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RE: Heise: Bundesregierung foerdert und verletzt Logikpatente



> > Im Gegenvorschlag findet sich am Anfang (A.1) die Eingrenzung
> > von Patenten auf den Bereich "der Serienfertigung materieller Gueter
> > (gewerbliche Anwendung)" was somit automatisch jedwede Form von Werken
> > (Texte, Musik, Computerprogramme, Grafiken) ausschlisst.
>
> Das mit der "Serienfertigung" ist einfach grotesk. Denken in den
> Kategorien des XIX., bestenfalls des fruehen XX. Jahrhunderts.
> will ja heute eher weg von der Serienfertigung hin zu einer (pseudo-)
> Individualfertigung. Wenn man sich bei einem Moebelversandhaendler
> individualisierte Moebel bestellt etc. pp.

Eben: Pseudo-Individualfertigung = Serienfertigung.

Das Kriterium der "industriellen Anwendbarkeit" hat einmal
in etwa das bedeutet, was ich hier zu formulieren versucht habe.
Eignung Serienfertigung ergibt sich schon aus der
Beherrschbarkeit der Naturkraefte.  Die Kriterien
"Industrialitaet" und "Technizitaet" liegen nahe beieinander,
nehmen aber in der rechtlichen Systematik eine unterschiedliche
Stelle ein.

Welche besseren Formulierungen koennte es geben ?

Wenn durch dieses Kriterium allerlei Dinge von der Patentierbarkeit
ausgeschlossen werden, die heute fuer das Wirtschaftsleben von Bedeutung
sind, ist das keineswegs grotesk.  Im Gegenteil sehe ich die
Patentierung solcher nicht-industriellen Handlungsweisen als grotesk
und gefaehrlich an.

> Und warum soll eine Erfindung, die sich auf Einzelfertgung bezieht,
> nicht patentfaehig sein? Und: Woher weiss der arme Patentpruefer,
> welche Erfindungen im "Bereich der Serienfertigung" Anwendung finden
> und welche nicht?

Verfahren zur Herstellung materieller Gegenstaende erfordern im
allgemeinen eine industrielle Organisation.  Verfahren, die ein
Bauer, ein Arzt oder ein Programmierer anwendet, erfordern dies nicht.
Das kann man ziemlich leicht und recht formalistisch, ohne allzu grosse
Hirnanstrengung, an der Anspruchsformulierung ablesen.
Die meisten Patente betreffen industrielle Verfahren und davon
abgeleitete Gegenstaende.

> Hmm, naja, und was ist z.B. mit der Serienproduktion von
> Mobiltelefonen, vulgo "Handies" genannt? Damit sind Patente auf
> "Mobiltelefongeraet, gekennzichnet durch [...]" weiter moeglich.

Natuerlich werden die durch das Kriterium "gewerbliche Anwendbarkeit"
nicht ausgeschlossen.

> ist aber nun mit dem famosen ffii-Vorschlag, wenn die
> erfindungsgemaesse Verbesserung des Mobiltelefones dadurch
> implementiert ist, indem in der Firmware etwas anders gemacht wird als
> vorher?

Der scheitert nicht an der gewerblichen Anwendbarkeit (application
industrielle, Bestimmtheit fuer Serienfertigung materieller Gueter).
Zumindest nicht, wenn die Ansprueche Mobiltelefone zum Gegenstand haben.
Wiegesagt: Industrialitaet und Technizitaet sind verwandt aber nehmen
eine unterschiedliche Stelle in der Systematik ein.

> > Diese sind ja
> > bekanntlich bereits ueber das Urheberrecht geschuetzt.
>
> Das Urheberrecht schuetzt lediglich die konkrete textuelle
> Ausdrucksform. Das Patentrecht befasst sich insbesondere auch mit
> Erfindungen, die sich - bei computer-implementierten Erfindungen -
> auch in einer neuen und erfinderischen Funktionalitaet ausdruecken
> koennen, die aus dem Zusammenwirken eines per se nicht patentfaehigen
> Programmtextes mit einem dazugehoerigen Prozessor hervorgeht.

Letzteres ist irrefuehrend.
Ich kenne keinen Patentanspruch, der einen "dazugehoerigen Prozessor"
nennt.
Der Begriff "computer-implementierte Erfindungen" ist noch irrefuehrender.
Wir hatten hier schon mal die "musikinstrument-implementierten
Erfindungen".

> Bizarr auch der Satz: "Die Ideen und Grundsaetze, die einem Element
> eines Computerprogramms zugrunde liegen, sind durch das Urheberrecht
> aus gutem Grund ausdruecklich vom Schutz ausgenommen."
>
> Die Ideen und Grundsaetze sind nicht "nicht durch das Urheberrecht
> geschuetzt" - das ist etwas ganz anderes als "durch das Urheberrecht
> nicht geschuetzt". Kleine semantische Trickersei durch den ffii: Als
> ob das Urheberrecht fuer andere Rechtsgebiete bindend festellen
> wuerde / koennte, dass "Ideen und Grundsaetze" nicht schuetzbar seien.

