihre
Patentierbarkeit aus, um die Rechtssicherheit zu erhöhen - die
Beweggründe zu dieser weitreichenden Regelung sind nicht ersichtlich.
Abgesehen davon, dass die rechtliche Frage der Patentierbarkeit von
Logiken strittig ist und auch die innovationspolitische Notwendigkeit
zumindest für den Bereich der Softwareentwicklung verneint werden
kann, sollte auch ein weiteres Ziel nicht aus den Augen verloren
werden: wir wollen den IT-Bereich wirklich internationalisieren und
eine vor allem amerikanisch dominierte Monokultur in der
Softwarelandschaft aufbrechen. Hier hat Europa eine einmalige Chance,
gerade über Open Source-Projekte entscheidende Elemente der künftigen
IT-Infrastruktur mitzubestimmen. Diese Chance darf nun nicht durch
eine einseitige, an den Interessen (amerikanischer) Großkonzerne und
deren patentjuristischer Abteilungen orientierte Richtlinie gefährdet
werden. Oder, um sinngemäß die Worte von Prof. Plattner, dem
Vorsitzenden des erfolgreichen deutschen Softwarehauses SAP,
anzuführen: man brauche keine Softwarepatente, um auf den Märkten für
Software erfolgreich zu sein. Sehr wohl braucht man diese Patente
aber, wenn man sich mit den aggressiven amerikanischen Unternehmen vor
amerikanischen Gerichten auseinandersetzen will oder gar muss. Auch
dort wolle eigentlich keiner Softwarepatente, doch wird die bestehende
rechtliche Möglichkeit zum Rent-Seeking oder Marktabschottung eben
inflationär genutzt. Dieser Zwang besteht für Europa anders als es
oft kolportiert wird keineswegs, weder verlangt das TRIPS noch der
gegenwärtig neu verhandelte Patenvertrag der WIPO explizit eine
Patentierbarkeit von Software. Niemand beabsichtigt die international
anerkannten patentrechtlichen Grundsätze generell in Frage zu stellen.
Ich bin nur dezidiert der Auffassung, dass Software diese
Anforderungen nicht zu erfüllen vermag und Softwarepatente darüber
hinaus nachweislich volks- wie betriebswirtschaftlich negative Effekte
produzieren würde.
Die Richtlinie ist daher keineswegs überflüssig, sie ist sogar
sachlich notwendig und kann ein entscheidendes Signal in die richtige
Richtung geben. Dies setzt allerdings voraus, dass es gelingt,
erhebliche Änderungen am gegenwärtigen Entwurf durchzusetzen. Hier
unterstütze ich in jeder Hinsicht die Kritik Frankreichs oder auch aus
dem Bundeswirtschaftsministerium zum Richtlinienvorschlag und möchte
Sie bitten, sich ebenfalls für eine solche Verbesserung und auch
Klarstellung einzusetzen. Indem ich auf Ihre weitere Unterstützung in
dieser Auseinandersetzung sowie in den bevorstehenden Diskussionen
baue, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
B. Weitere Lektüre
....
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