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Re:  [FYI] MONITOR:Datenschützer bezeichnen CDU-Wahlkampfmethoden als "illegal"



Zunächst: Entschuldigung, ich hatte nur das Ende Deiner mail gelesen.

>
>
> Aber sicher doch.  Sehr viel interessanter als Dein Kommentar mit
> den Denunzianten (oder die eher noch plattere Antwort von Lars
> Weitze darauf) wäre allerdings, wie denn Deiner anscheinend
> systemtheoretisch vorgebildeten Meinung nach ein sinnvolles und
> einer freiheitlichen Gesellschaft angemessenes Datenschutzrecht
> aussehen sollte - wenn ich Dich recht verstehe, hältst Du ja von dem
> derzeit existierenden nicht viel.
>
> Also?

Ich bin gerade dabei, die Argumentation im Rahmen meiner Dissertation
abzuschließen. Da ich sie daher eben noch abzuschließen habe, habe ich
nicht die Zeit, hier zehn Seiten zu schreiben. Ich kann hier nur
Argumentationspräferenzen in Thesenform anbieten. Für eine Diskussion im
Rahmen dieser Liste bin ich auch nur bereit, einzelne Aspekte zu
diskutieren, denn ich möchte auch einen Nutzen davon haben in Form von
Gegenargumenten.

Zu diesem einen Punkt mit der Systemtheorie:

es ist nicht meine Argumentation, mich für irgendeine Theorie zu
entscheiden, auch nicht für "die" Systemtheorie. Wer bin ich, daß ich
die normative Geltung einer Theorie dekretieren könnte. Aber ich kann
die Schlüssigkeit heute in Bezug genommener Theorien nachvollziehen oder
widerlegen. Und das Problem mit dem Datenschutz ist - wie mit dem
Pendant "information privacy" in USA und Japan - daß die konzeptionelle
Basis theoretisch inkonsistent ist. Ich rede von Wertungs- und logischen
Widersprüchen. Das ist ein grundlegendes Problem in der
Informationsgesellschaft. Wenn "Informationen" zentral und namensgebend
sind, liegt es schon irgendwie nahe, daß auch "Logik" und "Systematik"
eine Rolle spielen. Ein vulgär-materialistischer Standpunkt, wie er sich
in Deutschland eingeschliffen hat mit aus meiner Sicht barbarischen
Metaphern wie Daten-"Export" ("5 t Daten FOB"), ist das äußerste Ende
des Erkenntnisspektrums und bezeichnet den Zustand absoluter Blindheit.
Etwas erhellender ist dann schon der Standpunkt von Linkshegelianern /
Marxisten wie James Boyle (James Boyle, Shamans, Software, and Spleens:
Law and the Construction of the Information Society, Cambridge, MA
(Harvard University Press) 1996). Boyle wendet richtigerweise eine
dialektische Methode an, interpretiert aber immer noch zu viel in
unbestrittene Gegensätze wie "öffentlich / privat" aus einer
sozioökonomischen Perspektive. Soziologen können nur aus bekannten
Zuständen extrapolieren. Hier stellen sich aber zwei Probleme: wenn die
ganze Welt neu erfunden und neu verteilt wird (das ist meine Meinung),
dann ist schon fraglich, was gegenwärtig wirklich "bekannt" ist und erst
recht, welche Form es in 10 Minuten angenommen haben wird.
Der bestmögliche Standpunkt, von dem aus Erkenntnis möglich ist, wird
meiner Meinung nach von Katsh eingenommen:

"(The situation in “1984”) is not the kind of environment fostered by
cyberspace. We may frequently question the value, validity, and
authenticity of electronic information, but this is because there are
multiple or conflicting accounts or interpretations of an event rather
than because there is only a single source."
(M. Ethan Katsh, Law in a Digital World, New York etc. (Oxford
University Press) 1995, 227)

Danach liegt das Problem darin, daß es unendlich viele Interpretationen
gibt, nicht nur die eine eines "Großen Bruders". Natürlich richtet
individuell jeder sein Handeln und kollektiv der Staat seine
Organisationen und seine Politik in jedem Einzelfall nach einer
einzigen, durch Interferenz aller Interprationen entstehenden
Interpretation aus. Aber gerade deshalb muß es darum gehen, die konkrete
Art dieser Interferenz zu verstehen. Im Datenschutz geht man dieser
Aufgabe entschieden aus dem Weg, weil sie unmöglich zu lösen scheint.
Sie ist es aber nicht. Das zeige ich in meiner Dissertation. Hier ist
nur darauf hinzuweisen, daß Steinmüller den Einfluß der
Datenschutzbeauftragten im op. cit. ausdrücklich unter einen
Totalitarismusvorbehalt stellt. Könnte man die Anwendbarkeit der
verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitstheorie noch deutlicher begründen?
Dh daß der Gesetzgeber sich die Schlüssigkeit der Methodik und die
Ausgangslage und die Einschätzungen der Datenschützer genau ansehen muß.
Ich empfehle jedem Interessierten, sich dieses Buch durchzulesen.
Steinmüller erklärt dort der Sache nach, die Datenschützer könnten ein
datenverarbeitendes System von anderen normativ aus dem Bauch heraus
unterscheiden. Das ist nicht sehr schlüssig, zumal niemand den
Datenschutzbeauftragten zu nahe tritt, wenn man ihre Kompetenz, o.g.
Interferenz zu bestimmen, in Zweifel zieht. Denn sie selbst weichen
dieser Aufgabe ja ausdrücklich aus. Nach den gängigen Klischees gibt es
keine solche Interferenz, im Gegenteil:"Datenschutz ist
Wettbewerbsvorteil" (Dazu empfehle ich den Beitrag von Schneider in
Michael Lehmann (Hrsg.), Electronic Business in Europa, München (Beck)
2002, der mit dieser Legende aufräumt). Dh zwischen Technik, Wirtschaft
und Gesellschaft bestehen keine Interdepenzen, sondern das Recht kann
sich deren Beziehung beliebig zurechtgestalten, einschließlich der
Problembeschreibung. Dh unschlüssige Theorie ohne jede empirische
Grundlage.
Daß die Totalitarismusgefahr nicht aus der Luft gegriffen ist, legt eine
Rede von Garstka nahe. In dieser Rede preist er die Systemtheorie
sowjetischer Provenienz als Basis des deutschen Datenschutzrechts und
auch das heutige Rußland sei ein Vorbild in dieser Hinsicht, weil man
dort alle "sozialen Systeme" schütze, also eben gerade die etablierten
Institutionen, deren Machenschaften so noch durch das Datenschutzrecht
unterstützt werden. In Rußland werden Journalisten ermordet, weil sie
eben diese "sozialen Systeme" näher überprüfen wollen.
Man sollte diese Rede lesen:

Hansjürgen Garstka, Datenschutz und Informationsfreiheit - zwei
Bausteine für ein Informationsgesetzbuch, Vortrag beim Internationalen
Symposium Informationsfreiheit und Datenschutz, Potsdam, 25/26. Oktober
1999

(nur in Google eingeben)


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