Wenn ein Werk durch das Urheberrecht zu geistigem Eigentum geworden ist,
sollte es nicht durch das Patentrecht wieder seinem Urheber weggenommen
werden koennen.

man dispositionsprogramm

	http://swpat.ffii.org/papiere/bgh-dispo76/

Ferner

	http://swpat.ffii.org/treffen/2001/bundestag/kiesew/

> > seit langem bekannten Regelkreis in einer neuen Programmiersprache
> > abfassen, so waere dies zwar keine technische Neuheit im Sinne des
> > PatG aber dennoch eine neuheit in der Form des Ausdrucks und somit bei
> > einer kleinen Portion Wohlwollen unmittelbar patentierbar.
>
> Wo steht das? Ich gaube nicht, dass ein Patentanspruch
>
> "Reglereinrichtung [...], dadurch gekennzeichnet, dass die
> Reglersoftware in PASCAL geschrieben ist"
>
> auch nur irgendeinen Hauch einer Chance haette, erteilt zu werden.

Es gibt durchaus solche EPA-Patente (z.B. mit Bezugnahme auf CORBA direkt
im Anspruch, in unserem Gruselkabinett zu finden).
Allerdings ging es hier wohl nicht darum.
Die anspruchssprachliche Beschreibung eines Computerprogramms lautet
normalerweise anders, naemlich:

	System und Methode ..., dadurch gekennzeichnet dass
	 ... [Speicher] ... [Eingabe/Ausgabe] .... [Netzwerk] ...
         ... [Rechner] ...

> > Bemerkenswert, dass der Gegenvorschlag auf die Pruefungsrichtlinien
> > des Europaeischen Patentamtes 1978-06-01 querverweist und somit auf
> > ein jahrzehntelang bewaehrtes Handlungs-Verfahren zurueckgreift. Es
> > wird weiter ausgefuehrt dass die Pruefbehoerde Form und Fachgebiet im
> > Rahmen der Anspruchsbewertung nicht zu beruecksichtigen braucht
> > sondern sich auf den ausschlaggebenden erfindersichen Beitrag zu
> > konzentrieren hat.
>
> Jaja, ich weiss, ffii mag die Patentansprueche nicht, weil sie
> offenbar zu kompliziert sind, um verstanden zu werden ...

Das war uebrigens ein woertliches Zitat aus den EPA-Pruefungsrichtlinien
von 1978.  Dort steht, der Patentpruefer solle die Formulierung ausser
acht lassen und nach der Substanz fragen.  Wenn man die Anspruchssprache
als ein Mittel zur Beschreibung einer Erfindung ernst nimmt und
ihrer Verwahrlosung entgegentreten will, muss man dies tun.

> Wer rechtssichere Patente haben will, muss dicht an den
> Patentanspruechen bleiben, sond sind wir wieder beim "allgemeinen
> Erfindungsgedanken" unseligen Andenkens, den man zum Glueck vor
> langer Zeit abgeschafft hat.

Der "allgemeine Erfindungsgedanke" mag heute nicht mehr im Gesetz stehen,
kommt aber immer wieder durch die Hintertuer zurueck.  Sprache ist immer
unvollkommen.  Gegenstand des Gesetzes sind nicht Ansprueche sondern
Erfindungen, nicht Bezeichner sondern Bezeichnetes.  Nur dann, wenn man
das Bezeichnete nicht aus dem Auge verliert, kann man mit dem Bezeichner
eng daran bleiben.

> Diese fruehe Interpretation hat eben _keine_ guten Dienste geleistet,
> da sie Rechtsunsicherheit zuruekgelassen hat ... warum sind denn wohl
> Anmelder wieder und immer wieder mit erheblichem Kostenaufwand bis zum
> BGH oder bis zu den Beschwerdekammern des EPA gezogen, wenn alles so
> wunderbar klar gewesen waere? Die historisch ueberhoten Versuche, die
> Informatik aus dem Patentwesen herauszuhalten, sind hinstorisch
> gescheitert und haben nichts zum Rechtsfrieden beigetragen.

Sie sind gescheitert, weil viele Patentjuristen ihr Scheitern wollten.
Allen voran der Staendige Beirat des EPA (vertreter der "Anwender des
Systems", d.h. Konzern-Patentabteilungen), auf dessen Rat hin das EPA sich
schon ueber so manches Gesetz hinweggesetzt hat.

> > Als teilweise neuartig wuerde ich den Absatz 5 des FFII einordnen.

> Geradezu revolutionaer. Die Biotech-Industrie wird sich z.B. darueber
> freuen, dass gemaess Artikel 5.7 des ffii-Entwurfes ein Patent
> automatisch dazu fuehrt, dass man die Erfindung auch ausueben darf.

??

> > Hier werden Forderungen nach einer Pflicht dem Anspruch ggf. eine
> > freie Programm-Implemtierung des Patentanspruchs beizulegen
> > ausformuliert,
>
> Ufff... kaum noch eine Patentschrift unter fuenftausend Druckseiten
> Umfang ??

Die meisten Nicht-Sw-Patente kommen ohne Nennung von Programm-Merkmalen in
ihren Anspruechen aus und brauchen daher auch kein Programm offenzulegen.

Die meisten Swpat-Ansprueche wiederum kann man in einer
programmiersprachlichen Zeile formulieren.  Um es wirklich zum
Funktionieren zu bringen, braucht man zwar mehr, aber m.E. auch
kaum mehr als 10 Druckseiten.  Zudem wird Papier gerade in
den Patentaemtern, allen voran dem USPTO, systematisch ausrangiert.

> > die illegale Erlangung von Patentbezogenen
> > Informationen wird legalisiert.
>
> Grins ... das haette man wohl auch etwas professioneller ausdruecken
> koennen.

??

In der Tat wird die illegale Erlangung von dem Entwurf nicht legalisiert.
Es wird nur der Tatsache Rechnung getragen, dass auch kompilierte
Informationen de facto der Oeffentlichkeit zugaenglich sind, ganz
zu schweigen davon, dass das Dekompilierverbot auch Ausnahmen hat.

> Es werden nochmals die Patentkriterien
> > wiederholt
>
> Gesetztestexte werden durch Redundanzen nicht besser.

Der Gegenvorschlag setzt jedem Vorschlag der EUK einen Korrektur
entgegen.  Redundanz laesst sich bei diesem Ansatz nicht meiden, sie ist
von dem EUK-Original bedingt.  Wenn man spaeter mal kuerzen will, ist
das jederzeit moeglich.

> Trennung von Urheber- und Patentracht" oder so. Naja. Beide
> Rechtsgebiete haben in Wirklichkeit unterschiedliche Gegenstaende
> ("Werke" vs. "Erfindungen") und ergaenzen sich bei computer-
> implementierten Erfindungen komplementaer.

Eigentum, welches ein Programmierer durch Urheberrecht erwirbt, kann ihm
durch Swpat wieder weggenommen werden.    Und "comoputer-implementierte
Erfindung" ist in obigem Sprachgebrauch nur ein unnatuerliches
Synonym fuer "Computerprogramm".

Ich muss zusammen mit Jim Warren von Autodesk gegen solche irrefuehrende
Woerter protestieren, s.

	http://swpat.ffii.org/archive/zitate/autodesk#94

> Sowas kommt eben heraus, wenn man die Grundlagen von Urheber- und
> Patentrecht nicht verstanden hat. Dem Erfinder kann und darf es
> voellig wurscht sein, ob jemand anders Schoepfer eines Werkes
> (Programmcode) ist - wenn er der erste war (Neuheit!) steht ihm das
> Patent auf die Erfindung zu.

Nein: fuer das Gebiet der Computerprogramme gelten die Regeln des
Urheberechts, nicht des Patentrechts.

> Auch gibt es ja den Ambivalenzbereich und die
> computer-implementierbaren Erfindungen, bei denen schon die blosse
> Existenzmoeglichkeit eines Computerprogrammes (als "Werk")
> ueberhaupt nicht im Patentanspruch ablesbar ist.

Dann sollte man den Patentanspruch gefaelligst so formulieren, dass ein
Computerprogramm nicht abgedeckt ist.  Das ist moeglich.

Die Argumentation von PA Horns ist Ergebnis einer ganzen Serie von
Fehlschluessen:

  1 Ansprueche dienen der Rechtssicherheit ==> Rueckzug von
    der bezeichneten Sache auf den Bezeichner, Regeln nur noch
    innerhalb sprachlicher Sekundaerkonstrukte
  2 Regulierung der Anspruchssprache erleichtert Arbeit des
    Programmierers ==> Einengung der Moeglichkeiten der Anspruchssprache,
    Zulassung unklarer Konstrukte, Wegnahme von Unterscheidungen
  ==> Programme, schlechtergesagt "computer-implementierte Erfindungen",
      liegen im Ambivalenzbereich.

Gemaess den "unseligen" Begrifflichkeiten der 70/80er Jahre und des
Gegenvorschlages liegen Programme keineswegs in einem Ambivalenzbereich.

> Im uebrigen stehen hinter dem ffii auch Unternehmen, die auf ihre
> Weise um ihre "Pfruenden" fuerchten, wenn das Patentsystem so bleibt,
> wie es ist. Es macht sich aber gegenueber der Oeffentlichkeit wohl
> besser, wenn die Bezugnahme auf wirtschaftliche Interessen nur einer
> Seite angehaengt werden.

Wir nehmen durchaus auf eigene wirtschaftliche Interessen Bezug.
Es fragt sich welche wirtschaftlichen Interessen eher im Einklang mit dem
Gemeinwohl, der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 GG) und diversen
weiteren Anforderungen stehen.

-- 
Hartmut Pilch, FFII e.V. und Eurolinux-Allianz            +49-89-12789608
Innovation vs Patentinflation                       http://swpat.ffii.org/
120000 Stimmen 400 Firmen gegen Logikpatente    http://www.noepatents.org/


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